Archiv der Kategorie: Ereignisse

Doch mal pünktlich! – Also fast…

Dieser Beitrag ist Teil 4 von 4 der Beitragsserie "Aus den Notizen eines Bahnfahrers"
Aus den Notizen eines Bahnfahrers (IV)

Wenn man die deutsche Bahn für ihre Probleme, die sie ihren Kunden derzeit so oft bereitet, kritisiert, dann muß man fairerweise auch erwähnen,  wenn etwas einmal besser läuft.

Und so will ich nicht versäumen zu vermelden,  daß ich meinen ICE heutigentags in Köln nicht nur trotz Verspätung des Zubringerzuges noch erreicht habe und er auch noch auf die Minute pünktlich abgefahren ist,  sondern daß er es überdies fast geschafft hat, pünktlich in Berlin anzukommen.  Fast. Ganze elf Minuten Verspätung nur auf dieser langen Strecke quer durch Deutschland – das passiert nicht oft. Bravo!

Auch wenn, was man so hört, die Schweizer Bahnen das absurd finden mögen – sie sollen ja sagenhaft pünktlich verkehren -, ich bin hinsichtlich der hiesigen Verhältnisse regelrecht begeistert. Auch wenn die Wagenreihung wieder mal umgedreht war. Aber man kann halt heutzutage nicht alles haben…

Wie die Bahn neuerdings verpaßte Anschlüsse vermeidet

Dieser Beitrag ist Teil 2 von 4 der Beitragsserie "Aus den Notizen eines Bahnfahrers"
Aus den Notizen eines Bahnfahrers (II)

Die Bahn wird ja oft kritisiert, weil sie mit ihren ständigen Verspätungen das Erreichen von Anschlußzügen unmöglich macht.

Das hat sie sich zu Herzen genommen und darauf jetzt reagiert.

Also keine Verspätungen mehr? Aber nicht doch! Wo kämen wir denn in diesem Land hin, wenn wir anfangen würden, die Probleme wirklich zu lösen… Am Ende würde noch alles funktionieren und wir bräuchten plötzlich keine teuren Berater mehr.

Nein. Die Bahn sorgt jetzt dafür, daß die Anschlußzüge auch mehr als eine Stunde Verspätung haben. Dann erreicht man sie auch wieder. Problem erfolgreich umgangen.

Für meine Mutter

Zum 80. Geburtstag

Man schreibt das Jahr neunzehnvierzig und drei,
die Macht des Winters verfällt.
Im schlesischen Lande der Frühling fängt an,
da trittst Du des Lebens Reise an
und kommst hoffnungsfroh auf die Welt.

Die Zeiten sind alles and’re als leicht,
Faschisten entfachten den Krieg.
Am End‘ treibt man Euch aus der Heimat hinaus,
Verlassen müßt Ihr Hof und Haus
mit Wenigem nur, das Euch blieb.

Vom Auffanglager Merane geht es
nach Mittweida weiter sodann.
Ein Teil der Familie zieht Richtung West.
Weil Euch man jedoch schließlich bleiben läßt,
fangt Ihr hier in Sachsen neu an.

Zum Glück gibt es Arbeit, doch ist’s trotzdem hart,
zu sorgen für’s tägliche Brot.
Auch sind die Flüchtlinge nicht gern geseh’n
und haben so Manches auszusteh’n.
Es sind die Jahre der Not.

Sie weicht nicht so bald und folgt Dir auf Schritt
und Tritt in die Schule hinein.
Flüchtling und arm als Kombination
sorgt bei den Mitschülern für sehr viel Hohn.
Sie sparen nicht mit Hänselei’n

Die Lehre eröffnet Dir dann die Welt
der Stoffe, Bekleidung und Co.
Du wirst bester Lehrling im ersten Jahr.
Die örtliche Zeitung berichtet sogar
von der Verkäuferin der HO.

Und dann, eines Sonntags, ist es soweit.
Das Leben, es stellt seine Weichen
Es bittet ein junger Mann Dich galant
Zum nächsten Tanze um Deine Hand.
Und Du willst sie gerne ihm reichen.

Es dauert nicht einmal ein halbes Jahr,
da bittet er Dich erneut.
Doch diesmal soll’s nicht zum Tanze sein,
denn jetzt willigst Du für immer ein
in’s gemeinsame Leben zu zweit.

Gemeinsam durch’s Leben, das sollte zunächst
Euch gar nicht so einfach werden.
Der Wehrdienst den Liebsten fern von Dir hält.
Inzwischen bringst Du Euren Sohn auf die Welt,
zum Glück ohne größ’re Beschwerden.

Als kleine Familie fangt Ihr nun an,
ein Leben Euch aufzubauen.
Doch auch, wenn man Euch den Weg erschwert,
ein Hindernis ihn manchmal ganz versperrt,
Ihr könnt aufeinander vertrauen.

Für Deinen Sohn gibst Du auf den Beruf,
damit Du für ihn kannst sorgen.
Doch arbeitest Du zusätzlich in dieser Zeit
und reparierst Strümpfe in Heimarbeit,
damit das Geld reicht auch morgen.

Und doch bleibt es knapp, drum trittst Du beherzt
entgegen des Lebens Tristessen.
Beim Rat des Kreises fängst Du neu an,
sorgst als Sachbearbeiterin dafür dann,
daß Arbeiter haben zu essen.

Du hältst Deinem Mann den Rücken frei, als
zum Studium er weit weg muß zieh’n.
Alleine zu Hause schlägst Du Dich gut,
bringst Kind, Heim und Arbeit unter den Hut,
bis Ihr schließlich geht nach Berlin.

Die große Stadt und der Neuanfang
sind nichts, was Dich wirklich aufhält.
Die Wohnung, die Arbeit, alles neu macht Berlin,
und Du hochschwanger mitten darin.
Eines Nachts bringst Du mich auf die Welt.

Ich bin, wie es scheint, kein ganz einfaches Kind
und lange als Schreihals voll hin.
Es splittern die Babyfläschchen en masse,
sie stets wegzuwerfen, macht mir wohl viel Spaß.
Doch immer hast Du mir’s verzieh’n.

Und schon steht der nächste Umbruch in’s Haus.
Nach Ungarn soll es nun gehen.
Zur dortigen Botschaft Dein Mann wird entsandt.
Daß Du ihn begleitest in’s ferne Land,
daran kann kein Zweifel bestehen.

In neuer Arbeit mußt Du Dich sodann
als Sekretärin bewähr’n.
Und wieder gelingt Dir das bravourös,
nie gibt’s wirklich Grund, zu werden nervös,
bald können sie Dich kaum entbehr’n.

Und doch müssen sie’s, da immer Du uns
bei dir setzt an vorderste Stell‘.
Weil Krankheit mich oft hält von allem fern,
bleibst Du ganz zu Haus, und das tust Du gern,
damit ich gesund werde schnell.

Die Schule schaffen zu können, verdank‘
ich nur Dir, denn zu meinem Glück
machst Du mit mir heimischen Unterricht,
lernst mit mir gemeinsam, und so fall‘ ich nicht
komplett in der Schule zurück.

Fünf Jahre darauf, wieder in Berlin,
kehrst Du in die Arbeit zurück.
Doch mit sicherer Hand, wie aus einem Guß,
hältst Du unser Familienleben in Schuß,
sorgst für unser aller Glück.

Und dann, plötzlich, ist einfach fort über Nacht
das Land, das das Deine auch war.
Sie rufen nach D-Mark und Reisefreiheit,
doch kriegen sie Armut und Unsicherheit.
Dir ist das von Anfang an klar.

