Fliegerviertel und Eisenbahnkreuz

Dieser Beitrag ist Teil 2 von 3 der Beitragsserie "Grüner Hauptweg Nr. 18"

Berlin ist ein Ort voller Geschichte und Geschichten. Und auch wenn diese durchaus nicht immer nur schön sind, lohnt es sich doch, offenen Auges durch die Stadt zu wandern und sich mit dem Gesehenen zu beschäftigen. Viel Interessantes läßt sich dabei herausfinden und lernen.

So bot mir auch die zweite Etappe auf dem Grünen Hauptweg Nummer 18, dem Inneren Parkring, obwohl sie um vieles kürzer als die erste war (warum, will mir heute, gute acht Jahre später, durchaus nicht mehr einfallen), einige dieser Geschichten. Ich mußte nur hinschauen und – zugegeben – nachlesen. Nicht alles ist einfach so zu sehen und liegt offen zutage.

Da war zunächst das Stadtviertel mit dem etwas profanen Namen Neu-Tempelhof. Daß man es auch das Fliegerviertel nennt, war mir bis dato nicht bekannt. Beschäftigt man sich aber mit den Personen, nach denen viele der Straßen dort benannt sind, erkennt man den Grund: es sind Flugpioniere und – Kampfpiloten des Ersten Weltkrieges. Das Wunder des Fliegens wird von den Menschen eben nur allzu oft für das Grauen des Krieges mißbraucht… Daß viele der Straßen ihre Namen von den deutschen Faschisten erhielten, stört heute offenbar nicht sehr.

Auf deren Verbrechen stieß ich auf der Wanderung im übrigen unmittelbar beim Verlassen des Fliegerviertels. Ein kleine metallene Gedenktafel an einem von mehreren roten Ziegelbauten in der General-Pape-Straße wies mich auf das SA-Gefängnis Papestraße hin, in dem bereits kurz nach der Machtergreifung der Faschisten ihnen unliebsame und widerständige Menschen gefoltert und ermordet wurden. Ergänzt wird die kleine Tafel durch einen Gedenk- und Lernort, der in einem der Gebäude untergebracht ist. Diese schön anzusehenden roten Ziegelbauten waren übrigens – der Straßenname läßt es bereits erahnen – einst eine Kaserne, in der die preußischen Eisenbahnregimenter untergebracht waren – direkt an der Strecke der Anhalter und Dresdener Eisenbahn. Da waren sie schon wieder, die Kriegsgeschichten. Nicht nur die Erfindung des Fliegens mißbrauchten die Menschen zu kriegerischen Zwecken, der Eisenbahn war im Jahrhundert davor bereits das gleiche Schicksal widerfahren. Dafür fand sich allerdings keine Gedenktafel. Dafür gleich zwei, die mich darauf hinwiesen, daß in den Kasernenbauten in den 1950 und 1960er Jahren Menschen untergebracht worden waren, die die DDR verlassen hatten. Platz war dafür genug, denn die Eisenbahnregimenter gab es bereits seit dem Ersten Weltkrieg nicht mehr…

Gleich nebenan hat sich die Moderne ihr Recht erkämpft, das Antlitz der Gegend bestimmen zu dürfen – in Form des stählernen und gläsernen Kolosses des Bahnhofs Südkreuz, der wie ein riesiges notgelandetes Raumschiff in der Gegend herumsteht und alle Wege zu versperren scheint, so daß mir nichts anderes übrigblieb, als ihn weiträumig zu umgehen, es sei denn, ich wollte mitten hindurch, was einer Stadtwanderung aber etwas unangemessen wäre. Die Planer des Grünen Hauptwegs hatten das wohl genauso gesehen… Der Weg nahm einige Zeit in Anspruch, sind die Ausmaße dieses Kreuzungspunktes der heutigen Nord-Süd-Eisenbahn mit der Ringbahn doch durchaus gewaltig. Gleich an seinem Anfang stieß ich auf zwei weitere Erinnerungstafeln, die mir das einstige Erscheinungsbild des Bahnhofs Papestraße, wie der Bahnhof ursprünglich einmal hieß – ich kann mich daran noch erinnern -, zeigten. Es war gut, daß ich sie entdeckt hatte; so konnte ich das letzte verbliebene Relikt des alten Bahnhofs auf meinen Weg um sein modernes Pendant herum leicht finden.

