Willkommen in der Dienstleistungshölle
Stellen Sie sich einmal vor, sie sind mit einem Problem konfrontiert, das im Zusammenhang mit von einem Unternehmen angebotenen und von Ihnen für gutes Geld in Anspruch genommenen Dienstleistungen auftritt, wofür Sie nichts können, das Sie aber schnellstmöglich gelöst haben wollen. Keine ganz weit hergeholte Situation, nicht wahr? Wohl jeder von uns hat sie in der einen oder anderen Weise wahrscheinlich schon einmal erlebt. Doch was erwartet man dann?
Nun, die Antwort ist einfach: Service! Und was gehört dazu? Natürlich eine möglichst schnelle Behebung, das ist klar. Doch weil die in der Realität natürlich nicht immer möglich ist – das Problem kann ja durchaus einmal ernsthafter Natur sein -, gehört dazu selbstverständlich auch die Kommunikation seitens kompetenter Mitarbeiter des jeweiligen Dienstleisters mit der nötigen Information über die Gründe sowie das Vorgehen und den Zeitplan für die Behebung.
Doch wie sieht heute nur allzu oft die Realität aus? Sie läßt sich mit einem einzigen Begriff zusammenfassen: Service-Hotlines. Und bei wahrscheinlich jedem löst dieser Begriff die gleiche Assoziation aus: Nerverei, Zeitverschwendung, Ärger, Frust. Hot, also heiß, läuft hier eigentlich nur der Kreislauf des Kunden. Dabei ist es fast egal, mit welchem Unternehmen man es im konkreten Fall zu tun hat, denn man trifft auf viele, bei denen Service nach eigenem Bekunden großgeschrieben wird, aber selten auf eines, bei dem das auch nur annähernd wenigstens zufriedenstellend funktioniert. Berüchtigt und gefürchtet sind die endlosen Dialoge mit den Telefoncomputern, bei denen man oft viel Zeit nutzlos verplempert und die im schlimmsten Fall zu gar nichts führen. Und hat man dann endlich doch einen Service-Mitarbeiter am Telefon, erweist sich der recht schnell als unbedeutendes Rädchen im Getriebe eines gesichtslosen Call-Centers, kann er dem gebeutelten Anrufer doch oft genug nicht wirklich weiterhelfen, weil er selbst geringe bis keine Ahnung von der Materie hat, sondern nur Telefondienst leistet und vorgegebene Checklisten abarbeiten kann.
Nein, Service wird schon lange nicht mehr großgeschrieben in der Dienstleistungsbranche. Überall wird zusammengestrichen und gespart, bis es quietscht und einfach nichts mehr funktioniert. Das konnte natürlich auch ich aus erster Hand schon oft am eigenen Leib erfahren. Doch auch in meinem Bekanntenkreis habe ich schon oft Erzählungen über unangenehme Erlebnisse mit der einen oder anderen Service-Hotline lauschen dürfen. So oft, daß ich mittlerweile über einen reichen Schatz von Erfahrungen in dieser Hinsicht verfüge. Ausreichend Stoff also, um einmal eine kleine Geschichte darüber zu schreiben, was passieren kann, wenn Menschen wie Du und ich gezwungen sind, sich als Kunden mit gesichtslosen, Profit und Kostenersparnis in den Vordergrund stellenden Großunternehmen auseinandersetzen zu müssen. Eine Geschichte, die zwar recht fantasievoll ist, in die jedoch all diese in der Realität von mir selbst oder anderen gemachten Erfahrungen mit unterschiedlichen Dienstanbietern eingeflossen sind, so daß sie letztlich, denke ich, doch die traurige Realität korrekt widerspiegelt, die da lautet:
Service? Ist leider aus!