Noch einmal wagst Du den Neubeginn
im Beruf, den Du einst hatt’st erwählt.
Du arbeitest Dich als Verkäuferin ein.
Bald schmeißt Du den halben Laden allein,
so daß jeder gern auf Dich zählt.

Und nun bist Du achtzig, was für eine Zahl!
Es wird einmal Zeit, Dank zu sagen!
Stets hast Du für mich alles möglich gemacht.
An Dich hast Du stets nur zuletzt gedacht.
Nie hörte ich Dich einmal klagen.

Du bist für mich da, zu jeder Stund‘,
an guten Tagen und schlechten.
Du hast mich gepflegt, wenn ich war krank,
und nie erwartet den kleinsten Dank,
trotz manchen durchwachten Nächten.

Und immer stehst Du mit Rat und Tat
zur Verfügung ganz unweigerlich.
Machst Essen, gibst Tips für Gesundheit und
unendlich viel Liebe, drum sag‘ ich heut‘ rund-
heraus: MUTTI, ICH LIEBE DICH!

© 2023, Alexander Glintschert. Alle Rechte vorbehalten.

Lichterfest in dunklen Zeiten (II)

Dieser Beitrag ist Teil 2 von 2 der Beitragsserie "Festival of Lights 2022"

Ein glimmender Funke.
Ein sanftes Leuchten.
Ein heller Schein.
Ein glitzerndes Strahlen.

Die Vielfalt der Möglichkeiten, der Dunkelheit ein Licht entgegenzusetzen, ist groß. Doch gleichgültig, in welcher Form es daherkommt, Licht erhellt das Dunkel, spendet Hoffnung und belebt die Seele.

Es werde Licht! Keineswegs zufällig stellt dieser Ausruf den Beginn der Schöpfung in der Bibel dar. Uns geht ein Licht auf, wenn wir über etwas Klarheit erlangen. Und oft sagt man, daß jemand, der besonders glücklich ist, von innen heraus leuchte.

Licht hat für uns Menschen, aber auch für die Natur um uns herum eine enorme Bedeutung. Ohne es könnten wir, könnten alle Landlebewesen nicht atmen, weil der Sauerstoff, den wir dafür brauchen, von den Pflanzen durch Photosynthese erzeugt wird. Und dafür brauchen sie – Licht. Das lernen wir schon in der Schule. Ohne es gäbe es kein Leben. Zumindest keines, wie wir es kennen.

Und so hat auch das Festival of Lights – das Lichterfest – seine Bedeutung. Daß es jedes Jahr im Herbst stattfindet, wenn die Tage spürbar kürzer und die Nächte merkbar länger werden, mag man rational damit erklären, daß sich der Sommer dafür nicht eignet, weil es in dieser Jahreszeit einfach zu spät dunkel genug ist, und daß die Temperaturen im Winter in der Regel zu niedrig sind, um das Publikum zum entspannten Bummel zu bewegen. Und natürlich kann man in diesem Festival auch einfach eine bunte, über die Stadt verteilte Show sehen, die allein der Unterhaltung des Publikums dient, mit bunten Lichtskulpturen, flimmernden Lichtshows und an jeder Straßenecke feilgebotenem Flicker-Flacker-Krimskrams.

Mir jedoch gefällt es viel besser, in diesem Lichterfest ein Zeichen der Hoffnung zu sehen, mit Bedacht ausgesandt in der Zeit des anbrechenden Herbstes, wo die Natur in die Winterruhe geht, überall die Blätter fallen und die Bäume kahl zurücklassen, wo das Licht der Sonne nur noch wenige Stunden am Tag zu sehen ist und immer weniger wärmt und wo wir in der Gewißheit leben, daß uns nun die dunkle und kalte Zeit des Jahres bevorsteht. Ist es da nicht schön, all die leuchtenden Attraktionen zu sehen, die in allen Farben flimmernden Lichtshows am Fernsehturm, am Bebelplatz oder am Brandenburger Tor, die ätherisch-magischen Lichtskulpturen im Nikolai-Viertel, die majestätisch schwebenden Fabelwesen im Lustgarten, die an die Hauswand des Lindencorsos projizierten Naturbilder, die grazil über das Wasser des Piano-Sees gleitenden leuchtenden Schwäne und nicht zuletzt die in sanften Farben angestrahlten Bäume an verschiedenen Orten der Stadt, sie alle zu betrachten und als Botschaft der Gewißheit zu verstehen, daß auch diese Zeit der Dunkelheit vorübergehen und auf sie eine neue Zeit des Lichts folgen wird? Und wenn dann all die strahlenden, funkelnden, schimmernden und leuchtenden Kunstwerke mit Botschaften des Friedens, der Gemeinsamkeiten, der Zusammengehörigkeit, der Toleranz, des Humors, der Liebe zur Natur und zu den Menschen, kurz mit den besten Eigenschaften und Aspekten des menschlichen Lebens verbunden sind, dann fällt es nicht schwer, all dies auch auf die Dunkelheit zu übertragen, die derzeit unser Leben mehr und mehr verdüstert und das Zusammenleben in Frieden, Freundschaft und Eintracht schwerer und schwerer macht, in diesem unserem Land, in Europa, in der Welt. Doch damit auch hier das Licht zurückkehrt und diese Dunkelheit vertreibt – das vermitteln uns die auf diesem Festival of Lights gezeigten Kunstwerke – genügt es nicht, die Hoffnung zu bewahren und abzuwarten, bis es soweit ist. Dafür müssen wir selbst aktiv werden, uns jeden Tag, in unserem alltäglichen Leben, für Frieden und Toleranz stark machen und jenen entgegentreten, die uns erzählen wollen, wir seien unvereinbar verschieden und – schlimmer noch – einander feind. Nur wenn uns das gelingt, gemeinsam, dann wird die Vision unserer Zukunft, die das Thema des diesjährigen Festivals of Lights ist, irgendwann klarer und klarer und schließlich Realität.

Sie können alle Fotos auch direkt auf Flickr anschauen.
Für alle Fotos sind die Rechte vorbehalten.

Rechtlicher Hinweis:
Die Veröffentlichung meiner Fotos erfolgt unter den Bedingungen, die in den FAQ des Festivals of Lights genannt werden. Das Festival of Lights ist eine temporäre Kunstaktion, für die die Regeln des Urheberrechts gelten. Hobbyfotografen ist es jedoch für die nicht-kommerzielle Nutzung gestattet, Fotos von Motiven des Festival of Lights auch auf Social Media Plattformen zu verwenden, ohne daß eine Lizenzierung durch den Veranstalter notwendig ist. Für alle anderen Lizenzfragen kontaktiert man bitte den Veranstalter.

Lichterfest in dunklen Zeiten (I)

Dieser Beitrag ist Teil 1 von 2 der Beitragsserie "Festival of Lights 2022"

Das Jahr schreitet voran, die Zeiten werden dunkler. Und das nicht nur wegen der kürzer werdenden Tage und den immer früher anbrechenden Abenden. Mehr und mehr driftet unsere Welt in Richtung Chaos. Corona, Ukraine, Gas und Energie – Krise folgt auf Krise. Daß jede einzelne davon selbstgemacht ist – wer will das wissen? Stattdessen Drama, Betroffenheit, Verwirrung, Panik allüberall. Kaum ist uns, den Menschen in diesem Lande, noch eine Atempause vergönnt. Am besten sollen wir jeden Tag vor etwas anderem Angst haben. Schlägt man die Zeitung auf oder schaltet Radio und Fernsehen an, halten sie uns in Atem und lassen uns kaum noch zur Besinnung kommen. Zum Nachdenken schon gar nicht.

