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Ein Nachmittag auf dem Ostkreuz

Am Nachmittag des 2. Juni 2018, einem Sonnabend, veranstaltete der Verein für die Geschichte Berlins e. V., gegründet im Jahre 1865, eine Führung der besonderen Art. Führungen durch Museen oder Ausstellungen jeglicher Art ist man gewohnt. Auch Stadtführungen kennt man zur Genüge. Wenngleich viele davon interessant sind, so sind sie doch meist nichts, was man außergewöhnlich nennen würde. Doch eine Führung über einen Bahnhof? Das gibt es nicht alle Tage. Als Eisenbahn-Liebhaber im allgemeinen und Freund der Berliner S-Bahn im besonderen war es keine Frage, daß ich mir das nicht entgehen lassen durfte.

Unter der überaus sachkundigen Führung von Sven Heinemann, Mitglied des Abgeordnetenhauses von Berlin und Autor des Buches „Mythos Ostkreuz“ (VGB-Verlagsgruppe, Fürstenfeldbruck), der bereits mit seinem gleichnamigen Vortrag am 16. Mai 2018 auf das Thema eingestimmt und auf diesen Nachmittag neugierig gemacht hatte, wanderte ich mit den anderen Expeditionsteilnehmern runde zweieinhalb Stunden treppauf, treppab über den Bahnhof und durch seine nähere  Umgebung. Dabei bewegten wir uns ausschließlich auf öffentlich zugänglichem Terrain: Bahnsteige, Straßen, Gehwege, Fußgängerbrücken, Treppen. Gelände also, das Jedermann jederzeit betreten und betrachten kann. Und auch wenn man als Berliner, täglicher S-Bahn-Benutzer oder einfach nur Interessierter meinte, den Bahnhof, auch wenn er in den letzten Jahren massiv umgebaut wurde, zur Genüge zu kennen, so wurde man binnen kurzem eines Besseren belehrt.

Neuer und originaler Pfeiler des Bahnhofsdach von Bahnsteig D.
Neuer und originaler Pfeiler des Bahnhofsdach von Bahnsteig D.
Fotograf: Alexander Glintschert (2018), Lizenz: Creative Commons BY-NC-CD 2.0.

Lebendig und anschaulich ließ Heinemann vor dem inneren Auge die Geschichte des Bahnhofs aufleben, berichtete von den Vorgängerbahnhöfen, der Entstehung des Bahnhofs Stralau-Rummelsburg und seiner Entwicklung bis hin zum allseits bekannten und wenig geliebten Rostkreuz, auf die schließlich der große Umbau der letzten Jahre folgte, der leider nur wenig von der historischen Substanz des einstigen Ostkreuzes übrig ließ. Doch dieses Wenige hatte er akribisch aufgespürt und führte es uns vor Augen. Und was wir da im öffentlichen Raum zu sehen bekamen und entdeckten, bewies wieder einmal, daß man meist nur wahrnimmt, was man weiß. Originale Pfeiler des Bahnhofsdaches auf dem Bahnsteig D? Originalteile der (noch nicht völlig wiederhergestellten) Fußgängerbrücke über den gesamten Bahnhof? Welcher der Reisenden, die täglich diesen Bahnhof passieren, nimmt sie wahr? Und wer weiß eigentlich, daß die erwähnte Fußgängerbrücke den Namen ihres Architekten trägt und Brademannbrücke heißt?

All das und noch so vieles mehr erfuhren wir auf diesem überaus spannenden Rundgang. Und so manche Erinnerung an diesen Bahnhof, an Eigenartiges und heute Verschwundenes lebte auch in mir wieder auf und bescherte mir so manchen „Ach ja! – So war’s!“-Moment; – wie den der Erinnerung an den eigentümlichen Bahnsteig A, der zwar zwei Bahnsteigkanten besaß, an denen aber die Züge zweier verschiedener Linien hielten – an der einen die stadtauswärts über die Südkurve fahrenden Züge nach Schönefeld, an der anderen die aus Buch über die Nordkurve kommenden, die ins Stadtinnere wollten. Und die Züge der jeweiligen Gegenrichtung? Die hielten hier einfach nicht. Als Kind hatte mich diese Merkwürdigkeit stets fasziniert. Heute ist der Bahnsteig abgerissen, die Nordkurve ist mit ihm verschwunden und die Südkurve führt über eine vollkommen neue Brücke aus Beton, die nicht mehr rosten kann. Die sie überquerenden Züge halten nun hier gar nicht mehr – in beiden Richtungen. Das ist zwar eigentlich nicht im  Sinne eines Bahnhofs, aber wenigstens ist jetzt Symmetrie hergestellt.

