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Auf dem Himmelsturm

Dieser Beitrag ist Teil 3 von 10 der Beitragsserie "Reise nach Neuseeland & Singapur"
Wie ich auf Auckland herabsah

Der nächste Morgen findet uns ausgeruht und bereit, die Stadt ausgiebig zu erkunden. Zu Beginn unserer ersten Nacht in Neuseeland hatte es noch kurz so ausgesehen, als könnte sie etwas unruhig und schlaflos werden, da ich feststellen mußte, daß die Klimaanlage, die wir zur Vermeidung stickiger Luft im Zimmer angestellt hatten – die Fenster ließen sich ja leider nicht öffnen -, in regelmäßigen Abständen kühle Luft direkt auf meine Liegestatt hinab- und mir ins Gesicht blies – ein Umstand, der mich beim Hinüberdämmern in den Schlaf immer wieder aufschrecken ließ, so daß an Ruhe nicht so recht zu denken war. Doch ich machte dem nach einiger Zeit kurzentschlossen ein Ende, indem ich aufstand und das Lüftungsgerät einfach ausschaltete. Lieber etwas stickige Luft als keinen rechten Schlaf. Glücklicherweise erwies sich unser Zimmer als groß genug, daß es dennoch zu keinem Sauerstoffmangel kam. Und auch die Luftqualität blieb alles in allem erträglich.

So war die Nacht dann doch erholsam gewesen, und nun stehen wir nach einem guten Frühstück, das wir in unserem Hotel eingenommen hatten, frohen Mutes auf der Straße und schauen dem morgendlichen Verkehr zu, während wir warten, daß die Ampel uns den Weg über die Albert Street freigibt. Weit haben wir es nicht, nur ein Stück die Wellesley Street West entlang bis zur nächsten Querstraße, die wir dann allerdings noch ein kleines Stück entlanggehen müssen. Doch bereits an der Ecke zur Federal Street – so heißt die Querstraße – ist das Ziel unseres kurzen Weges nicht zu übersehen, ragt es doch satte 328 Meter vor uns in die Höhe: der Sky Tower inmitten des Stadtzentrums von Auckland.

Der Sky Tower in Auckland
Hoch in den blauen Himmel eines herrlichen Morgens ragt er auf, der Sky Tower im Zentrum Aucklands.
Fotograf: Alexander Glintschert (2015)
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„Sollt‘ Dir die Gegend unklar sein,
hol einen Überblick Dir ein.“

Nach diesem Motto wollen auch wir verfahren und uns diesen Überblick im Wortsinne verschaffen, indem wir unseren ersten Tag in Auckland damit beginnen, dieses höchste freistehende Bauwerk der südlichen Hemisphäre zu erklimmen. Doch bevor wir das tun, erregt noch ein anderes, unserer Position an der Straßenecke der Federal Street näheres Bauwerk unsere Aufmerksamkeit. Trutzig steht es dort auf der anderen Seite der Wellesley Street West und reckt ebenfalls einen mächtigen Turm nach oben. Der kann zwar, was die Höhe angeht, mit dem schlanken Sky Tower keineswegs mithalten, doch dieses Manko macht er durch sein massives Erscheinungsbild ohne weiteres wett. Wo der eine durch seine graziöse Eleganz bedeutend wirkt, die jedoch nur in Verbindung mit seiner Höhe zum Ausdruck kommt, tut es der andere allein durch seine Wuchtigkeit.

Doch nicht nur ihre unterschiedlichen Formen machen den Gegensatz zwischen den beiden Türmen aus. Ebenso augenfällig wie jene ist auch die Tatsache, daß sie durch ein knappes Jahrhundert voneinander getrennt werden. Der trutzige Turm uns gegenüber gehört zum Gotteshaus Saint Matthew in the City, einer anglikanischen Kirche, deren Errichtung man zu Beginn des zwanzigsten Jahrhunderts begann und die man 1905 fertigstellte. Den neugotischen Stil, in dem sie gehalten ist, kann man kaum übersehen. Was ich zwar nicht bemerke, doch später erfahre, ist, daß das Kirchengebäude in seinen Mauern einen rund 1.300 Jahre alten Stein birgt, der aus den Ruinen der Abtei Sankt Augustinus in Großbritannien stammt, eines Klosters, das nicht nur das erste im südlichen England war, sondern auch die erste Gründung darstellte, die der Benediktiner-Orden außerhalb des kontinentalen Europas vornahm.

Was Historie angeht, so kann der elegant-moderne Sky Tower dem natürlich nichts entgegensetzen, ist mit seinem Bau doch erst im Jahre 1994 begonnen worden. Drei Jahre hat es gedauert, bis er fertig war. Nur drei Jahre, ergänze ich in Gedanken. Warum scheint eigentlich die Errichtung  neuer Bauwerke, egal, ob unter oder auf der Erde, in anderen Ländern der Welt immer so viel schneller vonstattenzugehen, als wir das in Deutschland stets erleben? Es kann mir doch keiner erzählen, daß so ein Fernsehturm, der immerhin Platz 28 auf der Rangliste der höchsten Türme der Welt einnimmt, so viel einfacher zu bauen ist als beispielsweise ein Flughafen, ein Bahnhof oder eine Philharmonie?

Aber lassen wir das. Wir spazieren die wenigen Meter die Federal Street entlang, die uns vom Sky Tower noch trennen. Als wir dort ankommen,  schaue ich den Schaft des Turmes hinauf, der über mir in den stahlblauen Himmel ragt. Beeindruckend.

Weniger beeindruckend ist die unmittelbare Umgebung des Turmes. Er steht inmitten eines Unterhaltungs- und Kasinokomplexes namens „Skycity Auckland“, in dem allerdings um diese Tageszeit nicht sonderlich viel los ist. Unterhaltung und Glücksspiel sind doch eher Abend- als Morgenbeschäftigungen. Nun, uns ist das egal – wir wollen sowieso in höhere Sphären. Der Eingang ist schnell gefunden, auch die Tickets zu erwerben, ist keine große Sache. Und so stehen wir alsbald in einem der Fahrstühle, der uns den Turm hinaufbringt. Als ich vorhin von Erklimmen sprach, hat doch hoffentlich niemand angenommen, wir würden da zu Fuß hinauflaufen?

Während wir hinauffahren, ist etwas Zeit, um uns ein wenig über den Turm zu informieren. Zwei Aussichtsplattformen gibt es, so erfahren wir. Die erste ist auf einer Höhe von 186 Metern zu finden, die zweite liegt noch einmal 34 Meter höher. Dazu kommen noch ein Café und zwei Restaurants, von denen eines eine Eigenschaft besitzt, die den Sky Tower mit dem Berliner Fernsehturm verbindet: es rotiert. Einmal in der Stunde absolviert es eine komplette Umdrehung. Nun, das werden wir eher nicht überprüfen, denn wir begnügen uns mit dem Besuch der Aussichtsplattformen.

Als wir im sogenannten Main Observation Deck – der unteren der beiden Aussichtsplattformen – aus dem Fahrstuhl steigen und das erste Mal einen Blick aus den großen Panoramafenstern werfen, stockt uns schon ein wenig der Atem. 186 Meter über dem Boden – das klingt nicht nach besonders viel, doch wenn man hier oben ist, dann ist das auf einmal ganz schön hoch! Doch die Aussicht ist phantastisch.  Das Wetter ist für unseren Ausflug auf den Turm wie gemacht – der Himmel leuchtet tiefblau und schmückt sich mit zahllosen mehr oder minder kleinen weißen Wölkchen. Ein wahrlich hübscher Anblick, und das nicht nur am Himmel selbst. Die freundlich von dort herablächelnde Sonne sorgt dafür, daß die Wolken auch auf der Stadt, die sich im weiten Rund um und unter uns ausbreitet, ihre Spuren hinterlassen, und zwar in Form kleiner und großer Schatten. Das resultiert in einem scheckigen Muster, das in einer permanenten Bewegung über die Erdoberfläche zieht und sich dabei ständig verändert. Allein dabei zuzusehen, ist schon faszinierend.