Und wo bleibt das Schöne? Das Edle? Wo bleiben Ruhe und Gelassenheit? Entspannung und Frieden? Wo bleiben all die Dinge, die kleinen und die großen, die das Leben schön und lebenswert machen? Dinge, die uns helfen, nicht von all dem Chaos, der Panik, dem Hurra- und Kriegsgeschrei verrückt zu werden und ihm gar noch blind hinterherzutaumeln? Dinge wie beispielsweise das alljährliche Festival of Lights?

Da wird aufgeregt gefragt, ob man in diesen Zeiten von Krieg und Krise, von Gas- und Energiemangel ein solches Festival überhaupt durchführen dürfe. Was für eine Frage! Darauf kann es eigentlich nur eine Antwort geben: Man darf nicht nur, man muß! … der aufziehenden Dunkelheit ein Licht entgegenstellen. Auf daß sie nicht alles umfangen möge. Auf daß dieses Licht größer und größer werde! Auf daß es wieder hell werde! Auf daß wir einander wieder erkennen können und vielleicht dieses Mal in der Menschheitsgeschichte schon vor der Katastrophe feststellen, daß wir so verschieden dann doch nicht sind und daß Haß und Gewalt niemals den Frieden bringen. Auf daß wir es diesmal schaffen, die Katastrophe abzuwenden, bevor sie eintritt. Auf daß wir wieder eine positive Vision haben. Eine Vision für unsere Zukunft[1]„Vision of Our Future“ ist das Motto des diesjährigen Festivals of Lights..

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Referenzen

Referenzen
1 „Vision of Our Future“ ist das Motto des diesjährigen Festivals of Lights.

Bei uns läuft alles…

Dieser Beitrag ist Teil 1 von 4 der Beitragsserie "Aus den Notizen eines Bahnfahrers"
Aus den Notizen eines Bahnfahrers (I)

Bahn fahren. Die Fortbewegungsart für den aufgeklärten Menschen von heute.

Bahn fahren. Das sollen wir. Denn Bahnfahren ist grün, weil gut für die Umwelt. Und das Klima. Und sowieso. Und überhaupt.

Nun, dagegen hab‘ ich gar nichts. Nicht das geringste. Ich fahre eigentlich sogar sehr gerne Bahn. So sehr, daß ich, wenn ich bisher in der Welt unterwegs war, stets einen nicht geringen Teil der Reise mit der Eisenbahn bestritten habe. Mit dem Canadian war ich von Vancouver nach Toronto quer durch Kanada unterwegs. Von dort nach Montreal und Quebec ging es auch mit der Eisenbahn. In Australien hat mich der Ghan von Alice Springs nach Darwin befördert. Und das war nicht die einzige Eisenbahnfahrt auf diesem Kontinent. Eine Ganztagesbahnfahrt von Brisbane nach Sydney ist auch ein großartiges Erlebnis, das kann ich aus eigener Erfahrung sagen. Und in Neuseeland habe ich mit dem TranzAlpine die Neuseeländischen Alpen überquert – von Greymouth nach Christchurch. Na gut, von Greymouth zum Arthur’s Pass war ich mit dem Bus unterwegs. Aber nur, weil auf der Strecke gerade Schienenersatzverkehr war. Dafür hat mich die Bahn aber von Picton, wo ein Schiff mich beim Eintreffen auf der Südinsel abgeladen hatte, nach Christchurch bringen dürfen. Was im übrigen eine großartige, ausgesprochen schöne Fahrt war. Und nahezu alle waren sie pünktlich. Und wo sie es nicht waren, gab es immerhin erstklassigen Service.

Kurz gesagt: ich liebe die Eisenbahn. Anders käme ich auch kaum durch die Lande. Ich hab‘ schließlich kein Auto. Nicht mal eine Fahrerlaubnis. (Ja, so hieß das damals bei uns in der DDR. Führerschein sagte man nicht. Wird wohl Gründe gehabt haben…)

Und so lag es natürlich nahe, daß meine erste Fahrt quer durch’s Land nach zweieinhalb Jahren Corona-Wahnsinn wieder mit der Eisenbahn vonstattengehen sollte. Für diesen großartigen Anlaß hatte ich mir sogar eine Fahrt in der ersten Klasse geleistet! An den in dieser Zeit nicht durchgeführten Fahrten hatte ich ja schließlich genug zusammensparen können…

Von meinem schönen Berlin sollte es nun also nach Bonn gehen. Früher bin ich da stets einmal im Jahr hingefahren, immer irgendwann zwischen Ende April und Anfang Juni, wenn die FedCon stattfand – DIE deutsche Convention für Science-Fiction-Fans jeden Alters. Und die war nun auch dieses Jahr endlich wieder einmal mein Ziel.

Ach ja, ich freute mich auf diese Reise. Endlich mal wieder rauskommen. Was anderes sehen. Na klar, ich liebe Berlin, aber manchmal tut etwas Abwechslung einfach gut. Und die Fahrt würde ja auch ganz bequem vonstatten gehen. Dachte ich. Am Hauptbahnhof in den ICE steigen, in der ersten Klasse – etwas ganz Besonderes für mich – gemütlich und bequem nach Köln gefahren werden, dort noch auf einen kurzen Sprung in die Regionalbahn hüpfen – und schon wäre ich da. Was könnte einfacher sein?

Wie sich herausstellte: vieles. Nahezu alles. Denn schließlich fuhr ich ja nicht mit irgendeiner Eisenbahn irgendwo in der Welt. Nein, ich fuhr mit Der Bahn. Die Bahn. Warum die beiden Buchstaben DB nicht mehr für Deutsche Bahn stehen dürfen, konnte mir bisher auch noch keiner schlüssig erklären. Jedenfalls heißt es seit geraumer Zeit nun Die Bahn. Und ich frage mich seitdem immer, ob denen eigentlich klar ist, daß sie damit ganz schön große Erwartungen wecken. Die Bahn. Nicht die deutsche Bahn, nicht die französische, nicht die indische. Nein, Die Bahn. Also wenn ich das lese, höre ich innerlich immer eine deutliche Betonung auf Die. Wie denn auch nicht? Ohne diese Betonung ergäbe dieser Eigenname ja überhaupt keinen Sinn. Oder würden Sie annehmen, daß ein Autohersteller, der in Konkurrenz zu Mercedes, BMW, Opel, Ford und all den anderen Marken tritt und sein Produkt einfach nur Das Auto nennt, damit wirklich nur sagen möchte, daß das eben ein Auto sei? Irgendeins? Wohl kaum.

Na, wie auch immer. Da stand ich nun also auf dem Berliner Hauptbahnhof und erwartete meinen InterCity Expreß, den mir Die Bahn hoffentlich pünktlich vorbeischicken würde. Nun, das tat sie. Und das war dann auch schon das Einzige, was auf dieser Fahrt wie erwartet funktionieren sollte. Aber das konnte ich zu diesem Zeitpunkt noch nicht wissen.

Frohgemut stieg ich also ein, suchte und fand meinen Sitz, verstaute meinen Koffer und nahm, wie es im Jargon Der Bahn heißt, meinen Platz ein. Und weil ich in diesem wunderbaren Land zwar sinnvollerweise ohne jegliche Beschränkung drei Tage auf einer Convention unter Tausenden von Leuten verbringen kann, aber nicht fünf Stunden Eisenbahn fahren darf, ohne wenigstens eine medizinische Maske zu tragen, setzte ich mir eine auf. Man muß es nicht verstehen, aber sich dran halten. Andernfalls wird es nicht nur teuer, sondern man auch vor die Zugtür gesetzt. Und damit ich das auch ja nicht vergaß, verkündete mir das eine Zugdurchsage auch gern und hinreichend oft. Inklusive der Konsequenzandrohung.