Erster Tag
Es war an einem Donnerstag im Juli, als Clemens am Ende eines langen Tages im Büro nach Hause kam. Müde sank er in seinen Sessel, als ihm einfiel, daß er noch einen Anruf zu machen hatte, den er nicht auf den morgigen Tag verschieben sollte. So griff er zum Telefon, wählte die Nummer – und hörte nur ein Besetzt-Zeichen. Na gut, da wird wohl gerade gesprochen, dachte er bei sich, am besten versuche ich es in ein paar Minuten noch einmal. Um diese zu überbrücken, griff er nach seinem Tablet, um sich in aller Kürze zu informieren, was den Tag über so losgewesen war in der Welt. Die erste Webseite, die er aufrief, antwortete nicht. Nanu? Haben die eine Störung? Die zweite Webseite verhielt sich nicht wesentlich zugänglicher. Zwei Webseiten mit einer Störung zur gleichen Zeit? Hm, möglich – aber nicht sehr wahrscheinlich, dachte er. Seine Erfahrung, die er im Laufe seiner nun schon reichlich fünfundzwanzig Jahre, die er seinen Beruf als Softwareentwickler ausübte, erworben hatte, lehrte ihn, daß es stets sinnvoll ist, auf der Suche nach der Ursache eines Fehlers nicht die erstbeste Theorie, die einem in den Sinn kam, zu verfolgen, sondern zunächst zu überlegen, was die naheliegenderen Gründe für das Problem sein könnten und diese zuerst zu prüfen. Und um ein Vielfaches naheliegender erschien ihm die Annahme, daß das Problem eher auf seiten des gemeinsamen Faktors dieser beiden Seitenaufrufe und – nicht zu vergessen – des erfolglosen Telefonanrufs lag. Und das war hier der Benutzer, also er.
Ein kurzer Blick auf die Statusleiste am oberen Rand des Bildschirms seines Tablets bestätigte ihm die Richtigkeit dieser Strategie, denn dort konnte er unmittelbar erkennen, was nicht stimmte. Zwar wurde das WLAN-Symbol angezeigt und bedeutete ihm, daß sein Tablet eine Drahtlos-Verbindung zum Router aufgebaut hatte, doch das kleine, ebenfalls angezeigte Ausrufezeichen tat ihm kund, was das Problem war: es gab keine Internetverbindung. Und da auch sein Telefon seine Verbindungen über das Internet herstellte, war ihm nun auch klar, warum er zuvor niemanden hatte erreichen können. Nicht beim angerufenen Teilnehmer war besetzt gewesen, sondern sozusagen bei ihm selbst. Nur daß er nicht telefonierte, sondern überhaupt keine Verbindung mehr bekam.
Na toll. Tags zuvor hatte er noch im Home Office gearbeitet, da war alles noch paletti gewesen. Was war denn da nun wieder los?
Zur Sicherheit prüfte Clemens zunächst den Status seines Routers. Dessen gleichmütig blinkende Power-LED bestätigte seine Befürchtungen: das Problem lag nicht an einem einzelnen Gerät, sondern es gab generell keine Internetverbindung mehr über das Netz seines Internetproviders. Da auch ein Neustart des Routers nichts an der Situation änderte, würde er sich zur Beantwortung seiner Frage wohl mal mit jenem in Verbindung setzen müssen.