Dasselbe gilt für die Stadt selbst. Von hier oben können wir sie zur Gänze überblicken. Eine gute Möglichkeit, sich zu orientieren – ein bißchen so, als würden wir auf eine dreidimensionale Landkarte blicken. Doch bevor wir das tun, müssen wir uns ganz dringend einer anderen Attraktion widmen, die wir bei unseren ersten Schritten durch das Main Observation Deck entdecken. An einigen Stellen sind in dessen Boden Glasplatten eingelassen. Neugierig treten wir näher an eine heran, blicken auf sie herab und … sehen den Boden unter uns. Also nicht den der Aussichtsplattform, in der wir uns befinden, sondern den Erdboden. Mit den Gebäuden rings um den Turm. Und den Straßen. Den Menschen. Den Autos.

Der Glasboden im Sky Tower in Auckland
Zwei Füße – meine Füße – über jeder Menge leerer Luft. Ganze 38 Millimeter Glas trennen sie von 186 Metern Nichts und dem Erdboden dahinter.
Fotograf: Alexander Glintschert (2015)
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Ein Glasboden! Großartig! Ich bin begeistert. Kurz darauf stehe ich auf einem der Felder, zücke meinen Fotoapparat und mache ein Foto von meinen Füßen über jeder Menge leerer Luft. Als ich kurz darauf wieder aufblicke, bemerke ich einige zweifelnde Blicke, die mir von Umstehenden zugeworfen werden. Habe ich was falsch gemacht? Darf man das nicht? Ich schaue mich um, kann aber keinen Hinweis darauf entdecken, daß es verboten sein könnte, auf die Glasplatten zu treten. Kurz über ihnen finde ich an der Wand lediglich kleine Schilder, auf denen folgendes zu lesen ist:

This glass floor is 38mm thick.
IT IS AS STRONG AS THE CONCRETE
FLOORS YOU ARE STANDING ON.“

Übersetzt heißt das:

Dieser Glasboden ist 38 Millimeter dick.
ER IST SO STARK WIE DER BETONBODEN,
AUF DEM SIE STEHEN.

Na also. Keine Gefahr. Und auch kein Verbot. Ich beantworte die Blicke mit einem freundlichen Lächeln, worauf sie sich schnell von mir abwenden. Ich beobachte, wie die Leute, die mich eben so zweifelnd betrachtet hatten, zwar neugierig versuchen, durch die Glasplatten in die Tiefe zu blicken, es aber tunlichst vermeiden, auch nur einen Millimeter darauf zu treten. Sie scheinen der Versicherung, daß es völlig ungefährlich ist, darauf zu stehen, nicht so recht zu trauen. Man kann ja nie wissen…

Nun, sollen sie. Man wird ja hier zu nichts gezwungen. Ich wende mich nun der phänomenalen Aussicht vor den Fenstern der Aussichtsplattform zu. In nördlicher Richtung breitet sich vor mir die Wasserfläche des Waitematā Harbours aus. Der Blick reicht dabei von seinem Ende im Landesinneren im Westen bis zu seiner Mündung in den großen Hauraki-Golf im Osten, von dem er ein Teil ist. Dort führen zwei Kanäle zum Hauptteil des Golfs hinüber. Die Stelle, an der sie sich voneinander trennen, wird durch eine große nahezu runde Insel markiert, in deren Mitte sich ein markanter Gipfel erhebt: der Rangitoto auf der nach ihm benannten Insel Rangitoto Island. Im Gegensatz zum Stadtgebiet erscheint diese in einem dunklen, satten Grün. Eine Spur von Bebauung ist dort nirgends auszumachen. Ich mache mir eine gedankliche Notiz dahingehend, daß wir nach Möglichkeit einen Besuch dort einplanen sollten. Auf unserem Spaziergang tags zuvor hatte ich am Fährterminal hinter dem Ferry Building gesehen, daß Fähren dorthin abgingen. Also sollte es keine allzu große Schwierigkeit darstellen, die Insel aufzusuchen und zu besichtigen.

Geradezu dehnt sich hinter dem Waitematā Harbour eine große, etwas zerklüftet wirkende Halbinsel aus. Dort ist zwar auch viel Grün auszumachen, doch ist die dichte Bebauung nicht zu übersehen. Dort liegen Devonport und Takapuna – Ortsteile von North Shore City. Es ist noch gar nicht so lange her, daß dies die viertgrößte Stadt Neuseelands war. Im Jahre 2010 hat man jedoch beschlossen, eine Art Äquivalent zur Schaffung von Groß-Berlin im Jahre 1920 zu vollziehen und einige bis dahin eigenständige große und kleine Orte in Auckland einzugemeinden. Auckland Council entstand, das aber sicherlich – außer in Amtsgeschäften – niemand so nennt. All das ist nun einfach Auckland.

Auf dem Sky Tower in Auckland
Das prächtige Panorama des Waitematā Harbour breitet sich zu Füßen des auf dem Sky Tower weilenden Betrachters aus.
Fotograf: Alexander Glintschert (2015)
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Daß man, wenn man dort hinüber will, am besten die Fähre nimmt, um möglichst schnell auch dort anzukommen, das wird von hier oben offenkundig. Selbst aus dieser Perspektive ist es schwierig, jede Windung des Ufers des großen Waitematā Harbours auszumachen, der sich bis tief ins Landesinnere in unzählige kleinere und größere Seitenbuchten verzweigt. Da drumherumfahren zu müssen, kostet sicher reichlich Zeit. Diese läßt sich natürlich auch verkürzen, indem man die Auckland Harbour Bridge benutzt, die sich nicht allzuweit vom Stadtzentrum entfernt über den großen Naturhafen schwingt. Allerdings ist, so lese ich später, diese anfangs vierspurige Brücke seit ihrem Bau ein verkehrstechnisches Nadelöhr, so daß man sie bereits einmal erweitern mußte, indem man links und rechts zusätzliche Fahrbahnen mit jeweils zwei weiteren Spuren anbaute, was das Problem allerdings nicht auf Dauer lösen konnte. Also doch lieber die Fähre.

Von hier oben kann ich die Brücke nun in ihrer ganzen Länge sehen, die immerhin stolze 1,15 Kilometer beträgt. Nur ein kleiner Teil zwischen zweien der insgesamt sechs Brückenpfeiler weist die hohen stählernen Bögen auf, die mich gestern eine gewisse Ähnlichkeit zur Sydney Harbour Bridge hatten erkennen lassen. Nun, in ihrer Gesamtansicht, ist diese Ähnlichkeit nicht mehr ganz so groß.

