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Unter den Straßen von Berlin

Mit dem Cabrio durch Berlin! Das ist wohl der Traum so manches Autonarren. Oder auch der eines jungen Menschen ohne das dafür ausreichende Kleingeld.

Dabei ist das doch profan. Aber sowas von! Um mal eine dieser unsäglichen Sprachsünden zu zitieren. Ein Allerweltstraum gewissermaßen.

Mit dem Cabrio unter Berlin! Das wäre doch mal was anderes, nicht wahr?

Und das geht! In Berlin gibt es nämlich nichts, was es nicht gibt. Nun, ob das stimmt, möchte ich nicht beschwören. Aber unter den Straßen von Berlin kann man tatsächlich mit dem Cabrio unterwegs sein. Nun, nicht allein und nicht auf eigene Faust, aber es geht. Mit der U-Bahn-Tunneltour der Berliner Verkehrsbetriebe.

Diese Tour ist eine beliebte Attraktion, die von der BVG saisonal angeboten wird. Meist in der Zeit zwischen April und Oktober. Mit einem Zug, dessen Waggons ganz im Stile eines Cabrios nach oben hin offen sind, wird man dabei auf einem umfangreichen Rundkurs durch Berlins U-Bahn-Netz kutschiert. DAS Erlebnis für alle U-Bahn-, Technik-, Unterwelt- und Tunnelfans!

Dafür allerdings Tickets zu bekommen, ist durchaus nicht ganz einfach, denn diese Fahrten sind außerordentlich begehrt – sowohl bei Berlinern als auch – natürlich – bei Touristen. Kurzfristig geht da meist gar nichts. Die Fahrten sind meist lange im voraus ausgebucht.

Dennoch war es mir gelungen, im September 2014 eine solche Fahrt mitzumachen. Ich hatte Fahrkarten für die erste von zwei Fahrten, die am 19. September 2014 veranstaltet wurden. Abends um 19 Uhr sollte es losgehen. Startpunkt war der Bahnsteig der U-Bahn-Linie U5 am Bahnhof Alexanderplatz. Der Zug mit den Cabrio-Waggons und je einer akkubetriebenen Lok vorn und hinten stand bereits auf Gleis 4, doch durften wir noch nicht einsteigen. So hatte ich genug Zeit, einige Aufnahmen von Zug und Bahnsteig zu machen.

Schließlich bat man uns, die Plätze auf den Waggons einzunehmen. Wie die Hühner auf der Stange saßen wir in zwei parallelen Reihen Rücken an Rücken nebeneinander; die einen blickten zur Wand, die anderen zum Bahnsteig. Dennoch hatte es keinen Sinn, sich um die Seiten zu streiten – während der Fahrt würden wir sowieso ein paarmal die Fahrtrichtung ändern. Daher hatte unser Zug ja auch jeweils vorn und hinten eine Lok.

Als die Fahrt dann losging, fuhr man mit uns – für einige durchaus überraschend – nicht die Strecke der U5 entlang, sondern direkt in deren Wendeanlage hinter dem Bahnhof hinein. In eine Sackgasse quasi. Die U5 hatte damals nämlich noch am Alexanderplatz ihre Endstation. Doch das Geheimnis lüftete sich schnell, was gleich die nächste Überraschung mit sich brachte: von eben dieser Wendeanlage zweigte ein Tunnel ab, in den es auch gleich hineinging. Dieser Waisentunnel genannte Verbindungsweg, der damals noch befahrbar war – heute ist er geschlossen und muß wohl abgerissen werden, nachdem man Wassereinbrüche festgestellt hatte, die sich nicht beheben lassen -, führte uns hinüber zur Strecke der U-Bahn-Linie U8. Kurz hinter der Spree, die er unterquert, trifft der Waisentunnel nahe der Chinesischen Botschaft auf den U8-Streckentunnel. Wir fuhren bis zur Heinrich-Heine-Straße, wo der erste der angekündigten Richtungswechsel stattfand, denn nun ging es in Richtung Wittenau. An der Jannowitzbrücke vorbei bewegten wir uns auf kurvenreicher Strecke zum Alexanderplatz zurück, den wir wenig später wieder erreichten – diesmal auf dem Bahnsteig der U8. Ohne Aufenthalt ging es weiter. Die Bahnhöfe Weinmeisterstraße, Rosenthaler Platz und Brunnenstraße zogen ebenso an uns vorüber wie die nachfolgenden, bis wir schließlich an der Osloer Straße angelangt waren. Auf der gesamten bisherigen und noch folgenden Fahrt hatten wir in den Tunneln außerordentlich gute Sicht, denn extra für unsere Tour hatten die netten Menschen von der BVG das Licht angelassen. So konnten wir all die Gleisanlagen, Tunnelwände und -decken, Kabelführungen und -schächte, Notausstiege und in ihnen aufwärts führenden metallenen Leiteranlagen in aller Ruhe im Vorbeifahren betrachten und da, wo wir langsamer fuhren, genau in Augenschein nehmen.