So wählte er denn die Servicenummer seines Internetproviders. Auf dem Mobiltelefon, versteht sich. Das andere funktionierte ja nicht. Natürlich bekam Clemens nicht sofort jemanden an die Strippe, der ihm weiterhelfen konnte, sondern wurde zunächst von dem heutzutage obligatorischen Telefoncomputer begrüßt, bei dem er aufgrund zahlreicher früherer Erfahrungen mit anderen Dienstleistern mittlerweile der festen Überzeugung war, er sei dazu da, die Anrufer so lange hinzuhalten und zu nerven, bis diese von allein aufgaben und davon absahen, ihre Frage zu stellen. Warum sollte es mit diesem anders sein? Kurz darauf sah sich Clemens in seiner Erwartung vollauf bestätigt, denn er wurde zunächst darauf hingewiesen, daß er seine Service-PIN und seine Vertragsnummer bereithalten solle. Es blieb ihm allerdings keine Zeit, diese zu besorgen, denn gleich darauf textete ihn der Computer mit einer Reihe von mit Nummern versehenen Optionen zu, aus denen er die auszuwählen hatte, die seinem Anliegen am nächsten kam. Schließlich wurde er tatsächlich aufgefordert, seine Service-PIN einzutippen, was ihn in hektische Betriebsamkeit versetzte, da er sie zunächst einmal heraussuchen mußte. Es dauerte ein bißchen, bis er sie gefunden hatte. Immerhin war der Computer geduldig genug, so lange zu warten, wobei er allerdings die Aufforderung, sie doch bitte einzugeben, stoisch immerzu wiederholte. Schließlich aber hatte Clemens die Ziffern mittels der auf seinem Mobiltelefon eingeblendeten Tastatur eingetippt und hoffte nun, endlich mit jemandem verbunden zu werden. Natürlich war das nicht der Fall, denn nun galt es zu entscheiden, ob er das Unternehmen bei der Verbesserung seiner Servicequalität unterstützen wollte, indem er der Aufzeichnung seines Gesprächs zustimmte. Wenn es doch endlich einmal zustandekäme, fluchte Clemens innerlich. Und verbissen in seinen bereits jetzt aufkommenden Frust, lehnte er kurzerhand ab. Vielleicht deswegen wurde ihm vom Computer nun gleich mehrfach versichert, daß seine Zufriedenheit als Kunde wirklich allerhöchste Priorität habe. Er konnte nicht umhin, angesichts dieses ellenlangen Vorgeplänkels bereits das erste Mal daran zu zweifeln.
Schließlich aber hatte sich Clemens durch den kein Ende nehmen wollenden Dialog mit dem Computer hindurchgekämpft und bekam nun endlich – nein, niemanden an’s andere Ende der Leitung, das wäre ja wirklich zu einfach. Stattdessen spielte man ihm erst einmal die Warteschleifenmelodie vor. Erfreulicherweise mußte er sie sich jedoch nicht lange genug zu Gemüte führen, um sie mitsingen zu können, denn schon nach wenigen Minuten brach sie unvermittelt ab, es klickte in der Leitung und eine Mitarbeiterin begrüßte ihn, sich gleich darauf dafür bedankend, daß er gewartet habe.
Unverzüglich hub Clemens an, ihr sein Anliegen vorzutragen. Störung seit heut… Moment, so einfach geht das nicht. Erst einmal mußten Daten abgeglichen werden. Vor- und Nachname, Telefonnummer, Email-Adresse, Service-PIN – was genau sie davon abfragte, wußte Clemens wenig später schon nicht mehr, denn während er die verlangten Daten durchgab, überlegte er, welchen Sinn diese Fragerei wohl haben mochte. Was genau damit überprüft wurde, erschloß sich ihm nämlich nicht, hatte er doch die Service-PIN, die nur er kennen durfte, bereits dem Computer mitteilen müssen. Und die anderen Daten waren jedenfalls nicht so privat, das sie zweifelsfrei beweisen konnten, daß er wirklich er war. Am wahrscheinlichsten erschien ihm daher die Theorie, daß diese Fragen irgendwie zu einem Ritual gehörten, das getreulich zu erfüllen war. Warum auch immer.
Schließlich war aber auch das geschafft. Das Telefonat dauerte jetzt schon gute zehn Minuten, und Clemens war noch nicht einmal dazu gekommen, sein Anliegen vollständig vorzutragen. Doch jetzt war es endlich soweit! Er setzte nochmal an: Störung seit heute, nichts geht mehr in Sachen Internet, Telefon auch nicht verfügbar, was nun?