Direkt zu unseren Füßen liegt rings um den Turm die Innenstadt Aucklands, auch Central Business District genannt. Und ein zentrales Geschäftsviertel ist dies in der Tat, wie die zahlreichen Hochhäuser beweisen. Einige von ihnen hatten wir uns ja schon auf unserem gestrigen Bummel durch die Queen Street von unten besehen können. Daß sie nicht die Höhe der Wolkenkratzer anderer Großstädte der Welt erreichen, war uns dabei bereits aufgefallen. Dennoch stellen sie eine durchaus beeindruckende Versammlung dar, wenn ich sie jetzt so von oben betrachte. Und auch wenn ich historische Bauten aufgrund ihrer größeren Ästhetik, ihres schöneren baulichen Schmuckes und ihrer oft ganz eigenen, nun, nennen wir es Persönlichkeit vorziehe, so muß ich doch zugeben, daß diese nadelartigen Gebäude hier zumindest einen gewissen gefälligen Abwechslungsreichtum aufweisen, was ihre äußere Gestaltung angeht. Diese liegt jedenfalls weitab von dem eintönigen Einerlei der Bürogebäude, die man heutzutage in Berlin für gewöhnlich so errichtet. Woran das wohl liegt?

Wie dem auch sei, dadurch fühle ich mich sogar bemüßigt, das eine oder andere Foto eines Wolkenkratzers zu schießen, sei es wegen seiner originellen Form oder wegen der interessanten Spiegelungseffekte in seiner Glasfassade.

Die Aussicht von hier oben ist in allen Richtungen gleichermaßen ausgezeichnet. Das Main Observation Deck ist so gestaltet, daß man einen uneingeschränkten 360-Grad-Rundblick genießen kann. Man muß einfach nur an den großen Fenstern entlanggehen, die sich an seiner Außenseite entlangziehen. Und genau das tue ich jetzt, wobei ich mich entgegen dem Uhrzeigersinn bewege.

Nach Westen und Süden hin dominieren eher niedrige Bauten das Stadtbild. Viele ein- bis zweistöckige Häuser sind in den einzelnen Stadtteilen zu sehen, die so malerische Namen wie Saint Marys Bay, Herne Bay, Freemans Bay oder Ponsonby und Grey Lynn tragen.  Hochhäuser gibt es hingegen nur sehr vereinzelt. Im Südwesten wird der Waitematā Harbour schließlich in der Ferne durch eine Bergkette abgelöst – die Waitākere Ranges. Ihre tiefgrünen Hänge deuten auf eine waldreiche Gegend hin.

Als sich mein Blick schließlich nach Süden richtet, entdecke ich eine weitere Wasserfläche am Horizont. Auckland besitzt ja die einzigartige Eigenschaft, gleichzeitig an der Ost- und an der Westküste der Nordinsel Neuseelands zu liegen. Und das ist von hier oben zu sehen. Diese Wasserfläche ist nämlich der an der Westküste gelegene Manukau Harbour, der zweitgrößte Naturhafen Neuseelands. Daß er größer als der Waitematā Harbour an der Ostküste ist, kann ich aufgrund seiner größeren Entfernung vom Stadtzentrum nicht wirklich sehen. Was ich beim Weitergehen hingegen bemerke, ist, daß sich im Stadtgebiet nun mehr und mehr einzelne Erhebungen zeigen. Hier eine, dort eine. Die meisten sehen eher wie kleine Hügel aus, einige erreichen aber auch größere Höhen, so daß sie doch recht deutlich hervorstechen. Der höchste dieser Hügel – es ist der Mount Eden – zeigt, als ich ihn mit meinem Teleobjektiv näher zu mir heranhole, einen ausgeprägten Krater, der ihn sofort als Vulkan erkennbar macht.

Es ist schon ein etwas merkwürdiges Gefühl, daß sich in meiner Bauchgegend breitmacht, als ich so unmittelbar daran erinnert werde, daß Auckland auf einem riesigen vulkanischen Feld errichtet wurde. Neueste Forschungen haben ergeben, daß es von dreiundfünfzig Vulkanen gebildet wird, von denen sich die meisten im Stadtgebiet befinden. Gemeinhin geht man davon aus, daß sie nach ihrem Ausbruch erkaltet sind und somit in der Zukunft kein Feuer mehr speien werden. Das ist doch beruhigend, nicht wahr?

Nun, wie so oft im Leben gibt es ein Aber. Und in diesem Fall ist es ein sehr großes Aber. Zunächst wäre zu sagen, daß es sich bei der Vorhersage, daß die Berge auf dem Auckland Volcanic Field nicht wieder ausbrechen werden, nur um eine Annahme handelt. Sicherlich eine gut begründete Annahme, aber eben doch nur eine Annahme. Absolut sicher ist sich da niemand. Und wer davon nicht beunruhigt wird, für den gibt es noch eine zweite, die besagt, daß man davon ausgeht, daß Eruptionen jederzeit an einer anderen Stelle des Vulkanfeldes möglich sind. Man hat sogar ausgerechnet, wie wahrscheinlich es wohl ist, daß ein im Jahr 2008 in Auckland geborenes Kind, für das man eine Lebenserwartung von achtzig Jahren angenommen hat und das sein Leben lang in der Stadt bleibt, hier einen Vulkanausbruch erlebt. Acht Prozent. Sagen die Wissenschaftler. Ist doch gut zu wissen, oder? Da kann man doch planen.

Der Mount Eden in Auckland
Der Mount Eden ist mit seinen 196 Metern der höchste der Vulkankegel im Stadtgebiet Aucklands. Sein Krater ist überdeutlich zu erkennen.
Fotograf: Alexander Glintschert (2015)
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Für einen Moment bricht sich in mir die Vorstellung Bahn, daß sich plötzlich vor meinen Augen mitten in der Stadt die Erde auftut und ein Lavastrom hervorbricht, der einen neuen Vulkankegel formt. Und was ist eigentlich, wenn das Ganze auch noch mit dem reichlich vorhandenen Meerwasser in Kontakt kommt? Doch dann reiße ich mich am sprichwörtlichen Riemen und schüttle diese Bilder schnell ab, die dann doch ein ganz klein wenig zu dystopisch für meinen Geschmack sind. Ich gestatte mir noch kurz den Gedanken, daß ich eher bezweifle, diese Stadt, so schön sie auch sein mag, als Wohnort für meinen Lebensabend in Betracht zu ziehen; dann wende mich Erfreulicherem zu.

Links hinter dem Mount Eden bemerke ich einen weiteren der Vulkane, auf dem eine Art Denkmal oder eine Statue oder etwas in der Art zu stehen scheint. Genau erkennen kann ich es wegen der großen Entfernung nicht. Also nehme ich wieder mein Teleobjektiv zu Hilfe – praktisch, so ein Ding, taugt auch als Fernglas; wenn es nur nicht so schwer wäre – und besehe mir die Sache näher. Es ist ein Obelisk. Sofort fallen mir die Illuminaten ein. Ich habe definitiv zuviel Dan Brown gelesen…

Nein, mit den Illuminaten hat dieser Obelisk ganz sicher nichts zu tun. Er steht dort als Erinnerung an das einhundertjährige Jubiläum der Unterzeichnung des Vertrages von Waitangi. Durch diese Vereinbarung – in der Sprache der Māori als „Te Tiriti o Waitangi“ bezeichnet -, die am 6. Februar 1840 vom Captain der Royal Navy William Hobson als Konsul für die britische Krone und zahlreichen Chiefs der Māori-Klans unterzeichnet wurde, gelangte Neuseeland in den Status einer britischen Kolonie. Bemerkenswert ist, daß darin festgehalten ist, daß die britische Krone das Eigentum der Māori an ihren Ländereien, Wäldern und anderen Besitztümern anerkennt und ihnen die Rechte britischer Untertanen gewährt. Der Vertrag stellt die älteste Verfassungsurkunde Neuseelands dar und ist auch heute noch anwendbares Recht. Benannt ist er nach dem Ort der Unterzeichnung.