Doch nicht nur die Geschichte des Bahnhofs erzählte Sven Heinemann, sondern auch immer wieder kleine Geschichten. Wie die der Bewohner des südlichen Beamtenwohnhauses an der Südkurvenbrücke, des heute ältesten Gebäudes am Bahnhof Ostkreuz. Geschichten wie diese machen die Historie eines Ortes erst wirklich lebendig.

Bei dieser kurzweiligen Tour verging die Zeit wie im Fluge, und als sie zu Ende war, hatten wir viel erfahren und erlebt – und waren überdies um die Erkenntnis reicher, daß es, wie es der Vorsitzende des Vereins formulierte, nicht nur Stadtführer gibt, sondern auch Bahnhofsführer. Und davon hätten wir gern mehr, denn interessante Bahnhöfe gibt es in Berlin noch einige…

Geschichte im Verein

Nun ist doch geschehen, von dem ich glaubte, daß es mir aber ganz bestimmt nicht widerfahren würde: ich bin  Vereinsmitglied.

Vereine gibt es ja bekanntlich viele. Ich assoziierte dabei immer  so etwas wie Sportvereine, Schachclubs oder politische Gemeinschaften. Und auch, ich gebe es zu, das Klischee des Kaninchenzüchtervereins.

Sonderlich sportlich bin ich eigentlich nicht, auch wenn ich Sport natürlich nicht gänzlich aus dem Wege gehe. Man will ja nicht völlig unbeweglich werden. Doch mein Fahrrad oder das Fitneßstudio reichen mir dafür völlig aus. Gruppensport mag ich hingegen bestenfalls als Zuschauer, für Wettkämpfe fehlt mir der Ehrgeiz. Sportvereine und Schachclubs schieden also schon mal aus.

Weil ich mir meine Meinung, insbesondere die politische, gerne selbst bilde  und sie dementsprechend auch  selbst vertreten möchte, kann ich den  Rahmen oder gar Zwang einer Gruppe dabei überhaupt nicht brauchen.  Oder, um es mit Reinhard Mey zu sagen:

Es paßt, was ich mir denke,
Auch wenn ich mich sehr beschränke,
Nicht auf einen Knopf an meiner Brust!

Eine politische Vereinigung  ist also meine Sache auch nicht.

Darüberhinaus habe ich mir bisher eigentlich keine weiteren Gedanken über Vereine gemacht.  Was sollte da schon noch sein…

Daß da noch mehr sein kann, entdeckte ich durch einen Flyer, der mir in der Berliner Stadtbibliothek in die Finger kam und mit dem ein Verein für sich warb, der so derart auf der Linie meines  Interesses lag, daß  es  gar keiner langen Überlegung bedurfte, um mir klarzumachen, daß ich  dabeisein wollte.

Und so ist es nun nach dem Ausfüllen des Antrags auf Mitgliedschaft, der in überragend kurzer Zeit erfolgten Aufnahme, dem Erhalt der Mitgliedsurkunde und  der ersten Zahlung des jährlichen Mitgliedsbeitrags offiziell: ich bin Mitglied im  Verein für die Geschichte Berlins e. V., gegründet im Jahre 1865.

Daß meiner Heimatstadt Berlin eines meiner Hauptinteressen  gilt, dürfte niemanden überraschen, der bereits einmal bei  Anderes.Berlin  vorbeigeschaut hat.  Die Beschäftigung mit der Geschichte und den Geschichten meiner Stadt, ihrer Bauten und Sehenswürdigkeiten, aber auch ihrer Persönlichkeiten, ob sie gegenwärtig oder fast vergessen sind, ist eine meiner größeren Leidenschaften. Und weil ich diese im Zweck und in den Zielen des Vereins wiederfinde, bin ich gern dabei – bei den vielfältigen Veranstaltungen des Vereins   und,  wenn  sich die Möglichkeit bietet,  auf unterstützende Weise.

Schauen wir mal, was daraus wird. Ich bin gespannt!