Für meine Mutter

Zum 80. Geburtstag

Man schreibt das Jahr neunzehnvierzig und drei,
die Macht des Winters verfällt.
Im schlesischen Lande der Frühling fängt an,
da trittst Du des Lebens Reise an
und kommst hoffnungsfroh auf die Welt.

Die Zeiten sind alles and’re als leicht,
Faschisten entfachten den Krieg.
Am End‘ treibt man Euch aus der Heimat hinaus,
Verlassen müßt Ihr Hof und Haus
mit Wenigem nur, das Euch blieb.

Vom Auffanglager Merane geht es
nach Mittweida weiter sodann.
Ein Teil der Familie zieht Richtung West.
Weil Euch man jedoch schließlich bleiben läßt,
fangt Ihr hier in Sachsen neu an.

Zum Glück gibt es Arbeit, doch ist’s trotzdem hart,
zu sorgen für’s tägliche Brot.
Auch sind die Flüchtlinge nicht gern geseh’n
und haben so Manches auszusteh’n.
Es sind die Jahre der Not.

Sie weicht nicht so bald und folgt Dir auf Schritt
und Tritt in die Schule hinein.
Flüchtling und arm als Kombination
sorgt bei den Mitschülern für sehr viel Hohn.
Sie sparen nicht mit Hänselei’n

Die Lehre eröffnet Dir dann die Welt
der Stoffe, Bekleidung und Co.
Du wirst bester Lehrling im ersten Jahr.
Die örtliche Zeitung berichtet sogar
von der Verkäuferin der HO.

Und dann, eines Sonntags, ist es soweit.
Das Leben, es stellt seine Weichen
Es bittet ein junger Mann Dich galant
Zum nächsten Tanze um Deine Hand.
Und Du willst sie gerne ihm reichen.

Es dauert nicht einmal ein halbes Jahr,
da bittet er Dich erneut.
Doch diesmal soll’s nicht zum Tanze sein,
denn jetzt willigst Du für immer ein
in’s gemeinsame Leben zu zweit.

Gemeinsam durch’s Leben, das sollte zunächst
Euch gar nicht so einfach werden.
Der Wehrdienst den Liebsten fern von Dir hält.
Inzwischen bringst Du Euren Sohn auf die Welt,
zum Glück ohne größ’re Beschwerden.

Als kleine Familie fangt Ihr nun an,
ein Leben Euch aufzubauen.
Doch auch, wenn man Euch den Weg erschwert,
ein Hindernis ihn manchmal ganz versperrt,
Ihr könnt aufeinander vertrauen.

Für Deinen Sohn gibst Du auf den Beruf,
damit Du für ihn kannst sorgen.
Doch arbeitest Du zusätzlich in dieser Zeit
und reparierst Strümpfe in Heimarbeit,
damit das Geld reicht auch morgen.

Und doch bleibt es knapp, drum trittst Du beherzt
entgegen des Lebens Tristessen.
Beim Rat des Kreises fängst Du neu an,
sorgst als Sachbearbeiterin dafür dann,
daß Arbeiter haben zu essen.

Du hältst Deinem Mann den Rücken frei, als
zum Studium er weit weg muß zieh’n.
Alleine zu Hause schlägst Du Dich gut,
bringst Kind, Heim und Arbeit unter den Hut,
bis Ihr schließlich geht nach Berlin.

Die große Stadt und der Neuanfang
sind nichts, was Dich wirklich aufhält.
Die Wohnung, die Arbeit, alles neu macht Berlin,
und Du hochschwanger mitten darin.
Eines Nachts bringst Du mich auf die Welt.

Ich bin, wie es scheint, kein ganz einfaches Kind
und lange als Schreihals voll hin.
Es splittern die Babyfläschchen en masse,
sie stets wegzuwerfen, macht mir wohl viel Spaß.
Doch immer hast Du mir’s verzieh’n.

Und schon steht der nächste Umbruch in’s Haus.
Nach Ungarn soll es nun gehen.
Zur dortigen Botschaft Dein Mann wird entsandt.
Daß Du ihn begleitest in’s ferne Land,
daran kann kein Zweifel bestehen.

In neuer Arbeit mußt Du Dich sodann
als Sekretärin bewähr’n.
Und wieder gelingt Dir das bravourös,
nie gibt’s wirklich Grund, zu werden nervös,
bald können sie Dich kaum entbehr’n.

Und doch müssen sie’s, da immer Du uns
bei dir setzt an vorderste Stell‘.
Weil Krankheit mich oft hält von allem fern,
bleibst Du ganz zu Haus, und das tust Du gern,
damit ich gesund werde schnell.

Die Schule schaffen zu können, verdank‘
ich nur Dir, denn zu meinem Glück
machst Du mit mir heimischen Unterricht,
lernst mit mir gemeinsam, und so fall‘ ich nicht
komplett in der Schule zurück.

Fünf Jahre darauf, wieder in Berlin,
kehrst Du in die Arbeit zurück.
Doch mit sicherer Hand, wie aus einem Guß,
hältst Du unser Familienleben in Schuß,
sorgst für unser aller Glück.

Und dann, plötzlich, ist einfach fort über Nacht
das Land, das das Deine auch war.
Sie rufen nach D-Mark und Reisefreiheit,
doch kriegen sie Armut und Unsicherheit.
Dir ist das von Anfang an klar.

Noch einmal wagst Du den Neubeginn
im Beruf, den Du einst hatt’st erwählt.
Du arbeitest Dich als Verkäuferin ein.
Bald schmeißt Du den halben Laden allein,
so daß jeder gern auf Dich zählt.

Und nun bist Du achtzig, was für eine Zahl!
Es wird einmal Zeit, Dank zu sagen!
Stets hast Du für mich alles möglich gemacht.
An Dich hast Du stets nur zuletzt gedacht.
Nie hörte ich Dich einmal klagen.

Du bist für mich da, zu jeder Stund‘,
an guten Tagen und schlechten.
Du hast mich gepflegt, wenn ich war krank,
und nie erwartet den kleinsten Dank,
trotz manchen durchwachten Nächten.

Und immer stehst Du mit Rat und Tat
zur Verfügung ganz unweigerlich.
Machst Essen, gibst Tips für Gesundheit und
unendlich viel Liebe, drum sag‘ ich heut‘ rund-
heraus: MUTTI, ICH LIEBE DICH!

© 2023, Alexander Glintschert. Alle Rechte vorbehalten.