Der One Tree Hill in Auckland
Ein einzelner Obelisk ragt anstelle eines Baumes auf dem One Tree Hill in den Himmel. Man sagt, die Einwohner der Stadt würden den Hügel auch als „No Tree Hill“ bezeichnen.
Fotograf: Alexander Glintschert (2015)
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Der Berg, auf dem der Obelisk steht, trägt den Namen One Tree Hill, was Ein-Baum-Berg bedeutet. Das ist einigermaßen merkwürdig, denn soweit ich sehen kann, gibt es auf dem Gipfel nur den Obelisken, aber keinen Baum. Erst etwas tiefer an den Hängen sind vereinzelt Bäume anzutreffen. Nun, zum Zeitpunkt der Namensgebung soll es dort wohl genau einen Baum gegeben haben. Es ist anzunehmen, daß das stimmt, andernfalls ergäbe der Name des Berges überhaupt keinen Sinn. Wie so oft, wenn die Briten in Neuseeland Dinge benannt haben, hat ihre Bezeichnung mit der der Māori überhaupt nichts zu tun. Jene nennen den Hügel Maungakiekie, was übersetzt soviel wie „Berg der Kiekie“ bedeutet. Die Kiekie wiederum ist eine Kletterpflanze, die ausschließlich in Neuseeland zu finden ist. Rings um den Berg zieht sich, soweit ich von hier aus erkennen kann, ein Park. Daß er den Namen Cornwall Park trägt, erfahre ich später, als ich darüber nachlese, was mir auch die Erkenntnis einbringt, daß die Benennung im Jahre 1901 zu Ehren des Herzogs und der Herzogin von Cornwall und York vorgenommen wurde, die Auckland gerade besuchten. Sie gingen später als König Georg V. und Königin Mary von Großbritannien in die Geschichte ein.

Nachdem mittlerweile neben Rangitoto Island auch Devonport und der Mount Eden auf meiner gedanklichen Liste der Orte, die aufzusuchen sich lohnen könnte, stehen, kommen im weiteren Verlauf meiner Rundschau über die Stadt noch die Auckland Domain mit dem Auckland War Memorial Museum, der Albert Park und die Universität hinzu – alles Orte, die man von hier oben gut erkennen, aber nicht näher in Augenschein nehmen kann, die jedoch auf die eine oder andere Art mein Interesse wecken.

Herauszufinden, was man in der jeweiligen Blickrichtung jeweils gerade sehen kann, überläßt man hier oben übrigens nicht allein der Findigkeit des Besuchers. Vor den Fenstern sind immer wieder Tafeln aufgestellt, die mittels einer schematischen Darstellung des Geländes Hinweise auf interessante Sehenswürdigkeiten geben. Als kleine Zugabe verzeichnen sie auch bedeutende Städte der Welt, die in der jeweiligen Himmelsrichtung liegen, inklusive einer Entfernungsangabe. Und weil Berlin von den Neuseeländern glücklicherweise als bedeutend genug eingeschätzt wird, um hier verzeichnet zu sein, weiß ich nun also auch, daß wir aktuell gerade 17.736 Kilometer von zu Hause entfernt sind. Das ist immerhin näher als das 120 Kilometer weiter weg liegende Prag! Interessant, nicht wahr? Ich hätte das andersherum erwartet…

Dann rückt schließlich wieder der Waitematā Harbour in mein Blickfeld, und kurz darauf habe ich meine Runde um das Main Observation Deck vollendet, als ich erneut die Auckland Harbour Bridge sehen kann.

Auch wenn nicht davon auszugehen ist, daß wir 34 Meter weiter oben völlig neue Aussichten erwarten können, sind wir nun doch einmal hier, und im Preis ist der Besuch des Sky Decks inbegriffen. Also fahren wir kurzentschlossen mit dem Fahrstuhl das vergleichsweise kurze Stück hinauf.

Wie vermutet, ist die Aussicht hier oben nicht nur ebenfalls uneingeschränkt in alle Richtungen möglich, sondern genauso phantastisch wie weiter unten. Wir vollziehen auch hier eine komplette Umrundung und haben, weil wir jetzt nicht mehr alles zum ersten Mal sehen und auch nicht mehr ständig in Ahs und Ohs ausbrechen müssen, genug Muße, noch nach den wenigen Orten Ausschau zu halten, die wir schon kennen, bei unserer ersten Umrundung in der unteren Aussichtsplattform aber vergessen hatten. Wir entdecken die Auckland Town Hall, die Auckland Waterfront und – ganz wichtig – unser Hotel, das EconoLodge City Central.

Tatsächlich neu ist allerdings der Blick auf eine dritte Aussichtsplattform, die der Turm besitzt, die aber oft gerne vergessen wird, da ihr Besuch im normalen Ticket nicht enthalten ist. Aus gutem Grund! Wer sie betreten will, heißt es, muß starke Nerven mitbringen. Von hier oben erkennen wir auch sofort, warum! Denn diese Plattform, die sich in 192 Metern Höhe zwischen Main Observation und Sky Deck befindet, ist eigentlich nicht viel mehr als ein Metallsteg, vielleicht einen halben Meter breit, der außen um den Turm herumführt. Und mit außen meine ich draußen! Und wenn ich Steg sage, dann ist auch exakt das darunter zu verstehen – ein Steg ohne jegliches Geländer! Klingt lustig? Nun, das dürfte definitiv im Auge des Betrachters liegen.

Wer da einmal außen herumlaufen will, muß das nicht nur extra buchen, der muß auch entsprechende Ausrüstung anlegen, denn natürlich lassen die Turmbetreiber nicht jeden, der das will, einfach so in luftiger Höhe außen um den Turm spazieren. Das geht nur angeseilt. Wir hatten unten trotzdem nur ganz kurz überlegt, ob wir uns das gönnen sollen – und dann darauf verzichtet. Nun, wo ich auf beiden hinter Fenstern gelegenen Aussichtsplattformen war, bin ich mit dieser Entscheidung auch ganz zufrieden. Viel mehr als von hier sieht man auf diesem Sky Walk auch nicht, und nur des Nervenkitzels wegen muß ich das nicht machen.

Nervenkitzel im Übermaß verspricht übrigens auch die andere Betätigung, die man von dieser Außenplattform aus ausüben kann. Die Rede ist vom SkyJump. Dabei kann man im wahrsten Sinne des Wortes von Turmspringen reden. Allerdings ist das Ziel nicht ein Wasserbecken, sondern einfach der harte Erdboden. Und man springt auch nicht aus zehn Metern Höhe, sondern stürzt sich aus 192 Metern in die Tiefe. Damit das aber nicht böse endet, wird man mit drei Führungsseilen verbunden, die von hier oben bis nach ganz unten reichen und genau den Zweck erfüllen, der sich in ihrem Namen ausdrückt: sie führen den Sprung. Damit soll vermieden werden, daß die Wagemutigen – andere würden sie vielleicht auch als Verrückte bezeichnen – bei Windböen gegen den Turm geschleudert werden. 85 Kilometer pro Stunde Fallgeschwindigkeit soll man bei so einem Sprung erreichen können. Und wie kommt man unten an? Nun, es wird versprochen, daß man kurz vor dem Boden computergesteuert abbremst.