Hinter dem Bahnhof Osloer Straße fuhr man uns wieder in eine Wendeanlage. Ein erneuter Richtungswechsel, und dann ging es wieder in einen Verbindungstunnel hinein. Dieser trug naheliegenderweise den Namen Osloer Tunnel und führte uns hinüber auf die Strecke der U-Bahn-Linie U9, die hier an der Osloer Straße ihren Anfang nahm. Doch nicht einmal zwei Stationen weiter verließen wir sie dann schon wieder durch einen weiteren Seitentunnel, der mit seinem Namen Leopoldtunnel auf den nahen Leopoldplatz verwies. Durch ihn erreichten wir die Strecke der U-Bahn-Linie U6 und fuhren kurz darauf in den Bahnhof Seestraße ein. Auf dem mittleren von drei Gleisen kamen wir zum Stehen, denn hier sollte es eine Pause geben, wofür einige der Fahrgäste aufgrund dringend gewordener Bedürfnisse durchaus Dankbarkeit zu zeigen wußten. Wer so wie ich auf dem Zug blieb, hatte Gelegenheit, das bunte abendliche Treiben auf dem Bahnhof zu beobachten sowie links und rechts einfahrenden, haltenden und dann weiterziehenden U-Bahnen zuerst entgegen- und dann hinterherzublicken.

Als es schließlich weiterging, fuhren wir zunächst den Weg zurück, den wir gekommen waren. Durch den Leopoldtunnel ging es wieder auf die Strecke der U9, der wir nun weiter gen Süden folgten. Amrumer Straße, Westend, Birkenstraße hießen die Stationen, die nun an uns vorüberzogen. Schließlich durchfuhren wir den Bahnhof Zoologischer Garten – natürlich unter der Erde. Wie auch auf anderen Bahnsteigen zuvor schauten die eben noch gelangweilt blickenden Wartenden voller plötzlichem Interesse unserem an ihnen vorbeieilenden Sonderzug voller fröhlich winkender, behelmter Menschen hinterher. Was war das denn für eine bunte Truppe?

An der Berliner Straße, wo sich die Linien U7 und U9 kreuzen, wurde der Tunnel für uns zur Kathedrale, denn wir fuhren auf ein Mittelgleis, das sich stetig absenkte, so daß wir, wenn wir unsere Augen nach oben richteten, wo Säulen links und rechts den Graben, in den wir hinabfuhren, von den seitlichen Streckengleisen trennten, einen Anblick gewahrten, der an eine große Kirche erinnerte. Eine Tunnelkathedrale, fürwahr! An ihrem Ende verschwand unser Gleis in einem eigenen Tunnel – dem Berliner-Straßen-Tunnel -, unterquerte eines der uns bisher begleitenden seitlichen Gleise und schwenkte hinüber zur Strecke der U7, der wir nun in Richtung Rudow folgten. Am Mehringdamm sahen wir die U6 wieder, mit der sich die U7 einen Bahnhof teilt. Hatten die Haltepunkte bis hierher noch recht neuzeitlich gewirkt, war den nun folgenden anzusehen, daß sie bereits etwas älter waren. Kein Wunder, denn dieser Streckenabschnitt der U7 war früher eine Seitenlinie der heutigen U6.