Derart konsequent war Die Bahn leider nicht, was ihren eigentlichen Zweck anging: die möglichst reibungslose und bequeme Beförderung der Fahrgäste, für die sie ja nicht unbedingt wenig Geld verlangt. Gut, die Preisgestaltung vermittelt oft den Eindruck, es handle sich um reine Fantasie, kann doch ein Zugticket für dieselbe Strecke preisliche Unterschiede von mehr als einhundert Euro aufweisen, je nachdem, ob man es Wochen im Voraus oder kurzfristig bucht, ob man sich auf den Zug festlegt oder nicht, ob man zu einer Veranstaltung fährt oder einfach nur so unterwegs ist, ob man… ach, der Gründe für derlei Flexibilität bei den Preisen gibt es viele bei Der Bahn. Und jedesmal, wenn ich die verschiedenen Kostenangaben sehe, frage ich mich, ob Die Bahn wirklich Züge ausfallen läßt, wenn auf diese Weise nicht genug Buchungen frühzeitig eintrudeln, spricht sie doch davon, daß Frühbucher bedeutende Rabatte bekämen, weil sie ihr aufgrund der früheren Kenntnis über die Ticketbuchung eine bessere Planung ermöglichten. Also Zugstreichung wegen zu wenig verkaufter Fahrkarten? Ich glaube, nicht. Oder? Hm. Andererseits würde das einiges erklären…

Nun saß ich also auf meinem Platz und der Zug fuhr pünktlich los. Weil ich mich noch einmal meiner Ankunftszeit vergewissern wollte, zog ich mein Mobiltelefon aus der Tasche und öffnete die App, die Die Bahn ihren Fahrgästen eigens bereitstellt: den DB Navigator. Und wer hätte es ahnen können – bei meinem Zug gab es zwei Hinweise. Der erste bedeutete mir, mich darauf einzustellen, daß die Auslastung des Zuges außerordentlich hoch sei. Danke, das hatte ich beim Einsteigen bereits selbst festgestellt, als ich mich langsam in der Menschenschlange durch den Mittelgang des Waggons vorwärts und auf meinen Platz zubewegte. Im ganzen Wagen war kein Sitzplatz mehr frei. Und das in der ersten Klasse! Da war es natürlich von Vorteil, daß ich beim Hereinkommen hatte bemerken können, daß es in meinem Waggon zwei Toiletten gab. Was uns Fahrgästen allerdings nicht das Geringste nützte, denn sie waren beide verschlossen. An den Türen prangte dafür jeweils ein Zettel, der verkündete, daß die Toiletten, zu denen sie Zugang hätten gewähren sollen, defekt seien. Nun gut, dann würde der Weg zum stillen Örtchen gegebenenfalls eben etwas weiter und die Wartezeit vor der Toilettentür etwas länger sein.

Der zweite Hinweis war dagegen von anderem Kaliber. Er teilte mir mit, daß aufgrund irgendeines Schadens an der Strecke unser Zug nicht in Bielefeld halten könne. Gleichzeitig sei für die Ankunft am Zielort Köln eine Verspätung von 75 Minuten zu erwarten.

Respekt! Kaum losgefahren und schon steht eine Verspätung von weit mehr als einer Stunde fest! Das war selbst für Die Bahn rekordverdächtig. Doch es sollte noch besser kommen… Zunächst einmal mochte sich so mancher Fahrgast ob solch einer Aussage wundern. Wieso sollte der Ausfall eines Haltes zu einer solch drastischen Verspätung führen? Nicht so ich. Mir war Derartiges bereits bei einer meiner früheren Fahrten nach Bonn einmal untergekommen. Von daher wußte ich angesichts der angegebenen Zeiten, daß der Halt in Bielefeld nicht einfach so ausfallen würde, sondern daß die Strecke wegen des Schadens wohl irgendwo gesperrt sein mußte, der Zug deswegen auf eine andere Route ausweichen und sich so die Verspätung einhandeln würde. Großartig. Na, wenigstens würde ich aber durchfahren können. Und weil ich in Köln keinen speziellen Anschlußzug erreichen, sondern nur in die Regionalbahn umsteigen mußte, die jedoch recht häufig fuhr, machte ich mir keine Sorgen. Gut, ich würde deutlich später als geplant ankommen, aber das machte nichts. Ich hatte für den Nachmittag sowieso nichts Besonders vor, und die Convention ging erst am nächsten Tag los.

Inzwischen hatte mein Zug das Einzugsgebiet von Berlin verlassen und war recht flott unterwegs. Die Elbe näherte sich, wurde erreicht und überquert. Ein interessantes Phänomen ist, daß dieser Fluß mich jedesmal, wenn ich nach Westen fahre, auf sich aufmerksam macht, und zwar unabhängig davon, ob ich die ganze Zeit aus dem Fenster sehe oder nicht. Selbst wenn ich lese, gedankenverloren Musik höre oder einen Laptop dabeihabe, auf dem ich gerade herumtippe – oft genug habe ich beobachten können, daß ich irgendwie immer hoch- und aus dem Fenster schaue, wenn mein Zug auf die Brücke fährt, die die Elbe überquert. Und zwar nicht erst, wenn ich auf der Brücke bin. Nein, kurz davor. Nahezu jedesmal. Irgendwie faszinierend. Auf der Rückfahrt klappt das merkwürdigerweise weniger zuverlässig…

Wie auch immer. Wenig später erreichte der Zug Wolfsburg, das er kurz darauf schon wieder verließ. Irgendwie habe ich jedesmal, wenn ich hier durchfahre, den Eindruck, die Stadt verpaßt zu haben. Am Bahnhof sind auf der einen Seite nur große Betonklötze zu sehen und auf der anderen hinter einem Kanal der ewig lange Fabrikbau des Volkswagenwerks.

Mein Zug hatte Wolfsburg bereits ein ganzes Stück hinter sich gelassen, da bemerkte ich bei einem Blick auf den nächsten Monitor, der sich über dem Mittelgang an der Waggondecke befand und wissenswerte Informationen zur Fahrt verbreitete, daß sich die Anzeige des Fahrtziels klammheimlich geändert hatte. Hatte dort bisher neben „Hamm Hbf.“ als finales Ziel der Reise „Köln Hbf.“ gestanden, so prangte letztere Angabe nun in knalligem Rot und war – durchgestrichen. Was zur Hölle…?

Ich wartete auf eine Durchsage. Es kam keine. Ein Blick in die App brachte mir die gleiche Information. „Fahrtziel entfällt“ stand dort noch. Na großartig! Von den übrigen Fahrgästen hatten offenbar bisher nur wenige bereits auch etwas von der Änderung bemerkt. Und noch immer keine offiziellen Informationen per Durchsage. Nach und nach sprach sich die neue Entwicklung nun aber im Waggon herum, denn zuerst langsam, dann immer schneller machte sich Hektik breit. Was zunächst mit einem Murmeln hier und da begann, schwoll schließlich an und wurde zu einem ausgeprägten Stimmengewirr. Es wurde gerätselt, was wohl los war, überlegt, wie man reagieren sollte, und gefragt, was wohl besser war: weiterfahren oder umsteigen? Und warum, zum Henker, gab es immer noch keine Informationen vom Zugpersonal?

Schließlich tauchte doch noch ein Schaffner auf. Zugbegleiter heißen die ja heutzutage. Naturgemäß hatte er es sehr schwer, durch den Waggon zu kommen, wurde er doch auf Schritt und Tritt von allen Seiten mit Fragen bestürmt.