Eine Gruppe Base-Jumper auf dem Sky Tower in Auckland
Eine Gruppe Wagemutiger bereitet sich auf den SkyJump vor.
Fotograf: Alexander Glintschert (2015)
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Als wir vom Sky Deck auf den Sky Walk hinunterblicken, können wir dort eine Gruppe Besucher beobachten, die sich gerade darauf vorbereiten. Alle sind in orangefarbene Overalls gekleidet und angeseilt. Offenbar erhalten sie gerade von einem Angestellten des Turm-Teams letzte Anweisungen. Weil es aber wohl eine ganze Menge zu der Angelegenheit zu sagen gibt, dauert das so lange, daß wir schließlich die Geduld verlieren und unseren Rundgang um das Sky Deck fortsetzen.

Als wir auf dem Weg nach unten wieder im tiefergelegenen Main Observation Deck angekommen sind, haben die Wagemutigen ihre Einweisung offenbar erfolgreich hinter sich gebracht und sind nun einer nach dem anderen auf dem Weg nach unten. Dabei rauschen sie direkt vor den Fenstern vorbei. Das geht derart schnell, daß ich mir kaum vorstellen kann, daß sie in der kurzen Zeitspanne, die sie bis nach unten benötigen, überhaupt viel von dem Sprung und der Welt um sich herum mitbekommen können. Nun, auf jeden Fall sind sie schneller unten als wir.

Dort langen auch wir wenig später an. Als ich beim Verlassen des Empfangsgebäudes auf die Uhr sehe, stelle ich fest, daß wir runde zwei Stunden auf dem Turm verbracht haben. Gut investierte Zeit, denn wir haben nicht nur einen schönen Überblick über die Stadt gewonnen und bei bestem Wetter eine phantastische Aussicht genossen, sondern nun auch einige weitere lohnende Ziele für unsere nächsten Unternehmungen in Auckland auf dem Zettel. Und weil der Tag noch lange nicht zu Ende ist – die Mittagszeit ist gerade erst vorüber -, fangen wir auch gleich damit an.

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An Aucklands Waterfront

Dieser Beitrag ist Teil 2 von 10 der Beitragsserie "Reise nach Neuseeland & Singapur"
Wie ich Aucklands Waterfront und die Hauptgeschäftsstraße der Stadt inspizierte

Als wir das Flugzeug verlassen, ist es Mittag. Von hier bis zum Terminal zu gelangen und die Einreiseformalitäten zu erledigen – all das dauert nicht sehr lange. Der Flugplatz ist eher übersichtlich und alles geht seinen geordneten Gang. Im Nu stehen wir am Gepäckband und warten auf unsere Rucksäcke, die auch schon nach kurzer Zeit auf uns zufahren. Puh. Alles gut gegangen. Seit meinem Trip nach Kanada bin ich an Gepäckbändern auf Zielflughäfen immer etwas nervös und erwarte irgendwie, daß mein Rucksack so wie damals den Weg nicht gefunden hat und ich vergeblich nach ihm Ausschau halte.

A 380 auf dem Auckland Airport
Unser Flugzeug auf dem Flughafen in Auckland. Dieser selbst ist doch eher überschaubar.
Fotograf: Alexander Glintschert (2015)
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Diesmal kann ich ihn jedoch erleichtert vom Band heben und mir auf den Rücken hieven. Los geht’s. Draußen wartet ein ganzes Land darauf, von mir entdeckt zu werden. Die Einreiseformalitäten sind schnell erledigt, und es gibt auch kein so großes Bohei wie bei unserer Einreise in Australien vor etwas mehr als zwei Jahren. Da war jeglicher Form von Nahrungsmitteln der Zutritt zum fünften Kontinent verwehrt. Und weil ich den Fehler begangen hatte anzugeben, daß meine Schuhe nicht neu waren, hatten sie sogar meine Schuhsohlen aufs genaueste untersucht. Ich könnte ja ein Krümel Irgendwas ins Land schleppen, was da nicht hingehört.

Hier in Auckland verzichtet man auf all das und so stehen wir schon bald vor dem Flughafengebäude und schauen uns in der Mittagssonne um. Na gut – in der Stadt sind wir schon mal nicht. Das war aber auch nicht zu erwarten. Weil direkt vor uns eine Bushaltestelle ist, schauen wir zuerst da mal nach. Glück gehabt – hier fährt ein Bus in die Stadt. Tickets gibt’s an einem kleinen Kiosk nebenan.

Wenig später sitzen wir entspannt im Bus und rollen gen Auckland. Gefahren wird hier wie in England – auf der falschen Seite. Ich werde mich also für den Rest des Urlaubs wieder daran gewöhnen müssen, beim Überqueren der Straße zuerst nach rechts zu sehen. Das wird voraussichtlich die ganzen vier Wochen dauern – und wenn ich’s dann endlich drauf habe, geht’s zurück nach Deutschland, wo ich’s mir dann wieder abgewöhnen muß. Immer vorausgesetzt, ich überlebe die Momente, wo ich in die gewohnte Richtung schaue und dann die Straße betrete, weil offensichtlich nichts kommt…

Der Bus ist recht flott unterwegs, und so sind wir nach nicht allzulanger Fahrt am Ziel. Während sie andauert, finden wir heraus, daß der Bus uns fast bis an unser Hotel bringt. So viel Glück auf einem Haufen hat man auch nicht alle Tage…

Als wir an einer belebten Straßenkreuzung mitten im Zentrum Aucklands aussteigen, müssen wir nur noch wenige Meter laufen, um zu unserem Hotel zu gelangen. Es ist das einzige, das wir vorab schon von Deutschland aus gebucht haben. Es macht einfach keinen Spaß, nach so langen Flügen noch mit dem schweren 18-Kilogramm-Rucksack auf dem Rücken auf der Suche nach einem freien Hotelzimmer durch die Stadt zu tigern. Da ist es doch viel angenehmer, genau zu wissen, wo man die ersten Nächte schlafen wird. Alles andere findet sich dann, wenn sich der weitere Reiseverlauf sukzessive ergibt.

Kurz darauf stehen wir am Eingang zum EconoLodge City Central Hotel. Ein gewaltiger Name. Diese Nächtigungsanstalt befindet sich an der Ecke der Wellesley Street West und der Albert Street, in unmittelbarer Nähe vom Sky Tower. Den haben wir schon zu uns herabgrüßen sehen, uns aber noch nicht eingehender mit ihm beschäftigt. Von außen wirkt das Hotel mit seiner Quaderform und der Ziegelfassade mit den langen Fensterstrecken eher nüchtern, hinterläßt aber einen ordentlichen ersten Eindruck.

Der bestätigt sich auch, als wir das Innere betreten. Die Anmeldung ist unkompliziert, denn die Reservierung ist – dem Internet sei Dank – zuverlässig hier eingetroffen und schnell aufgefunden, und so sind wir wenig später auf dem Weg nach oben in unser Zimmer. Der Fahrstuhl ist klein, fast schon winzig, und als wir aussteigen, stehen wir auf einem ziemlich engen Flur. Und das ist nicht als kurze Umschreibung für „etwas schmaler als gewöhnlich“ zu verstehen! Hier können wir tatsächlich nur hintereinander gehen. Unser Zimmer ist dafür recht geräumig und hell. Auch ist es auffallend ruhig, obwohl es direkt über der Straßenkreuzung liegt. Als ich testen will, wie groß der Lärm bei offenem Fenster ist, muß ich feststellen, daß sich die Fenster nicht öffnen lassen. Belüftet wird hier per Klimaanlage. Nun ja, ich ziehe zwar ein offenes Fenster vor, aber es gibt Schlimmeres. Solange die Klimaanlage jetzt im Sommer nicht heizt, ist alles in Ordnung. Nicht lachen – auch das habe ich auf Reisen schon erlebt, damals in Montreal…