Hinter dem Bahnhof Hermannplatz parkte man uns kurz auf einem Abstellgleis. Doch schon kurze Zeit später ging es in entgegengesetzter Richtung wieder in den Bahnhof zurück und durch diesen hindurch. Ein weiterer Verbindungstunnel, der unter dem einstigen Karstadt-Kaufhaus entlangführt und folgerichtig Karstadt-Tunnel genannt wird, brachte uns zur Linie U8 zurück, der wir nun folgten, bis wir den Bahnhof Heinrich-Heine-Straße ein weiteres Mal erreichten.

Nun begann das letzte Stück der Fahrt, das uns durch den Waisentunnel zurück in die Wendeanlage der U5 brachte, in der unsere Fahrt ihren Anfang genommen hatte. Kurz bevor wir sie erreichten, konnten wir noch einen Blick in eine weitere, vom Waisentunnel abzweigende Röhre werfen. Sie bildet die Verbindung zur U-Bahnlinie U2, die sie am Bahnhof Klosterstraße trifft, weshalb sie auch Klostertunnel genannt wird. Dieser verbindet nicht nur einfach zwei U-Bahnlinien miteinander, sondern stellt auch einen Übergang vom Netz der Kleinprofillinien zu denen der Großprofilstrecken her. Ersteres umfaßt die vier heutigen U-Bahnlinien U1 bis U4, die die ältesten, ab 1896 errichteten Strecken befahren. Als 1923 die erste Großprofillinie in Betrieb ging, deren Züge etwa 35 Zentimeter breiter als die ihrer Geschwister im Kleinprofil waren und sind, baute man alle nachfolgend geschaffenen U-Bahnstrecken aus Gründen der Beförderungskapazität in dieser Form. Damit ist klar, daß wir auf unserer Rundfahrt ausschließlich großprofilig unterwegs gewesen waren. Die Spurbreite beider Profile ist gleich, doch unterscheidet sich die Form der Stromabnehmer an den Zügen. Während im Kleinprofil die das Gleis begleitende Stromschiene von oben abgegriffen wird, geschieht dies im Großprofil von unten – wie bei der Berliner S-Bahn auch.

Diese Betrachtungen stellte ich natürlich nicht auf dem Cabrio-Waggon sitzend an. Hierfür war etwas nachträglich konsultierte Literatur über die Berliner U-Bahn notwendig und durchaus hilfreich. Unser Zug langte schließlich wieder auf dem Bahnsteig der U5 am Alexanderplatz an, wo ich glücklich und zufrieden ob der für mich als „altem“ Berliner hochinteressanten Rundfahrt ausstieg.

Mehr als zwei Stunden waren wir unter den Straßen Berlins unterwegs gewesen, was trotz des fehlenden Tageslichts ein überaus interessantes und fesselndes Erlebnis war!

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Ein Nachmittag auf dem Ostkreuz

Am Nachmittag des 2. Juni 2018, einem Sonnabend, veranstaltete der Verein für die Geschichte Berlins e. V., gegründet im Jahre 1865, eine Führung der besonderen Art. Führungen durch Museen oder Ausstellungen jeglicher Art ist man gewohnt. Auch Stadtführungen kennt man zur Genüge. Wenngleich viele davon interessant sind, so sind sie doch meist nichts, was man außergewöhnlich nennen würde. Doch eine Führung über einen Bahnhof? Das gibt es nicht alle Tage. Als Eisenbahn-Liebhaber im allgemeinen und Freund der Berliner S-Bahn im besonderen war es keine Frage, daß ich mir das nicht entgehen lassen durfte.

Unter der überaus sachkundigen Führung von Sven Heinemann, Mitglied des Abgeordnetenhauses von Berlin und Autor des Buches „Mythos Ostkreuz“ (VGB-Verlagsgruppe, Fürstenfeldbruck), der bereits mit seinem gleichnamigen Vortrag am 16. Mai 2018 auf das Thema eingestimmt und auf diesen Nachmittag neugierig gemacht hatte, wanderte ich mit den anderen Expeditionsteilnehmern runde zweieinhalb Stunden treppauf, treppab über den Bahnhof und durch seine nähere  Umgebung. Dabei bewegten wir uns ausschließlich auf öffentlich zugänglichem Terrain: Bahnsteige, Straßen, Gehwege, Fußgängerbrücken, Treppen. Gelände also, das Jedermann jederzeit betreten und betrachten kann. Und auch wenn man als Berliner, täglicher S-Bahn-Benutzer oder einfach nur Interessierter meinte, den Bahnhof, auch wenn er in den letzten Jahren massiv umgebaut wurde, zur Genüge zu kennen, so wurde man binnen kurzem eines Besseren belehrt.