„Ich will nach Köln! Fährt der Zug noch dorthin?“
„Nein!“
„Aber ich muß doch nach…“
„Dann steigen Sie in Hannover aus, fahren mit dem nächsten ICE nach Frankfurt und von dort über die Rennstrecke nach Köln. Von dort kommen sie dann wie gewohnt weiter.“

So ging das in einer Tour. Ich nutzte inzwischen die Zeit, bis der Schaffner bei mir ankommen würde, mit der Navigator-App zu recherchieren, was wohl die günstigste Verbindung sei, bekam aber nur heraus, daß ich bis Hamm fahren sollte, um mich dann mit zwei weiteren Regionalbahnen nacheinander bis Bonn durchzuschlagen. Das würde mir eine Ankunftszeit bescheren, die zweieinhalb Stunden nach der ursprünglich geplanten lag. Weil mir das wenig verlockend erschien, reihte auch ich mich kurzerhand unter die Fragesteller ein.

„Entschuldigen Sie bitte! Ich will nach Bonn. Wie fahre ich da am besten?“
„Da steigen Sie auch in Hannover aus, fahren von da nach Frankfurt und dann nach Siegburg/Bonn. Das geht am schnellsten!“

Immerhin, der Mann hatte Ahnung. Und ich nach dieser Auskunft nur noch wenig Zeit, denn Hannover war gleich erreicht, wie uns Fahrgästen eine Durchsage aus den Lautsprechern nun verkündete. Diese nahm sich alle Zeit der Welt, um uns in aller Ruhe zunächst die geplante Ankunftszeit und dann alle Anschlüsse und Umsteigemöglichkeiten  mitzuteilen, anschließend dasselbe nochmal auf Englisch. Und dann – endlich – wurde nun auch offiziell die Information über das entfallende Fahrtziel Köln durchgegeben. Wer es jetzt erst erfuhr, hatte praktisch keine Zeit mehr für eine ausreichende Planung seiner alternativen Route. Jedenfalls nicht vor Hannover.

Während ich meine Sachen zusammenpackte, lauschte ich den Gesprächen der Fahrgäste um mich herum. Einige wollten erfahren haben, daß eine Zugentgleisung in oder hinter Hamm die Ursache des ganzen Aufstands war. Jemand meinte sogar zu wissen, daß diese beim Rangieren stattgefunden habe und dabei irgendwie auch noch die Oberleitung beschädigt worden sei. Was davon stimmte – keine Ahnung. Eigentlich war’s mir auch egal. Ich kam nicht wie geplant weiter. Das war alles, was ich wissen mußte. Jetzt ging es darum, die alternativen Anschlüsse zu erreichen.

Der Umstieg in Hannover gestaltete sich dank der Informationen, die ich noch im Zug aus der Navigator-App gezogen hatte, einigermaßen unkompliziert. Treppe runter, rüber zum nächsten Bahnsteig, Treppe rauf. Reichlich zehn Minuten hatte ich nun Zeit, herauszubekommen, wo in dem neuen Zug die Abteile der ersten Klasse sein würden, und dann zum entsprechenden Bereich des Bahnsteigs zu gelangen. Angesichts der Länge eines ICEs ist eine entsprechende Vorbereitung durchaus sinnvoll, will man nicht – im schlimmsten Fall – den gesamten Bahnsteig entlanghetzen, wenn der Zug schon angekommen ist. Ich begab mich also zum Wagenstandsanzeiger und anschließend, als ich die nötige Information hatte, zum einen Ende des Bahnsteigs. Die erste Klasse sollte – wie gewöhnlich – am dortigen Ende des Zuges zu finden sein. Eine Platzkarte hatte ich nun natürlich nicht mehr, daher war es durchaus wichtig, bereits vor Ort zu sein, wenn der Zug einfuhr, wollte ich mir auch nur die geringste Chance auf einen Sitzplatz erhalten.

Gute fünf Minuten stand ich dann auf dem Bahnsteig herum und erwartete den Zug, als mein Blick auf den Anzeiger fiel, der den Zug ankündigte. Das Fahrtziel war Chur. Lag das nicht in der Schweiz? Bevor ich weiter darüber nachdenken konnte, erregte eine Laufschrift meine Aufmerksamkeit. „Bitte beachten Sie die geänderte Wagenreihung…“ entzifferte ich und war mit einem Mal hellwach. Geänderte Wagenreihung? Wie geändert? Stand ich hier etwa falsch? Oh Mann…

Während eine Durchsage bereits die baldige Einfahrt meines Zuges verkündete, suchte ich das kleine Zug-Piktogramm, mit dem auf den Zielanzeigern üblicherweise die Wagenreihung grob vereinfacht dargestellt wird. Die genaue Position eines bestimmten Wagens ist darauf zwar nicht erkennbar, doch immerhin der ungefähre Ort der Wagenklassen in Bezug auf den Bahnsteig. Da! Ich hatte es gefunden! Erste Klasse – am Ende des Bahnsteigs. Natürlich am jenseitigen! Ich war also tatsächlich hier völlig falsch und hatte nun nur noch höchstens eine Minute Zeit, dorthin zu gelangen, bevor der Zug einfuhr. Großartig…

Während ich nun in genau der Hektik, die ich hatte vermeiden wollen, den gesamten Bahnsteig entlangtobte – was wegen der diesen inzwischen sehr zahlreich bevölkernden zukünftigen Mitreisenden alles andere als einfach war und eher einem Slalom als einem schnellen Lauf ähnelte -, fragte ich mich wieder einmal, ob die das bei Der Bahn eigentlich absichtlich machen. Immerhin kommt das, wenn ich Zug fahre, überdurchschnittlich häufig vor. Wieder einmal ging mir die Vorstellung durch den Kopf, wie zwei Planer, die den Zug zusammenstellen, einander angrinsen und gemeinschaftlich beschließen, heute einfach mal die Wagenreihung umzudrehen. „Weißt Du“, sagt der eine zum anderen, „das wird wieder lustig. Die rennen dann immer so schön!“

Genau das tat ich nun auch. Rennen. Von einem Ende des Bahnsteigs zum anderen. In Gedanken wünschte ich den beiden Planern in meiner Vorstellung allerlei unerfreuliche Dinge an den Hals. Nicht, daß es mir etwas geholfen hätte, aber immerhin konnte ich so meinen Ärger etwas kanalisieren.

Ich traf etwa zeitgleich mit dem Zug an meinem Zielort ein. Da die Wartenden auf dem Bahnsteig kaum einmal bereit waren, den diesen entlang eilenden Mitreisenden freiwillig auch nur einen Zentimeter Platz zu machen, hatte ich mich in der Regel vor ihnen vorbeidrängen müssen, was zur Folge hatte, daß ich nun unverhofft einer der ersten an der Tür war. So gelang es mir erfreulicherweise, einen Sitzplatz an einem Tisch in der ersten Klasse zu ergattern – praktisch denselben, den ich auch in meinem ursprünglichen Zug innegehabt hatte. Kurz darauf war der Waggon bis auf den letzten Sitz mit Fahrgästen gefüllt. Für die übrigen blieben nur noch Stehplätze.