Zwei Betten, recht bequem, ein Schrank, ein Tisch, zwei Stühle und ein kleines Badezimmer mit Badewanne – das ist die Ausstattung unserer Bleibe für die nächsten fünf Nächte. Nichts Luxuriöses, aber es erfüllt seinen Zweck und ist sauber. Hier läßt sich’s bequem aushalten. Was will man mehr…

Wir richten uns ein und strecken uns gleich mal auf den Betten aus. Eigentlich ganz schön. Insbesondere nach dem Dauersitzen im Flugzeug und dem Nachschlag im Bus. Und doch: lange hält es uns nicht. Draußen ist schließlich noch heller Nachmittag. Und den wollen wir nutzen und schon mal ein wenig die Stadt erkunden. Wir sind ja schließlich neugierig! Also stehen wir kurz darauf wieder auf der Wellesley Street West und schauen uns um. Für den Anfang vielleicht erst einmal etwas Bekanntes. Gut, davon gibt’s für uns in Auckland nicht wirklich viel, denn hier waren wir noch nie. Aber einen Ort kennen wir immerhin doch: die Bushaltestelle, an der wir ausgestiegen sind. Die Kreuzung dort war, so schien uns, recht lebendig. Also gehen wir die paar Schritte dorthin zurück und stellen fest, daß sich hier die Wellesley Street West mit der Queen Street trifft.

Für mich ist es eine gute Tradition, daß ich, wenn ich an Orte mit Meeresanschluß reise, dem jeweiligen Gewässer noch am Tag der Ankunft einen ersten Besuch abstatte. Man will sich mit den Göttern der Fluten schließlich gut stellen. Und da hilft Höflichkeit schon einmal ungemein. Wir wenden uns also nach Norden und spazieren die Queen Street entlang. An deren Ende soll laut Reiseführer der Hafen liegen.

Diese Straße kann man mit Fug und Recht als die Hauptgeschäftsstraße von Auckland bezeichnen. Und genauso sieht sie auch aus. Geschäft reiht sich hier an Geschäft, Laden folgt auf Laden. Größere, mittlere, kleine – alles bunt gemischt. Nur Kaufhäuser in der Größenordnung, wie wir sie aus der Heimat kennen, scheint es hier nicht zu geben. Ich kann allerdings nicht behaupten, daß ich sie vermissen würde…

Die Gehsteige sind sämtlich von Vordächern überschattet, so daß hier niemand Gefahr läuft, sich beim Einkaufsbummel einen Sonnenbrand zu holen. Allerdings sind diese bei vielen der die Straße säumenden Häuser nicht wirklich einer ihrer Bestandteile, sondern sehen eher wie an sie angehangen aus. Tatsächlich ist wohl auch genau das der Fall.

Die Häuser sind eine bunte Mischung aus allen möglichen Baustilen und vermutlich auch Jahrzehnten. Hier ein Bau, der gut und gerne hundert Jahre alt sein könnte, daneben einer, der höchstens die Hälfte auf dem Buckel hat, gefolgt von einem Niegelnagelneubau. Hochhäuser gibt es natürlich auch, aber die stattliche Höhe, wie man sie aus amerikanischen Großstädten oder auch aus Sydney oder Melbourne kennt, erreichen sie nicht. Auch wenn sie ihre Nachbarn weit überragen, scheinen sie sie doch nicht niederdrücken zu wollen. Ich finde das sehr rücksichtsvoll von ihnen.

Heiß ist es nicht, aber doch sommerlich warm, und so kommt uns ein Starbucks gerade recht, um uns einen Eiscafé zu gönnen. Diese Kette gibt’s wirklich überall auf der Welt. Und darin läuft alles auch genau so ab wie bei uns zu Hause. Deshalb können wir uns trotz fremdem Land sofort zurechtfinden. Systemgastronomie eben. Genial, wenn man sich erstmal nicht gar so fremd vorkommen will, aber nichts, um in die fremden Welten auch einzutauchen. Die einschlägigen Verwandten vom Burgerladen mit dem großen gelben M bis zum Fettkringelgeschäft gibt’s hier natürlich auch alle. Wir werden sie weitestgehend meiden, doch der Eiscafé geht in Ordnung.

Jetzt wird die Straße von kleinen Palmen gesäumt. Wir bummeln weiter an Geschäften vorüber, die sich mir jedoch nicht einprägen. Ich hab’s nicht so mit Einkaufsbummeln und besehe mir lieber die Hausfassaden links und rechts. In der Ferne vor uns ragt ein Hochhaus auf, an dessen oberer Kante der Schriftzug Deloitte prangt. Ein solches Haus gibt’s offenbar in jeder größeren Stadt der westlichen Welt. Berlin hat auch eins. Beratungshäuser sind eine boomende Branche. Komischerweise muß ich immer, wenn ich eines dieser Häuser sehe und den Schriftzug lese, an ein WC denken. Woran das wohl liegt?

Die rechte und die linke Straßenseite haben sich die Häuser jetzt aufgeteilt – die hohen, neuen hat die linke übernommen, die alten, kleinen stehen auf der rechten. Als wir das Hochhaus passiert haben, daß sich die Berater hier haben errichten lassen – sie haben natürlich die falsche Straßenseite dafür genommen, so daß ihr hoch aufragendes, Bedeutung einforderndes Bauwerk rechts von uns herumlungert -, stehen wir kurz darauf an einer großen Straßenkreuzung. Dahinter beginnt auf der linken Seite ein langgezogenes Glasdach über dem Bürgersteig, an dem viele Busse hintereinander stehen. Das ist ganz offensichtlich der Busbahnhof der Stadt. Ihm gegenüber steht ein altes, ehrwürdiges, irgendwie amtlich aussehendes Gebäude. Im Augenblick habe ich keine Ahnung, um was es sich dabei handelt, doch ich merke es mir vor. Später werde ich herausfinden, daß dieses Gebäude einst das Hauptpostamt der Stadt war, seit 2003 jedoch als Empfangsgebäude für das Britomart Transport Centre dient, einen Bahnhof und Knotenpunkt des öffentlichen Nahverkehrssystems Aucklands, zu dem auch besagter Busbahnhof gehört.

Das Britomart Transport Center in der Queen Street in Auckland
Ein Blick in die Queen Street, Aucklands Hauptgeschäftsstraße. Im Vordergrund ist der Busbahnhof des Britomart Transport Centres zu sehen.
Fotograf: Alexander Glintschert (2015)
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Für mehr ist gerade keine Zeit, denn schon zieht ein anderes Gebäude meine Aufmerksamkeit auf sich. Es steht schräg links vor uns hinter dem Busbahnhof. Mit ihm haben wir auch das Ende der Queen Street erreicht. Sie trifft hier auf die Quay Street; und deren Name ist nicht zufällig gewählt, denn sie verläuft parallel zu den Hafenanlagen beziehungsweise zu Aucklands Waterfront. Zu dieser gehört auch das Gebäude, das mir ins Auge sticht.

Gelbbraun ist seine Fassade, in die Gesimse, angedeutete Säulen mit Kapitellen, Bögen und Fenster mit dreieckigen und runden Bekrönungen integriert sind. In der Mitte ragt ein Turm auf, der an allen Seiten Uhren besitzt und dessen Dach spitz zuläuft. Die Architektur deutet auf ein Alter von wenigstens einhundert Jahren hin, nur die oberste Etage hinterläßt einen etwas moderneren Eindruck. Offenbar wurde sie später aufgesetzt. Weil sie jedoch recht flach ist, stört sie nicht weiter.