Jetzt war es heraus! Und Clemens schnappte erstmal nach Luft, denn er hatte in dem Bestreben, all das endlich einmal loswerden zu können, ohne gleich wieder wegen irgendetwas unterbrochen zu werden, beim Sprechen glatt das Atmen vergessen. Den deutlich hörbaren Tastenanschlägen zufolge tippte die Mitarbeiterin am anderen Ende der Leitung ein wenig an ihrem Computer herum. Dann teilte sie ihm mit, was als nächstes geschehen würde. Offenbar wollte sie irgendein Signal über die Leitung senden, das seinen Router erreichen sollte. Wofür das genau gut war, erklärte sie ihm zwar nicht, wartete jedoch mit der Anweisung auf, den Router in zwei Stunden neu zu starten. Wenn es dann weiterhin nicht funktioniere, würde sich, so versprach sie Clemens, ein Techniker bei ihm melden. Ach ja, und er solle bloß nicht das WLAN benutzen.
Okay? So ganz überzeugt war Clemens nicht, denn es wollte ihm nicht so recht einleuchten, wozu diese Prozedur gut sein sollte. In erster Linie fragte er sich, warum er dafür zwei Stunden warten mußte. Und weshalb durfte er das WLAN nicht benutzen? Vielleicht, so überlegt er im Nachhinein, wäre es besser gewesen, diese Fragen sofort zu stellen, aber er hatte wohl in diesem Moment gedacht, daß er sich mit dem ganzen Netzwerkkram sowieso nicht ausreichend auskannte, um qualifizierte Nachfragen zu stellen – schließlich war er Software-Entwickler und kein Netzwerktechniker. Na, und die Service-Leute würden schon wissen, was sie tun, nicht wahr?
So bedankte sich Clemens für’s Erste und versprach, wie angewiesen zu verfahren. Er ließ also den Router vor sich hinblinken, schnappte sich ein Buch und harrte der Dinge, die da kommen würden.
Es dauerte nur wenige Minuten, da teilte ihm sein Mobiltelefon erfreut mit, daß es eine SMS für ihn empfangen habe. Clemens öffnete sie und stellte fest, daß sie von seinem Internetprovider an ihn versandt worden war. Man informierte ihn darüber, daß es in seinem Gebiet eine Großstörung gäbe. Die Servicetechniker seien aber bereits dabei, sie zu beheben, was außerhalb seiner Wohnung geschehe, weshalb vereinbarte Termine zur Entstörung nicht mehr erforderlich wären und mit dieser SMS abgesagt seien. Als Zeitrahmen gab man die nächsten achtundvierzig Stunden an.
Jetzt war Clemens das erste Mal wirklich verwirrt. Glücklicherweise wußte er zu diesem Zeitpunkt noch nicht, daß ihm dieses Gefühl in der nächsten Zeit noch sehr vertraut werden würde. Welche Termine zur Entstörung denn? Man hatte doch gar keine mit ihm vereinbart… Oder bezogen sie sich damit auf das Versprechen, daß sich ein Servicetechniker bei ihm melden würde, wenn es in knapp zwei Stunden nicht wieder funktionierte? Und was war das eigentlich plötzlich für eine Großstörung? Darüber hatte die Servicemitarbeiterin am Telefon doch gar nichts gesagt…
Für einen kurzen Augenblick erwog Clemens, gleich noch einmal anzurufen, nahm aber bei dem Gedanken an das ellenlange Vorspiel mit dem Computer, das er dann erneut zu absolvieren hätte, von dieser Idee Abstand. Daran konnte auch der Gedanke nichts ändern, daß damit der von ihm zuvor angenommene Zweck dieser Kommunikationverhinderungsmaschine wohl vollauf erreicht worden war. Er hatte an diesem Abend einfach keine Kraft mehr, noch einen Marathon zu laufen…
Aber da war ja noch die Sache mit der Großstörung. Clemens überlegte. Ob es wohl im Internet mehr Informationen dazu gab? Einen Versuch war es wohl wert. Er griff also erneut zu seinem Mobiltelefon – dem einzigen ihm verbliebenen Zugang zum weltweiten Computernetzwerk – und rief die Website seines Internetproviders auf. Im Bereich zur Störungshilfe fand er ein Formular, das ihm bei Eingabe seiner Adresse versprach, ihn über dort existierende etwaige Störungen zu informieren. Netter Service, dachte Clemens. Er tippte also seine Daten ein und erhielt umgehend eine Antwort:
Für Ihre Adresse ist uns momentan keine Störung bekannt.