Neuer und originaler Pfeiler des Bahnhofsdach von Bahnsteig D.
Neuer und originaler Pfeiler des Bahnhofsdach von Bahnsteig D.
Fotograf: Alexander Glintschert (2018), Lizenz: Creative Commons BY-NC-CD 2.0.

Lebendig und anschaulich ließ Heinemann vor dem inneren Auge die Geschichte des Bahnhofs aufleben, berichtete von den Vorgängerbahnhöfen, der Entstehung des Bahnhofs Stralau-Rummelsburg und seiner Entwicklung bis hin zum allseits bekannten und wenig geliebten Rostkreuz, auf die schließlich der große Umbau der letzten Jahre folgte, der leider nur wenig von der historischen Substanz des einstigen Ostkreuzes übrig ließ. Doch dieses Wenige hatte er akribisch aufgespürt und führte es uns vor Augen. Und was wir da im öffentlichen Raum zu sehen bekamen und entdeckten, bewies wieder einmal, daß man meist nur wahrnimmt, was man weiß. Originale Pfeiler des Bahnhofsdaches auf dem Bahnsteig D? Originalteile der (noch nicht völlig wiederhergestellten) Fußgängerbrücke über den gesamten Bahnhof? Welcher der Reisenden, die täglich diesen Bahnhof passieren, nimmt sie wahr? Und wer weiß eigentlich, daß die erwähnte Fußgängerbrücke den Namen ihres Architekten trägt und Brademannbrücke heißt?

All das und noch so vieles mehr erfuhren wir auf diesem überaus spannenden Rundgang. Und so manche Erinnerung an diesen Bahnhof, an Eigenartiges und heute Verschwundenes lebte auch in mir wieder auf und bescherte mir so manchen „Ach ja! – So war’s!“-Moment; – wie den der Erinnerung an den eigentümlichen Bahnsteig A, der zwar zwei Bahnsteigkanten besaß, an denen aber die Züge zweier verschiedener Linien hielten – an der einen die stadtauswärts über die Südkurve fahrenden Züge nach Schönefeld, an der anderen die aus Buch über die Nordkurve kommenden, die ins Stadtinnere wollten. Und die Züge der jeweiligen Gegenrichtung? Die hielten hier einfach nicht. Als Kind hatte mich diese Merkwürdigkeit stets fasziniert. Heute ist der Bahnsteig abgerissen, die Nordkurve ist mit ihm verschwunden und die Südkurve führt über eine vollkommen neue Brücke aus Beton, die nicht mehr rosten kann. Die sie überquerenden Züge halten nun hier gar nicht mehr – in beiden Richtungen. Das ist zwar eigentlich nicht im  Sinne eines Bahnhofs, aber wenigstens ist jetzt Symmetrie hergestellt.

Doch nicht nur die Geschichte des Bahnhofs erzählte Sven Heinemann, sondern auch immer wieder kleine Geschichten. Wie die der Bewohner des südlichen Beamtenwohnhauses an der Südkurvenbrücke, des heute ältesten Gebäudes am Bahnhof Ostkreuz. Geschichten wie diese machen die Historie eines Ortes erst wirklich lebendig.

Bei dieser kurzweiligen Tour verging die Zeit wie im Fluge, und als sie zu Ende war, hatten wir viel erfahren und erlebt – und waren überdies um die Erkenntnis reicher, daß es, wie es der Vorsitzende des Vereins formulierte, nicht nur Stadtführer gibt, sondern auch Bahnhofsführer. Und davon hätten wir gern mehr, denn interessante Bahnhöfe gibt es in Berlin noch einige…