Uff. Glück gehabt. Das war knapp. So konnte ich die nächsten zwei Stunden Fahrt nun wenigstens im Sitzen verbringen und hatte nichts auszustehen. Die damit verbundene Ruhe nach der Hektik am Bahnhof von Hannover war sehr angenehm. Hätte ich allerdings gewußt, was Die Bahn noch für mich in petto hatte, ich wäre dafür in diesem Moment noch viel dankbarer gewesen…

In Frankfurt, das hatte ich bereits den Informationen in der App entnommen, standen mir nur wenige Minuten Zeit für den Umstieg in den nächsten ICE, der nach Essen fahren und mich nach Siegburg/Bonn bringen sollte, zur Verfügung. Glücklicherweise würde ich wenigstens nicht den Bahnsteig wechseln müssen, denn der Abfahrtsort würde das gegenüberliegende Gleis sein. Dachte ich jedenfalls.

Kaum war ich jedoch ausgestiegen, vernahm ich auch schon eine Durchsage, die mir verkündete, daß der ICE Nummer Sowieso in Richtung Essen etwa fünf Minuten Verspätung haben und heute vom Gleis Acht fahren werde. Gleis Acht! Das war ganz sicher nicht an meinem Bahnsteig. Ich war begeistert, bedeutete das doch, daß ich die nächste Rennerei vor mir hatte. Vom Ende des Bahnsteigs, an dem ich mich aufhielt und das weit außerhalb der großen Bahnhofshalle gelegen war, mußte ich nun zunächst zu einer Treppe gelangen. Das erwies sich schon bald als außerordentlich weiter Weg, da sich der nächste Abgang erst irgendwo innerhalb der Halle befand. Dort angekommen, mußte ich feststellen, daß sich aufgrund der engen Treppe die Reisenden an ihrem oberen Ende massiv stauten – ein Traum, wenn man es eilig hat. So blieb mir genug Zeit, eine nebenan angebrachte Anzeigetafel zu überfliegen und herauszufinden, daß neben dem von mir anvisierten Zug nach Essen tatsächlich nun Gleis Acht als Abfahrtsort angegeben war. Ich hatte mich also nicht verhört.

Schließlich war auch ich an der Reihe, die Treppe benutzen zu können. So schnell es angesichts der vielen Menschen eben ging, eilte ich hinab, der Ausschilderung folgend durch den engen Tunnel hinüber zum Nachbarbahnsteig und die dortige Treppe wieder hinauf, dabei immer darauf achtend, weder mit meinem Rucksack noch mit meinem Koffer meine Mitmenschen mehr als unbedingt nötig zu belästigen. Oben angekommen, gewahrte ich einen ICE, der an Gleis Acht bereitstand, und direkt vor mir eine weit offen stehende Tür. Eins, zwei, fix war ich drin und atmete tief durch. Geschafft.

Ich weiß nicht, was mich mißtrauischer machte – die Tatsache, daß der Zug trotz der angekündigten Verspätung bereits da war, oder die, daß ich mich bei dieser aufs Geratewohl ausgewählten Tür tatsächlich in der ersten Klasse befand. Das konnte doch nicht mit rechten Dingen zugehen!

Ging es auch nicht. Ein Blick auf den kleinen Monitor neben der Tür belehrte mich, daß ich mich im falschen Zug befand. Dort stand nicht Essen, sondern, soweit ich mich angesichts der Hektik, in die ich gleich darauf erneut ausbrach, korrekt erinnere, Hamburg. Auch das noch! Samt Koffer und Rucksack machte ich kehrt und stand kurz darauf wieder auf dem Bahnsteig. Aber wenn das hier auf Gleis Acht der Zug nach Hamburg war, überlegte ich, wie sollte dann der Zug nach Essen mit nur fünf Minuten Verspätung ebenfalls von hier abfahren, war doch seine eigentliche Abfahrtszeit bereits heran? Da stimmte doch was nicht!

Ich schaute auf den Anzeiger, der sich auch hier neben der Treppe befand, und glaubte, meinen Augen nicht trauen zu können. Essen, Gleis Sieben, stand dort. Gleis Sieben? Da kam ich doch gerade her! Wollen die mich foppen? Während ich mich ein weiteres Mal fragte, ob die bei Der Bahn sowas eigentlich absichtlich machen, bahnte ich mir bereits hektisch den Weg zurück. Treppe runter, durch den Tunnel, Treppe rauf! Diesmal brauchte ich keine Beschilderung, um den Weg zu finden. Oben angekommen, stellte ich fest, daß tatsächlich ein ICE auf Gleis Sieben bereitstand. Und obwohl ich immer noch in Eile war, nahm ich mir diesmal die Zeit, auf den Zielanzeiger zu schauen. Essen Hbf. Na immerhin. Und wo ist die erste Klasse? Na wo wohl. Am Ende des Bahnsteigs. Immerhin an dem, der sich in der Bahnhofshalle befand. Da war der Weg wenigstens nicht ganz so weit.

Eine offene Tür mit der nebenstehenden großen Eins empfing mich am letzten Wagen des Zuges. Ich stieg ein und begab mich auf Platzsuche. Als ich schließlich an der nächsten Tür und gleichzeitig am Ende des Zuges angekommen war, mußte ich wohl oder übel einsehen, daß kein einziger Sitz mehr frei war und ich die weitere Fahrt über würde stehen müssen. Na gut. Mittlerweile konnte mich das auch nicht mehr wirklich erschüttern. In einem Anflug von Galgenhumor fiel mir der gute alte Spruch wieder ein, den wir in den Zeiten der DDR bereits auf die Deutsche Reichsbahn angewandt hatten, der nun aber auch perfekt auf Die Bahn zu passen schien:

Die Bahn – Genießen Sie die Fahrt in vollen Zügen!

Glücklicherweise würde diese Fahrt nur runde fünfundvierzig Minuten dauern. Das könnte ich wohl aushalten.

Doch noch fuhr der Zug nicht. Ich verstaute meinen Koffer und meinen Rucksack, so gut es ging, damit sie sich nicht im Weg befanden, und stand dann im Türraum des Waggons. Auf dem Boden neben mir hatte sich eine Frau mit einem Kleinkind auf dem Schoß niedergelassen, die in kurzen Abständen auf den Schaffner, der draußen auf dem Bahnsteig neben der Tür stand, einredete. Aus dem, was sie sagte, konnte ich entnehmen, daß ihr auf dem Weg zum Zug der Wind die Fahrkarte aus der Hand gerissen und auf ein Gleis geweht hatte, so daß sie sie nicht wiederbekommen konnte. Nun sei ihre Freundin unterwegs, eine neue zu kaufen. Ob wir denn warten könnten? Der Schaffner war die Ruhe selbst. So sehr, daß er überhaupt nicht reagierte. Die gute Frau erhielt keinerlei Antwort und wurde von ihm komplett ignoriert. Unbeeindruckt von ihren ständigen Fragen machte er sich gerade bereit, mit seiner Kelle Abfahrtbereitschaft zu signalisieren, als in letzter Minute eine weitere Frau zur Tür gerannt kam, eine Fahrkarte hereinreichte und die Reisende auf dem Boden damit zur in diesem Moment erleichtertsten Frau der Welt machte. Dann schloß sich auch schon die Tür hinter dem inzwischen eingestiegenen Schaffner und der Zug setzte sich in Bewegung.

Die Fahrt dauerte nur wenige Minuten, denn der nächste Halt war der Flughafen Frankfurt. Zu meiner übergroßen Freude erhoben sich kurz vor Erreichen des Bahnhofs mehrere Fahrgäste von ihren Plätzen und begaben sich in Richtung Türen, was mir Gelegenheit gab, doch noch einen Sitzplatz zu ergattern. Erfreulicherweise fand ich einen, der erst ab Siegburg wieder reserviert war, was mir vollkommen ausreichte, denn weiter wollte ich nicht mitfahren. Ich holte meinen Koffer und meinen Rucksack aus der Nische, in die ich sie verfrachtet hatte, und setzte mich – dankbar, meinen Stehplatz im Türraum aufgeben zu können, hatte doch das bisher Erlebte das Kind der Frau offenbar so aufgewühlt, daß es die nächste Zeit im wesentlichen aus voller Kehle schreiend verbrachte. Ein Umstand, den ich nicht unbedingt aus nächster Nähe hätte miterleben wollen, was ich ohne den Sitzplatz aber wohl gemußt hätte, denn die Mutter hatte es vorgezogen, auf dem Boden des Türraums sitzen zu bleiben.