Na sowas! Da hatte die SMS von eben doch etwas anderes behauptet. Was stimmte denn nun?
Doch die Antwort war noch nicht zu Ende. Für den Fall, daß er doch Opfer einer Störung geworden sein sollte, wurde Clemens die Nutzung eines sogenannten Störungsassistenten empfohlen. Ein Entstörungsassistent wäre ihm zwar lieber gewesen, doch da er noch Hoffnung hatte und nichts unversucht lassen wollte, rief er die Anwendung umgehend auf. Er erwies sich als lustiges, interaktives Frage-Antwort-Spiel mit hopsenden, Denken oder Antwortsuche simulierenden Pünktchen, in dessen Verlauf er mitteilen mußte, wie der Status seines Routers war, welche LEDs wie leuchteten, was beim Starten des Routers genau passierte – da er diesen vor seinem Anruf ja gerade erst neu gestartet hatte, wußte er das noch ziemlich genau -, ob es Pieptöne gab und falls ja, wieviele, und welche Art Anschlußstecker er hatte, wobei ihm von den abgebildeten irgendwie keiner passend erschien. Nachdem Clemens sich erfolgreich durch alle Fragen hindurchgehangelt hatte – irgendwie erinnerte ihn das an den Telefoncomputer; ob das dasselbe System war? – wußte der sogenannte Störungsassistent auch nicht mehr weiter und gab ihm dem Rat, doch mal den Kundenservice anzurufen. Der würde sein Problem sicher beheben können. Na, wenn das keine Hilfe ist, dachte Clemens sarkastisch. Auf die Idee war er zuvor schon ganz allein gekommen, dafür hätte er keinen Störungsassistenten gebraucht.
Es blieb ihm nun also nichts weiter übrig, als zu seinem Buch zurückzukehren und die zwei Stunden abzuwarten, die der technische Versuch dauern sollte. Nach den erhaltenen widersprüchlichen Informationen machte sich Clemens allerdings keine großen Hoffnungen mehr, daß dieser zum Erfolg führen würde, aber er wollte sich später nicht nachsagen lassen, es hätte an ihm gelegen, weil er die erhaltenen Anweisungen nicht befolgt hatte.
Vertieft in sein Buch, verpaßte Clemens den Ablauf der zwei Stunden etwas, so daß bereits vierzig Minuten mehr vergangen waren, als er schließlich den Router wie vereinbart neu startete. Das Ergebnis war, wie er es vorausgesehen hatte: es funktionierte nicht. Der Unterschied zu vorher war jetzt nur, daß er den Kundenservice nun nicht mehr erreichen konnte. Der hatte vor vierzig Minuten Feierabend gemacht. Ob das vielleicht der Grund für die Zeitspanne von zwei Stunden gewesen war? Clemens schloß nichts mehr aus.
Da auch mit der Kontaktaufnahme durch einen Techniker um diese Uhrzeit nicht mehr zu rechnen war, würde es wohl oder übel für heute bei diesem Zustand bleiben müssen. Als letzte Amtshandlung warf er nun noch einen Blick in die Service-App, die sein Internetprovider zur Verfügung stellte. Dort entdeckte er überrascht, daß eine Nachricht für ihn eingetroffen war. Diese erwies sich dann jedoch als nicht so neu, wie er gehofft hatte, sondern teilte ihm lediglich dasselbe mit, was er bereits aus der SMS wußte. Mit einer Ausnahme. Am Ende der Nachricht war folgendes zu lesen:
Behebung der Großstörung im Gange.
Bearbeitung abgeschlossen.
Wie jetzt? Clemens war verwirrt. Schon wieder. Behebung im Gange UND Bearbeitung abgeschlossen? Gleichzeitig? Und wenn letzteres stimmte, warum funktionierte es dann weiterhin nicht? Was also sollte das bedeuten? Er konnte sich keinen Reim darauf machen.