Das Ferry Building in Auckland
Das Ferry Building, 1912 errichtet, ist das Fährterminal der Stadt.
Fotograf: Alexander Glintschert (2015)
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Daß ich mit meiner Schätzung gar nicht so schlecht liege, erfahre ich später, als ich mehr über das Gebäude herausfinden will. Der Baustil wird als Edwardianischer Barock bezeichnet und war Anfang des zwanzigsten Jahrhunderts groß in Mode, zu der Zeit, als König Edward VII. das britische Empire regierte. Und aus dieser Zeit stammt das Ferry Building, vor dem wir hier stehen. Genauer gesagt, von 1912. Es ist das Fährterminal der Stadt. Von hier starten die Fährschiffe in die Vorstädte Aucklands und zu den vorgelagerten Inseln. Tatsächlich ist der Wasserweg in Auckland durchaus ein Konkurrent zur Straße, liegt Auckland doch an den Ufern des Waitematā Harbour, der ein Teil des großen Hauraki Golfs ist, dessen Buchten mitunter tief ins Land einschneiden. Um diese mit dem Auto herumzufahren, ist mitunter bedeutend zeitaufwendiger, als die Fähre zu benutzen.

Während wir das Gebäude einer näheren Betrachtung unterziehen, fällt mir an der Quay Street ein über einem Eingang angebrachtes, über dem Bürgersteig hängendes Schild ins Auge. „Botswana Butchery“ steht darauf. Hm, ich gehe wohl nicht fehl in der Annahme, daß das zugehörige Etablissement irgendetwas mit Fleisch zu tun hat. Wörtlich übersetzt bedeutet der Name auf dem Schild „Botswana-Metzgerei“. Oder auch „Metzgerei in Botswana“, wie man möchte. Eine Metzgerei in einem Fährterminal? Eigenartig. Als ich durch die Glasscheiben der doppelflügeligen Eingangstür ins Innere spähen will, bemerke ich die Türgriffe. Sie sind als Fleischerbeile gestaltet. Allerliebst. Und auf jeden Fall sehr martialisch. Hier mag jemand Fleisch. Definitiv. Das Rätsel löst sich, als ich die ausgehängte Speisekarte entdecke. Aha, ein Restaurant also, wohl eine Art Steakhaus.

Da wir gerade keinen Hunger haben, erkunden wir das Restaurant nicht weiter, sondern schlendern lieber rechts am Ferry Building vorbei. Dabei passieren wir einen auffällig roten Metallzaun mit einem großen Tor. Die Torpfosten sind ebenfalls metallisch und mit großen Laternen bekrönt, an deren Sockeln an allen vier Ecken kleine bärtige Männerköpfe etwas grimmig in die Umgegend blicken. In der Mitte des Tores ist ein großes, wappenartiges und ebenfalls metallisches Siegel angebracht, an dessen Seiten sich zwei ebenfalls bärtige, fischschwänzige Männer entlangwinden, die auf ihren Schultern und Armen ein Segelschiff tragen. In der Mitte des Wappens prangen in schöner Schreibschrift die Initialen AHB.

Am Queens Wharf Gate des Red Fences an Aucklands Waterfront
Am Queens Wharf begann man 1913 mit der Errichtung des heute berühmten Roten Zauns.
Fotograf: Alexander Glintschert (2015)
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Ein an diesem Zaun angebrachtes Schild weist uns darauf hin, daß wir – wer hätte es gedacht – vor dem sogenannten Red Fence, dem Roten Zaun, stehen. Er wurde in den Jahren 1913 bis 1923 errichtet und trennt den Hafenbereich von der Quay Street. Seinen Anfang nahm er genau an der Stelle, an der wir gerade stehen – als Zaun zur Abgrenzung des Queens Wharfs, einem Pier des Hafens. In den 1920er Jahren ließ der Hafenbetreiber, das Auckland Harbour Board (daher die Initialen AHB), dann den Zaun verlängern, um auch andere Hafenbereiche zu sichern. Obwohl der Schiffsanlegeplatz – heute Neuseelands größter Hafen und der drittgrößte Containerumschlagplatz in Australien und Asien – in späterer Zeit immer weiter aus dem Stadtzentrum heraus in Richtung Osten verschoben wurde – und zum Teil auch noch heute wird -, so daß man das freiwerdende Hafengelände neu gestalten und dem Stadtleben zuführen konnte, haben große Teile des Roten Zauns bis heute überlebt. Er gilt mittlerweile als eine der Sehenswürdigkeiten Aucklands und wird als solche auch erhalten und gepflegt.

Die Piere am Zentrum der Stadt sind heute öffentlich zugänglich, so daß der Zaun hier Lücken läßt und seine Tore, so sie noch vorhanden sind, offenstehen. Das nutzen auch wir und spazieren auf den Queens Wharf. Ihn gibt es, wenn auch nicht in der heutigen Form, seit 1852. War er früher aus Holz, so besteht er nun aus Beton. Er ist gewissermaßen die direkte Fortsetzung der Queen Street auf’s Wasser hinaus. Von ihm haben wir einen schönen Blick auf die benachbarten Piere – im Osten beispielsweise den Bledisloe Wharf. Als wir weiter auf den Queens Wharf hinauskommen, können wir auch die Auckland Harbour Bridge sehen. Sie erinnert in ihrer Form ein wenig an die gleichnamige Brücke in Sydney. Mit ihrer Länge von mehr als einem Kilometer verbindet sie den zentralen Teil von Auckland mit einer durch den Waitematā Harbour von der Stadt getrennten Landzunge und kürzt so eine andernfalls erforderliche, etwa fünfzig Kilometer lange Fahrt um den Naturhafen herum ab.

Bledisloe Wharf im Hafen von Auckland
Ein Blick vom Queens Wharf auf den Bledisloe Wharf im Hafen von Auckland.
Fotograf: Alexander Glintschert (2015)
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Vom Ende des Queens Wharfs ist der Waitematā Harbour sehr schön zu überblicken, und so stehen wir eine Weile lang andächtig hier herum und lassen beeindruckt unsere Blicke über’s Wasser schweifen. Als wir uns schließlich umdrehen, um zurückzulaufen, sind wir gleich ein zweites Mal beeindruckt – diesmal von der nahen Skyline des Zentrums Aucklands, vor der sich das Ferry Building unseren Blicken präsentiert. Auch wenn die Wolkenkratzer hier nicht so hoch sind wie anderswo – eine machtvolle Skyline geben sie allemal ab. Und natürlich finden sich hier auch all die anderen Firmennamen an den Gebäudeoberkanten, die man in allen großen Städten der westlichen Welt so findet. Ist es ein Wunder, daß sich der Eindruck aufdrängt, die Welt befinde sich in der Hand einiger weniger den Globus umspannender Firmen und Konzerne? Ist aber bestimmt nur eine Verschwörungstheorie…

Wir gehen weiter an der Uferwand des Piers entlang, die uns schließlich wieder zum Ferry Building und der Quay Street zurückführt. Noch haben wir nicht genug vom Spazieren in der fremden Stadt am anderen Ende der Welt, weshalb wir noch ein wenig die Quay Street in Richtung Westen weiterwandern. Der Rote Zaun begleitet uns weiter. Und auch wenn hier nun die eigentlichen Zaunfelder fehlen, die alten Zaunpfeiler mit den sie bekrönenden Laternen gibt es noch. Daß auf dem alten Hafengelände dahinter mittlerweile keine technischen Anlagen und Container mehr zu finden sind, sondern stattdessen Hotel- und Gewerbebauten mit Restaurants und Unterhaltungseinrichtungen darin, läßt die Überbleibsel des alten Hafenzauns manchmal ein wenig aus der Zeit gefallen erscheinen, doch verleiht das der Gegend, die wir hier durchstreifen, auch einen ganz eigenen Charme.