Dieser Weg führte mich durch zahlreiche, etwas bedrückend einengend wirkende Betonbrücken, an deren Ende ich mich jedesmal des Gefühls nicht erwehren konnte, nach langem Aufenthalt unter Tage endlich wieder ans Licht gelangt zu sein. Es gibt definitiv schönere Abschnitte auf dem achtzehnten Grünen Hauptweg.

Dann jedoch hatte ich den Bahnhof hinter mir und wanderte weiter, bis ich vor dem großen runden Metallgerüst stand, daß man in Berlin allenthalben schon von sehr weitem sehen kann, den Weg ins schöne Schöneberg weisend: das Gasometer. Kurz nach seiner Fertigstellung 1910 war es eines der drei größten in Europa. In Betrieb ging es drei Jahre später. Nun, heute steht nur noch das Gerüst. Seit 1995 ist es stillgelegt, sein Betrieb beendet.

Beendet war an dieser Stelle zwar noch nicht meine Wanderung, die mich noch bis zum Rathaus Schöneberg führte, wohl aber meine Lust zum Fotografieren. Gab es keine ansprechenden Motive mehr? Das weiß ich heute nicht mehr zu sagen. Vielleicht war aber auch einfach nur der Akku meiner Kamera leer. Wer weiß… Aber auf jeden Fall ein Grund, die Wanderung zu einem späteren Zeitpunkt einmal zu wiederholen. Doch auch ohne Fotos vom letzten kurzen Stück des Wegs hatte ich allemal genug Stoff zum Nachdenken ob des Gesehenen…

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Häfen, Kanäle und ein böhmisches Dorf

Dieser Beitrag ist Teil 1 von 3 der Beitragsserie "Grüner Hauptweg Nr. 18"

Berlin ist eine Stadt der Merkwürdigkeiten.

Hier ist es nicht nur ohne weiteres möglich, auf einer Stadtwanderung sowohl einen Flußhafen als auch einen Flughafen zu besuchen, sondern dabei auch noch feststellen zu müssen, daß beide gar nicht mehr in Betrieb sind. Das klingt wie böhmische Dörfer? Kein Problem – dieselbe Wanderung führt auch noch mitten durch ein solches hindurch.

Das glauben Sie nicht? Nun, eben diese Wanderung habe ich im April des Jahres 2014 absolviert. Sie begann im schönen Bezirk Friedrichshain am Boxhagener Platz und folgte dem Grünen Hauptweg Nummer 18 bis zum S-Bahnhof Tempelhof. Wenn Sie mögen, dann wandern Sie doch mit mir durch die dabei entstandene kleine Fotoserie, vorbei am Osthafen, am Landwehr- und am Neuköllner Schiffahrtskanal entlang mitten hinein in das historische Rixdorf mit seinem Böhmischen Dorf, von dort durch den malerischen Körnerpark und weiter die alte östliche Einflugschneise des Tempelhofer Flughafens entlang, bis wir dessen früheres Flugfeld erreichen, das heute unter dem Namen Tempelhofer Feld bekannt ist.

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Angst? Kauf ich nicht!

Dieser Beitrag ist Teil 6 von 8 der Beitragsserie "Gedanken zum Jahreswechsel"

„Vorbei. Aus. Vorüber.

Und auch, wenn ich versucht bin, noch ein „Endlich!“ hinterherzudenken, tue ich es nicht. Denn das Jahr mag zu Ende gegangen sein. Die aktuelle Situation ist es nicht.“

Hätte ich diese Sätze nicht in Anführungszeichen gesetzt, sondern diesen Text ohne weiteres mit ihnen begonnen – man würde nicht merken, daß sie ein Zitat sind. Ich hätte sie unverändert direkt als Fazit für dieses ausgehende Jahr 2021 schreiben können. Tatsächlich aber entstammen sie meinem Jahresendtext von 2020.

Und allein diese Tatsache zeigt, daß sich seitdem wenig geändert hat.