So war nun also die Situation am Ende dieses Tages: den verschiedenen Kommunikationssystemen seines Internetproviders zufolge hatte jener die Bearbeitung einer Großstörung, die es gar nicht gab, erfolgreich abgeschlossen, doch Clemens‘ Telefon war noch immer so tot wie das Internet für ihn nicht erreichbar. Aber wenigstens hatte man ihm versichert – mehrfach sogar -, daß seine Zufriedenheit als Kunde allerhöchste Priorität hatte. Wie gerne wollte er das glauben…
Zweiter Tag
Als Clemens am Abend des nächsten Tages von der Arbeit nach Hause kam, blinkte sein Router genauso gleichmütig vor sich hin wie am Vortag. Na, wenigstens behielt einer von ihnen seine Ruhe.
Eine Internet-Verbindung ließ sich folgerichtig weiterhin nicht herstellen und auch das Telefon blieb dysfunktional. Clemens wurde etwas beklommen zumute, als ihm plötzlich der Gedanke kam, was er jetzt wohl machen würde, wenn es zu einem Notfall kam und er kein funktionierendes Mobiltelefon hätte. In einer solchen Situation wäre es ihm dann nicht einmal möglich, einen Notruf abzusetzen. Auf einmal schien ihm die Internet-Telefonie gar keine so gute Idee mehr zu sein…
Zwar hatte er nun glücklicherweise keinen Notfall, doch wollte er trotzdem gerne wieder Zugang zum Internet und ein funktionierendes Telefon haben. Schließlich bezahlte er jeden Monat gutes Geld dafür!
Natürlich hatte sich den ganzen Tag über kein Techniker bei ihm gemeldet, wovon Clemens allerdings nicht sonderlich überrascht gewesen war, da er nach dem Verwirrspiel des gestrigen Abends auch nicht wirklich damit gerechnet hatte. So griff er also erneut zum Mobiltelefon und wählte die Nummer des Kundenservices seines Internetproviders.
Diesmal war es etwas früher als am Tag zuvor und Clemens noch deutlich fitter. So gelang es ihm ohne größere Schwierigkeiten, sich durch die endlos scheinende Litanei des Computers zu quälen, die dennoch stets eine gewisse Aufmerksamkeit erforderte, da er immer wieder aufgefordert wurde, irgendetwas einzugeben oder zu bestätigen. Diesmal hatte er sich, lernfähig, wie er war, die Service-PIN vorher herausgesucht, so daß es etwas schneller als am Vortag ging.
Als die Warteschleifenmusik schließlich abbrach, hatte Clemens diesmal einen Mitarbeiter am Telefon, der sich sehr mitteilsam gab. Nach einiger Tipperei an seinem Computer informierte er ihn darüber, daß es seit zehn Tagen eine Störung gäbe, die in seinem Haus vorläge. Diese müsse erst repariert werden.
Nun, das war Clemens durchaus bekannt. Tatsächlich hatte es Mitte des vorangegangenen Monats in der Etage unter seiner einen Brand gegeben, in dessen Folge es zu Schäden an diversen Leitungen gekommen war, so daß einige Mieter weder Internet noch Telefon und auch kein Fernsehen mehr hatten. Auch hatten irgendwann am Monatsanfang zwei Techniker vor seiner Tür gestanden, die den Zustand der Leitungen inspizieren sollten und sich dafür deren Führung in seiner Wohnung hatten ansehen wollen. Sie waren ziemlich überrascht gewesen, als er ihnen mitgeteilt hatte, daß sein Internet- und Telefonanschluß zu dieser Zeit noch funktioniert hatte. Da sie darauf bestanden hatten, daß das ja gar nicht sein könne, hatte er es ihnen kurzerhand demonstriert, was sie zwar von der Richtigkeit seiner Aussage überzeugt, allerdings nach eigenem Bekunden auch recht ratlos zurückgelassen hatte, weil sie es sich nicht recht erklären konnten. Schließlich seien doch alle Leitungen kaputt.