Während wir entspannt die Auckland Waterfront entlangschlendern, verschwenden wir keinen Gedanken daran, wie merkwürdig es doch eigentlich ist, daß dieser Begriff die Gegend, in der wir uns gerade befinden, so eindeutig kennzeichnet. Denn wenn man sich das Stadtgebiet auf einer Karte genau besieht, stellt man fest, daß Auckland eigentlich zwei Waterfronts besitzt: die hiesige am Waitematā Harbour und eine weitere im Südwesten, die auf der anderen Seite der neuseeländischen Nordinsel an der großen Bucht des Manukau Harbour liegt, der immerhin Neuseelands zweitgrößter Naturhafen ist. Doch weil sich der Hafen von Auckland nun einmal hier am Waitematā Harbour entwickelt hat, hat sich für dieses Areal der Name Auckland Waterfront durchgesetzt. Den anderen Küstenstreifen der Stadt bezeichnet tatsächlich niemand hier so.

Als wir das Ende der Quay Street erreichen, führt ein Weg weiter geradeaus auf einen molenartig in ein Hafenbecken hineinreichenden Pier. Links und rechts schaukeln Segelboote in großer Zahl im Wasser. Ich schaue ihnen zu und mir wird im wahrsten Sinne des Wortes anschaulich, warum Auckland den Beinamen „City of Sails“ beziehungsweise „Stadt der Segel“ trägt. Am Ende des kleinen Piers schließt sich eine schmale Fußgängerbrücke an. Sie grenzt das Viaduct Bassin genannte Hafenbecken gegen den großen Waitematā Harbour ab, ist jedoch als Klappbrücke gestaltet, damit die Segelboote herein- und hinausfahren können. Wir spazieren hinüber und erreichen ein kleines Viertel namens Wynyard Quarter, das der Brücke auch zu ihrem Namen verholfen hat: Wynyard Crossing. Wir sind hier am westlichen Ende von Aucklands Waterfront angekommen.

Skyline am Viaduct Bassin in Auckland
Dieser Blick auf die schöne Skyline Aucklands bietet sich vom Ufer des Viaduct Bassins im Wynyard Quarter.
Fotograf: Alexander Glintschert (2015)
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Der Blick über das Viaduct Bassin zurück auf die Innenstadt Aucklands ist ein weiteres Mal atemberaubend. Dominiert wird die Skyline der Stadt auf dieser Seite vom Sky Tower. Die vielen schlanken Masten der Segelboote scheinen bestrebt, ihm hinsichtlich der Höhe Konkurrenz zu machen, können mit ihm aber nur perspektivisch und aufgrund ihrer größeren Nähe zu uns mithalten. Die weißen Wolkenberge, die sich im tiefblauen Himmel über der Stadt auftürmen, verleihen der Szenerie eine ruhige Schönheit.

Diese Schönheit ist noch weitaus mehr zu würdigen, wenn man bedenkt, daß wir sie in gewisser Weise nur einem gescheiterten Projekt verdanken, dessen Überbleibsel das Viaduct Bassin ist. In den frühen 1920er Jahren hatte die hiesige Hafenbehörde geplant, die infolge der technischen Entwicklung immer größer werdenden Schiffe im Waitematā Harbour ankern zu lassen. Die Waren sollten dort in kleinere Schiffe umgeladen und an Land gebracht werden. Damit wollte sie sich die Kosten für das Ausbaggern der Hafenkanäle und die Anlage neuer Piers ersparen. Um den Plan in die Tat umzusetzen, hatte man das Viaduct Bassin, das sich heute so natürlich als Teil des Naturhafens präsentiert, als Anlegeplatz für diese Transportschiffe anlegen lassen. Doch wie so oft, wenn Menschen Pläne machen, war am Ende alles anders gekommen. Die Hafenbehörde hatte die Rechnung ohne die Schiffseigner gemacht. Weil diese an dieser Lösung nicht interessiert waren, hatten sie einfach die Zusammenarbeit verweigert und eisern darauf bestanden, daß ihre Schiffe zur Löschung der Ladung weiterhin direkt anlegen sollten. Schließlich hatte die Hafenbehörde klein beigeben müssen. Und das Viaduct Bassin? Das hatte nun keinen Zweck mehr besessen und war daher als Anlegeplatz für Fischerboote genutzt worden. An seinen Ufern richtete man alsbald einen Fischmarkt ein und baute Lagerhäuser. In den 1990er Jahren entwickelte man das Gebiet dann zu einem Wohnareal mit einem hohen Anteil an Gastronomie. Uns ermöglicht diese historische Entwicklung, daß wir nun hier stehen und die Aussicht auf die Skyline Aucklands genießen können. So birgt auch das Scheitern oft genug die Möglichkeit für Neues und Schönes.

Als wir überlegen, ob wir das Wynyard Quarter noch ein bißchen erkunden sollen, melden unsere Mägen erste sanfte Proteste an. Der Drang zum Abendessen obsiegt folglich über den zur Erkundung der fremden Welt. Und das Ziel, gleich am ersten Tag das Meer zu besuchen, hatten wir ja auch vorbildlich erreicht. Wir wenden unsere Schritte daher zurück ins Zentrum und weiter die Queen Street hinauf. Nach einem kurzen Abstecher ins Hotel begeben wir uns auf die Suche nach einem gemütlichen Restaurant. Wir müssen nicht lang suchen, denn davon gibt es in dieser Stadt reichlich. Da Auckland wie überhaupt Neuseeland in der Vergangenheit Einwanderer aus allen Teilen der Welt angezogen hat, ist natürlich für jeden kulinarischen Geschmack etwas zu finden. So auch für unseren.

Als wir schließlich gesättigt noch ein wenig in der hereinbrechenden Dämmerung durch die Straßen spazieren, gelangen wir auch zum nahegelegenen Aotea Square, dessen eine Seite von Aucklands Town Hall gesäumt wird, einem schönen Gebäude aus dem Jahre 1911 mit einer keilförmigen Grundform. Sein spitz zulaufendes Ende wird von einem kleinen Turm markiert, dessen Sockel mit einer sanften, balustradenbekrönten Rundung versehen ist, deren Fassade mit als Säulen gestalteten Pilastern verziert ist. Mit seiner sanften Beleuchtung in bunten Farben wirkt das Rathaus irgendwie geheimnisvoll.

Das Rathaus von Auckland
Die 1911 fertiggestellte Auckland Town Hall in der Abenddämmerung.
Fotograf: Alexander Glintschert (2015)
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Bei unserem rein äußerlichen Blick auf die Town Hall ist die Verbindung, die sie zu Deutschland besitzt, nicht erkennbar. Das Gebäude, das nicht nur administrativen Zwecken dient, sondern auch ein Ort der Kultur ist, beherbergt in seinem Inneren einen Konzertsaal mit mehr als 1.600 Plätzen. Das Besondere an diesem Veranstaltungsort ist, daß ihn die Erbauer des Rathauses, die Melbourner Architekten John James Clark und Edward James Clark, dem Konzertsaal des alten Gewandhauses in Leipzig nachempfunden haben.

Für uns geht nun der erste Tag im fremden Land zu Ende. Müde von der langen Reise und dem Stadtbummel, der am Ende ein wenig ausgedehnter ausgefallen ist als ursprünglich beabsichtigt, fallen wir schließlich in unsere Betten und träumen weiteren Abenteuern entgegen.

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