Während ich nun auf meinem Platz saß und versuchte, mich von der Hektik des Umstiegs in Frankfurt, die mich einiges an Schweiß gekostet hatte, zu erholen, konnte ich schräg über mir auf dem Monitor unter der Waggondecke die angezeigten Texte und Bilder studieren. Neben Uhrzeit, Zugnummer und aktueller Geschwindigkeit – phasenweise erreichte der Zug tatsächlich 300 km/h, so daß sich der Begriff Rennstrecke für diesen Teil der Fahrt als durchaus zutreffend erwies – zeigte mir Die Bahn auch jede Menge Werbung – für sich und ihre angebotenen Dienste.

DB Navigator:
Schneller den richtigen Platz finden
Mit der aktuellen Wagenreihung in der App.

Offenbar, so ging es mir durch den Kopf, ist die Änderung der Wagenreihung für Die Bahn mittlerweile ein Normalzustand. Warum sonst sollte sie ihrer App eine Funktion spendieren, die die – wohlgemerkt – aktuelle Wagenreihung präsentiert und diese auch noch bewerben? Und nützlich wäre eine solche Funktion ja auch nur dann, wenn man überhaupt einen Platz hat, den man finden möchte. Das war, was mich betraf, bei dem heutigen Chaos, das Die Bahn veranstaltet hatte, ja nur bei einem von drei Zügen der Fall.

Während ich noch darüber nachdachte, zeigte der Monitor bereits die nächste Werbung:

Jetzt mehr veganer & vegetarischer Genuss an Bord.
Schauen Sie gerne in der Bordgastronomie vorbei.

Nun, das reizte mich nicht so sehr. Ich fragte mich nur, warum da eigentlich nicht stand, daß durchaus nicht jeder in der so gepriesenen Bordgastronomie willkommen war, galt doch diese Aufforderung nur Leuten, die der 3G-Regel genügten. Man müßte also bereits vor Antritt der Fahrt wissen, daß einen später im Zug der Hunger ereilte. Zumindest, wenn man zu jenen gehörte, die einen Test benötigten. Was eigentlich, wenn man das ernst nehmen wollte, nach aktueller Erkenntnislage alle sein müßten. Aber lassen wir das.

Mittlerweile war wieder etwas anderes zu lesen:

Von Amsterdam über Frankfurt bis Zürich.
Geschäftsreisen macht man mit der Bahn.

Ein bitteres Lachen bahnte sich unwillkürlich seinen Weg durch meine Kehle. Also wenn Die Bahn Geschäftsreisenden denselben Service angedeihen ließ, den ich heute auf meiner Fahrt erleben durfte, dann würde sie sich unter diesen sicher kaum viele Freunde machen.

Als ich in Siegburg/Bonn den Zug schließlich verließ, war ich froh, daß meine von Der Bahn veranstaltete Odyssee nun ihr Ende gefunden hatte. Das war selbst dann noch der Fall, als mir klar wurde, daß sie mich, wenn man es genau nimmt, gar nicht dorthin gebracht hatte, wofür ich bezahlt hatte. Gebucht hatte ich eine Fahrt bis zum Bonner Hauptbahnhof. Nun aber stand ich in Siegburg, das zwar zum Einzugsgebiet von Bonn gehört, von dem aus es aber noch einer guten dreiviertelstündigen Fahrt mit der städtischen Straßenbahn bedurfte, um zum Bonner Hauptbahnhof zu kommen – einem Verkehrsmittel, das mit Der Bahn nichts, aber auch gar nichts zu tun hat. Immerhin war ich all dem Streß, dem ich ausgesetzt war, zum Trotz nur wenig später als ursprünglich geplant am Ziel meiner Fahrt angekommen.

Ob dieser mein Bericht über meine heutige Fahrt mit Der Bahn dazu beitragen wird, ihre Etablierung als verkehrstechnische Alternative zum Auto zugunsten von Mitwelt und Klima zu befördern? Ich bezweifle es. Was man ihm jedoch ohne weiteres entnehmen kann, ist ein Eindruck, was dabei herauskommt, wenn man für das Gemeinwohl notwendige Unternehmen wie Die Bahn auf Gedeih und Verderb auf Profit trimmt oder gar gänzlich privatisiert.

Nachtrag

Die von mir mit Spannung erwartete Rückfahrt vier Tage später – was würde da wohl passieren? – verlief zu meinem Glück deutlich entspannter. Von einem guten Rundum-Service kann jedoch auch dabei keine Rede sein.

Den Anfang machte die von einem Privatunternehmen betriebene Bahnhofstoilette am Hauptbahnhof von Köln. Abgesehen davon, daß der gesamte riesige Bahnhof offenbar nur über ein einziges Etablissement dieser Art verfügt – ich konnte jedenfalls kein zweites finden -, erwies sich dieses als unbenutzbar. Der Bereich für die männlichen Vertreter der Schöpfung war komplett gesperrt, so daß die Damen gezwungen waren, den ihren zu teilen. Das wiederum hatte aber zur Folge, daß – der blödsinnigen Idee eines zeitweiligen Neun-Euro-Tickets für einen darauf überhaupt nicht vorbereiteten öffentlichen Nahverkehr sei Dank – der Andrang derart groß war, daß die Schlangen an der Toilette endlos waren. Dort konnte sich gelassen nur anstellen, wer bis zur Abfahrt seines Zuges wenigstens noch eine Stunde Zeit und es überdies hinsichtlich der Verrichtung seines Bedürfnisses nicht übermäßig eilig hatte. Das Personal schien in der Zeit, in der ich mir das Drama vor dem Zugang zu der Anstalt anschaute, mehr damit beschäftigt sein, die Wartenden zu kanalisieren, zu betreuen und bei der Bedienung der Zugangsautomaten zu unterstützen, als daß es Zeit für die Reinigung der Anlage hätte aufbringen können.

Daß die Wagenreihung auch bei dieser Fahrt wieder einmal umgekehrt zu der eigentlich am Wagenstandsanzeiger angegebenen war, ist fast nicht notwendig zu erwähnen. Das scheint bei Der Bahn  sowieso schon der Normalzustand zu sein.

Für die Fahrgäste der ersten Klasse hatte sich Die Bahn dieses Mal etwas Besonderes ausgedacht, damit sie ihren Platz auch ausreichend würdigten, wenn sie ihn denn erreicht hatten. Für eineinhalb Waggons der ersten Klasse  – einen mußte sie sich mit dem Bordbistro teilen – gab es so statt zwei lediglich eine einzige funktionierende Tür, die sich ganz am Ende des Zuges befand. Wie einer der Fahrgäste treffend bemerkte: „Wir können froh sein, wenn nur die Tür kaputt ist.“

Immerhin waren diesmal die Toiletten funktionsfähig. Als der Zug in Hamm eintraf, stiegen plötzlich jede Menge Fahrgäste zu. Wie ich ihren Unterhaltungen entnehmen konnte, hatte man sie eine Stunde zuvor aus ihrem Zug gescheucht, der seine Fahrt aus irgendwelchen Gründen nicht mehr fortsetzte. Das kam mir bekannt vor. Mir blieb in diesem Augenblick nur, mit ihnen Mitleid zu haben und gleichzeitig froh zu sein, daß dieses Mal nicht mir dies Ungemach widerfuhr.