Da das nun schon zwei Wochen her war und der Brand mehr als vier Wochen zurücklag, fühlte sich Clemens ob der Aussage des Mitarbeiters einigermaßen verwirrt, denn es erschien ihm merkwürdig zu erfahren, daß die sogenannte Hausstörung erst seit zehn Tagen bestehen sollte. Als er den Servicemitarbeiter darauf und auf die Tatsache hinwies, daß sein Internetzugang noch bis einschließlich vorgestern zufriedenstellend seinen Dienst getan hatte, war es nun an diesem, verwirrt zu sein. Es entstand eine längere Pause, während der der Servicemitarbeiter erneut auf der Tastatur seines Computers herumtippte. Als er dann wieder das Wort ergriff, teilte er Clemens mit, daß es überdies ein Großstörung gäbe, von der sein Haus außerdem betroffen wäre. An der Behebung dieser würde aber bereits gearbeitet.
Nun interessierte es Clemens natürlich brennend, wie lange diese Behebung denn wohl dauern würde. Er zögerte nicht, diese Frage umgehend zu stellen. Leider konnte der Servicemitarbeiter sie nicht mit einer brauchbaren Antwort würdigen. Clemens versuchte es anders und wollte wissen, ob denn auch am unmittelbar bevorstehenden Wochenende entsprechende Arbeiten stattfinden würden. Offenbar wußte der Mann hier mehr, denn er versicherte ihm, daß der Sonnabend als Werktag gelte, so daß sich an diesem Tag auf jeden Fall Techniker um die Behebung der Störung bemühen würden. Am Sonntag, das müsse er verstehen, sei das allerdings nicht der Fall.
Mehr war beim besten Willen nicht herauszubekommen, so daß Clemens eine Fortsetzung des Gesprächs nicht sehr sinnvoll erschien. So verabschiedete er sich und legte auf. Was nun folgte, war im wesentlichen eine Wiederholung der Ereignisse des Vorabends. Nicht allzu lange nach dem Ende des Telefonats traf erneut eine SMS ein, die exakt denselben Wortlaut hatte wie die zuvor erhaltene. Wieder wurde ihm die voraussichtliche Behebung einer ihn betreffenden Großstörung für den Zeitraum der nächsten achtundvierzig Stunden angekündigt. Darüber, daß auch diesmal wieder nicht vereinbarte Technikertermine abgesagt wurden, wunderte sich Clemens jetzt schon nicht mehr, da er diese SMS mittlerweile in der Kategorie Kommunikationssimulation einsortierte und sich weigerte, sie ernstzunehmen.
So überraschte es ihn auch nicht sonderlich, als er wenig später interessehalber einen Blick in die Service-App warf und unter der gestrigen Nachricht einen neuen Zusatz vorfand, der erneut lautete:
Behebung der Großstörung im Gange.
Bearbeitung abgeschlossen.
Darunter wurde nun aber ein Link angezeigt, über den es ihm möglich sein sollte, die Störung als gelöst zu markieren, wenn sie denn nicht mehr bestünde. Der war in seinem Falle allerdings absolut nutzlos, da an diesem Abend des zweiten Tages seine Internetverbindung und sein Telefon ebenso dysfunktional waren wie zuvor, ohne daß Clemens den Eindruck hatte, der Lösung auch nur einen Schritt nähergekommen zu sein. Seine Zufriedenheit als Kunde bekam erste Risse…
Dritter Tag
Als Clemens am Morgen – es war ein Sonnabend – erwachte, hatte sich am Zustand seiner Internet- und Telefonleitung nichts geändert. Das war aber auch nicht zu erwarten gewesen. Da er den Tag über außer Haus sein würde, hoffte er darauf, daß die so pflichtbewußt den Sonnabend als Werktag betrachtenden Techniker seines Internetproviders das Problem bis zum Abend in den Griff bekommen haben würden.