„Momentan haben alle Angst. Aber jeder vor etwas anderem. Vor einem Virus. Vor dem Tod. Vor den Maßnahmen dagegen. Vor dem Zerfall der Gesellschaft. Vor was weiß ich.“

Auch das schrieb ich vor einem Jahr. Und es stimmt nach wie vor. Vorangekommen sind wir nur bei den Gründen für die Angst. Die sind vielfältiger geworden. Manchmal kommt es mir vor, als befände ich mich auf einem riesigen Markt, bei dem ich den Ausgang nicht finden kann. Und überall stehen Marktschreier und brüllen sich die Seele aus dem Leib:

„Heute wieder Angst im Angebot! Wer will noch mal, wer hat noch nicht?! Wir haben für jeden die passende Furcht dabei! Greifen Sie zu! Was soll es sein? Viren? Virusvarianten? Krankheit und Tod? Medizinische Nebenwirkungen? Zwang? Ausgeschlossen werden? Alleinsein? Und das war noch längst nicht alles! Was, Sie wollen nicht? Sie brauchen keine Angst? Papperlapapp! Glauben Sie ja nicht, Sie könnten uns entkommen! Früher oder später haben wir auch Sie am Haken…“

Und ich? Ich versuche, nicht hinzuhören. Wozu auch? Das trägt nichts, aber auch gar nichts dazu bei, das Leben in irgendeiner Weise besser zu machen. Ganz im Gegenteil.

Situationen wie diese, in der wir alle gerade stecken, sind schwer zu ertragen. Für den einen mehr, für die andere weniger, doch spurlos gehen sie an keinem vorüber. Aber wenn ich etwas benennen sollte, was daran vielleicht doch auch ein ganz kleines Bißchen gut sein könnte, so wäre es die Möglichkeit, daß sie einem vor Augen führen können, was für einen selbst im Leben wichtig ist und was nicht. Bereits im vorangegangenen Jahresendtext habe ich mich mit diesem Gedanken beschäftigt. Und ihn in diesem Jahr weiterverfolgt.

Und das hatte durchaus Folgen. Einen Jobwechsel beispielsweise. Der war ebenso unverhofft wie erfolgreich. Nicht, daß ich unglücklich in meiner alten Stelle gewesen wäre. Aber es hat eben doch etwas gefehlt. Ein größerer Zusammenhang sozusagen. Man könnte es auch einen tieferen Zweck nennen. Daß ich diesen mittlerweile immer wieder neu suchen mußte, hatte sich schon etwas länger abgezeichnet, ist mir aber erst in diesem Jahr so richtig klar geworden. Und wie das manchmal so ist, wenn man sich Dinge bewußt macht und sie annimmt, ergeben sich plötzlich und zufällig Gelegenheiten zur Änderung. Aber vielleicht sind diese ja gar nicht so zufällig? Vielleicht ist es erst diese neue Haltung, die man mit der Erkenntnis und ihrer Akzeptanz eingenommen hat, die einen diese scheinbar zufälligen Gelegenheiten überhaupt sehen läßt? Wie dem auch sei – mir legte sich der Weg zu einer solchen Gelegenheit unter die Füße und ich entschloß mich, ihn zu gehen. Keine ganz leichte Entscheidung in der aktuellen Situation, aber ich habe sie getroffen. Jetzt ist schon wieder ein halbes Jahr im neuen Job vergangen. Die Probezeit ist überstanden und ich bin rundum zufrieden.

Die Überlegung, was für mich wichtig ist und was nicht, führte mich in diesem Jahr noch zu einer gänzlich anders gelagerten Entscheidung. Daß intensiver Medienkonsum dem eigenen Wohlbefinden nicht wirklich gut tut, hatte ich bereits letztes Jahr festgestellt. Und so habe ich ihn – trotz einer Phase, in der ich diesen Vorsatz etwas aus den Augen verloren hatte – in diesem Jahr auch weiter eingeschränkt. Nicht mehr überall das Ohr hinhalten, nicht mehr überall mitlesen, um nur ja nichts zu verpassen. Dabei geht es gar nicht mal so sehr um Pausen beziehungsweise medienfreie Zeiten. Klar, die sind manchmal ganz nützlich. Vor allem, um zur Ruhe zu kommen. Da man sich, will man nicht völlig ahnungslos bleiben, aber doch hin und wieder informieren muß, ist ein anderer Aspekt jedoch viel wichtiger. Und der heißt Auswahl. Rationale Stimmen identifizieren und diese auswählen, während man die Kakophonie der sich gegenseitig überbrüllenden medialen Widersacher konsequent ausblendet. Das ist nicht einfach, aber allein das hilft, in dem Durcheinander von Nachrichten, Falschmeldungen, Meinungen, Beeinflussung und Propaganda, das aus allen Richtungen zu jeder Zeit auf uns einprasselt, nicht völlig unterzugehen und – da bin ich wieder beim Anfang dieses Textes – kopflos in alle möglichen Ängste zu verfallen.