Die trotz pünktlicher Abfahrt am Ende zu Buche schlagende Verspätung von etwas mehr als einer halben Stunde muß bei Der Bahn in heutiger Zeit wohl schon als pünktliche Ankunft gelten, auch wenn gegen Ende der Fahrt die per Durchsage bekanntgegebenen Informationen über nicht mehr erreichbare Anschlußzüge lang und länger wurden.

Zu guter Letzt kam ich dann wohlbehalten wieder zu Hause an. Als Fazit dieser meiner Wochenendreise mit Der Bahn bleibt jedoch am Ende leider nur ein weiterer ironischer Werbespruch aus den Zeiten der guten alten Deutschen Reichsbahn:

Die Bahn – Bei uns läuft alles, bald laufen auch Sie!

Für meinen Vater

Zum 80. Geburtstag

Im neunzehn-einundvierziger Jahr,
Krieg tobte in allen Breiten,
erblicktest Du das Licht dieser Welt,
die alles war, nur nicht zum Besten bestellt,
in jenen gar dunklen Zeiten.

Ein schwerer Anfang war es fürwahr,
der Dir auf Erden beschieden,
Denn Not und Elend bemaß man nach Jahren,
bis niedergerungen die Kriegstreiber waren
und endlich einzog der Frieden.

Und blieben die Zeiten zunächst auch schwer,
das Leben begann, sich zu lichten,
Als Jüngster umsorgt vom Familienrund,
brachte die Kindheit manch frohe Stund‘
und die Schule auch erste Pflichten.

In Schule und Lehre, da lerntest Du,
auf Dein Können stets zu vertrauen.
Und daß dieses groß war, sprach rum sich flott,
schon stand vor der Tür die FDJ –
es galt, ein Land aufzubauen.

Talent und Können auch beim Gesang
mußt‘ man neidlos Dir zuerkennen.
Man fragt‘ „Wo spielt denn das Radio so schön?“
Dabei konnt‘ man Dich singend sitzen seh’n
auf dem Dach, beim Bau von Antennen.

Und auch am Sonntag, beim Tanz, gabst Du gern
eine kleine Gesangseinlage,
Du gefielst einem Mädchen, und sie Dir auch sehr,
Ihr traft Euch wieder, daraus wurde mehr.
Bald stelltest Du DIE eine Frage.

Ihre Antwort war „Ja“! Und daraus entstand
eine wunderbar lange Ehe,
Ihr habt stets geliebt, viel gelacht, kaum geweint,
und was auch geschah, Ihr standet vereint,
ganz gleich, ob in Wohl oder Wehe.

Dabei war es anfangs gar nicht so leicht,
gemeinsam durch’s Leben zu gehen.
Erst Wehrdienst, dann Studium führten Dich fort,
zu näherem oder auch fernerem Ort,
Ihr konntet Euch selten nur sehen.

Und dann war’s geschafft. Doch mit dem Erfolg
kamen neue Herausforderungen.
Die Arbeit führte Euch nun nach Berlin,
gemeinsam zogt Ihr für immer dorthin,
Ihr und Eure beiden Jungen.

Die eigene Wohnung nach einigen Jahr’n,
die konntet Ihr nicht einmal testen.
Die Kultur zu vertreten im fremden Land,
hat man gern ’nen fähigen Mann zur Hand.
Drum schickte man mit Dir den Besten.

So ging es nach Ungarn, nach Budapest,
Kulturen sollt’st Du verbinden,
Künstlern zu helfen warst Du stets bereit,
Beruflich war’s Deine glücklichste Zeit
Und der Abschied schwer zu verwinden.

Noch weitaus schwerer wurde es dann,
als sie’s Ende des Landes beschlossen.
Erst standen sie auf für Demokratie,
dann beugten sie für D-Mark das Knie,
das hat Dich dann doch sehr verdrossen.

Doch Aufgeben war keine Sache für Dich,
Man konnte Dich nicht unterkriegen.
Du fingst nochmal ganz von vorne an,
wurdest Heizölverkäufer und ließest dann
den Kunden das Öl nie versiegen.

Bei Dir hatte selbst der Krebs keine Chance
und suchte verzweifelt das Weite.
Bei Dir Fuß zu fassen hat er nicht geschafft.
Du schlugst ihn mit Mut und mit Willenskraft
Und mit der Frau an Deiner Seite.

Nun hast Du die runde Achtzig erreicht,
Ein Meilenstein, gar keine Frage.
Und auch, wenn es schon mal hier und da zwickt,
nicht jedes Gelenk mehr ganz so leicht knickt,
für Dich ist das kein Grund zur Klage!

Sicher wirst Du mit Deinen nun achtzig Jahr’n
auf manch Vergang’nes rückschauen.
Doch bitte nur aus historischem Grund,
Denn besser sollt’st Du nach vorn blicken und
stets auf die Zukunft vertrauen.

Die Achtzig, was für ein Meilenstein!
Ein großer Geburtstag! Ein runder!
Ich denke, wenn Du so weitermachst,
mit Optimismus das Leben anlachst,
wär’n hundert Jahre kein Wunder.

© 2021, Alexander Glintschert. Alle Rechte vorbehalten.

Ballade von der wiederkehrenden Null

Für meinen Bruder zum 60. Geburtstag

Die erste Null war so wunderbar schön,
Da konnt‘ man das Licht dieser Welt erstmals seh’n.
Man war ach so zart, unschuldig und klein,
Wußt‘ gar nichts davon, wie das Leben wird sein.

Mit Zehn traf man dann auf Null Nummer zwei.
Die Schulzeit war da noch lang nicht vorbei.
Doch unbeschwert kümmerte man sich kaum drum,
Mit Lernen und Spielen ging die Zeit sehr schnell rum.

Um die Zeit scherte man sich auch dann noch nicht viel,
Als mit Zwanzig die dritte Null ins Leben fiel.
Man träumte, probierte und plante voraus
Und wenn mal was schiefging, so lernte man draus.

Und dann stand die Dreißig unverhofft vor der Tür
Und bracht‘ als Begleitung mit Null Nummer Vier.
Die nahm man auf einmal nicht mehr gar so leicht,
Denn die Mitte des Lebens war plötzlich erreicht.

Ist vorüber die Jugend? fragte mancher sich bang.
Derweil der Ernst des Lebens in selbiges drang.
Und grad als man sich konnt‘ gewöhnen daran,
da eilte auch Null Nummer fünf schon heran.

Beruf und Familie, Kinder, Frau, Hund,
es ging eigentlich fast tagtäglich rund.
So blieb nicht viel Zeit, auf das Alter zu seh’n,
Plötzlich war man Fünfzig, sah die sechste Null steh’n.

Nun hast Du die Sechzig gerade erreicht.
Und egal, was Du machst, die siebte Null weicht
Dir nicht von der Seite. Sie bleibt eisern dort,
auch wenn Du Dir noch so sehr wünschst, sie wär‘ fort.

Es sagte vor Jahren ein sehr weiser Mann:
Lang wird nur leben, wer auch alt werden kann.
Drum umarme die Sechzig! Sei zufrieden mit ihr!
Begrüße sie freudig! Sie gehört nun zu Dir.

Sechzig und kein bißchen weise – na und?
Wenn Du es nur willst, geht es noch immer rund!
Lebe den Tag! Und dann, Du wirst seh’n,
kommen mindestens Null Nummer acht, neun und zehn.

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