Doch diese Auswahl – und jetzt komme ich zu der Entscheidung, die ich getroffen habe – ist nicht möglich, wenn man nicht die Kanäle, über die man Informationen bezieht, ebenso auf den Prüfstand stellt. Während ich in kompletten Auszeiten – womit eigentlich digitale Auszeiten gemeint sind, denn Fernsehen und papierne Zeitungen kommen in meinem Leben schon eine ganze Weile nicht mehr vor – recht erfolgreich darin war, alles immer wieder nutzlose Aufregung Verursachende auszublenden, gelang mir das ansonsten kaum. Warum war das so? Nun, es lohnt nicht, daraus ein großes Geheimnis zu machen, denn der Grund dürfte kaum jemanden überraschen. Es waren – natürlich – die sozialen Netzwerke, über die die Kakophonie des medialen Wahnsinns immer noch Zugang zu mir hatte. Und ich war ja auch bei genügend davon vertreten. Facebook. Twitter. Instagram. LinkedIn. Xing. Da folgte ich allerlei Profilen, Seiten, was auch immer, die ich irgendwann einmal interessant gefunden hatte. Und sie alle posteten den lieben langen Tag dies und das. Dazu kamen dann noch all die vielen „Freunde“, „Follower“, „Netzwerker“ oder wie sie jeweils alle genannt werden. Manche hatte ich schon lange nicht mehr oder gar noch nie persönlich getroffen. Und so mancher fühlte sich berufen, den aktuellen Dauerzustand zu kommentieren, seine Meinung dazu aller Welt kundzutun oder aber die anderer, mir völlig unbekannter Leute zu teilen, auf daß ich sie unbedingt auch zur Kenntnis nehmen solle. Kaum öffnete ich die App irgendeines dieser sozialen Netzwerke, purzelten mir Meldungen irgendwelcher Nachrichtenkanäle, von denen ich bis dahin noch nie etwas gehört hatte und die ich sonst nie gesehen hätte, entgegen. Und niemand, wirklich niemand schien dabei noch irgendein anderes Thema zu kennen als Corona und alles, was irgendwie damit zusammenhängt. Und wer keine Medien- oder Blogartikel weiterleitete, postete Cartoons oder Zitate – natürlich über nichts anderes als „Coronagläubige“ oder „Impfgegner“, „Maßnahmenverweigerer“ oder „Maßnahmenbefürworter“, „Dies“ oder „Das“. Und alle hatten sie nur eines gemeinsam: so gut wie ausnahmslos völlig unlustig beziehungsweise geistlos zu sein.

All das sorgte beständig dafür, daß ich damit geistig in Atem gehalten blieb, mich oft genug sogar aufregte – ein Zustand, der irgendwann derart unhaltbar wurde, daß ich mich kurzerhand zur Radikalkur entschied: ich meldete mich ab, ich war raus. Von Facebook. Von Twitter. Von Instagram. Von LinkedIn. Von Xing. Und wo ich sonst noch irgendein Profil angelegt hatte.

Seitdem ist Ruhe. Im wahrsten Sinne des Wortes. Und es ist wohltuend. Ich brauche diese sogenannten sozialen Netzwerke nicht. Zu nichts. Ein Leben im Digitalen wird es nicht geben. Nicht für mich. Denn letzten Endes sind dort nur Abziehbilder von Menschen zu finden. Sonst nichts.

Wer Kontakt mit mir will, kann das gern persönlich tun. Ich halte es ebenso. Sich begegnen. Miteinander reden. Einander zuhören. Aufeinander eingehen. Das macht menschlichen Kontakt aus. Und ist um so vieles schöner. Selbst, wenn man mal verschiedener Meinung ist.

In diesem Sinne wünsche ich Euch, mir, uns allen ein wieder kontaktreicheres Jahr 2022. Es kann eigentlich nur besser werden.