Nun, es wurde Abend, Clemens kehrte nach Hause zurück und – Internet und Telefon waren so mausetot wie am Morgen und die beiden Tage zuvor. Da der Sonnabend nicht nur für die Techniker, sondern auch für den Kundenservice als Werktag galt, griff Clemens umgehend zum Telefon. Vielleicht würde es ihm ja beim dritten Versuch endlich einmal beschieden sein, eine brauchbare Antwort zu erhalten.
Als er schließlich eine Servicemitarbeiterin – es war natürlich wieder eine andere – an der Strippe hatte, teilte ihm diese gut gelaunt mit, daß es ja klar sei, daß er momentan von der Außenwelt abgeschnitten sei, schließlich gäbe es bei ihm im Haus ja eine Störung, und zwar schon seit nunmehr elf Tagen. Die müsse halt erst einmal behoben werden. Da müsse er sich nun wirklich nicht wundern. Das sei nun einmal so.
Clemens atmete einmal tief durch. Dann noch einmal. Und dann – nur zur Sicherheit – noch einmal. Als er schließlich glaubte, ruhig genug für eine Antwort zu sein, wiederholte er seinen bereits am Vortag vorgebrachten Hinweis, daß sein Anschluß aber bis vor drei Tagen funktionstüchtig gewesen sei, und verband ihn mit der Frage, wie es denn dann sein könne, daß der Ausfall seines Anschlusses mit dieser Hausstörung zusammenhänge. Daß er darauf keine diesen Umstand erklärende Antwort erhielt, überraschte ihn allerdings nicht sonderlich. Um der Ursache des Problems vielleicht doch noch auf den Grund zu kommen, fragte er stattdessen, wie es sich denn mit der Großstörung verhalte, die man ihm in den Tagen zuvor als Grund genannt hatte. Hier konnte ihm die ob seiner Hartnäckigkeit auf einmal nicht mehr ganz so gutgelaunte Servicemitarbeiterin immerhin die frohe Nachricht verkünden, daß die Servicetechniker ihren sonnabendlichen Werktag ausgesprochen gut genutzt hätten, denn die sei nun behoben. Als er daraufhin wissen wollte, warum es dann weiterhin nicht funktioniere, fand sich Clemens unversehens auf dem weiten Feld der Unklarheit wieder. Das, so teilte die Dame ihm mit, sei weder bekannt noch momentan feststellbar. Auch seine Erkundigung nach einer Prognose zur Behebung des Problems wurde mit dieser Antwort beschieden. Um vielleicht doch noch etwas mehr Engagement zu provozieren, wies er darauf hin – er hatte sich in der Zwischenzeit diesbezüglich informiert -, daß sein Anschluß nun schon seit zwei Tagen gestört sei und daß damit die Frist, die er für die Behebung des Problems zugestehen müsse, verstrichen sei, so daß ab dem jetzigen Zeitpunkt seinerseits Rückerstattungsansprüche entstünden. Darauf erklärte ihm die Dame gleichmütig, das sie das wisse. Er solle die Rückerstattung einfach beantragen, sobald sein Anschluß wieder funktioniere.
Damit war die Unterhaltung an einem Totpunkt angekommen. Eine Fortsetzung des Gesprächs erschien Clemens – wieder einmal – nicht sinnvoll, und so legte er auf. So langsam beschlich ihn der Verdacht, daß man zwei Tage zuvor versucht hatte, das Problem, das irgendwo in seinem Haus bestand, zu beheben, wobei man unglücklicherweise seine bis dahin noch funktionierende Leitung so beschädigt hatte, daß nun auch bei ihm nichts mehr ging. Wenn das allerdings so sein sollte, warum hatte dann beim Kundenservice niemand eine Ahnung davon, was vor sich ging? Er verlangte doch nicht mehr als eine Aussage darüber, was das Problem war, was man zur Lösung zu unternehmen gedachte und wie lange das dauern würde. Doch nicht einmal zur Beantwortung dieser simplen und – wie er fand – durchaus berechtigten Fragen schien der Kundenservice in der Lage zu sein.
Daß Clemens mit dieser Erfahrung nicht allein war, hatte er durch ein Gespräch zweier Nachbarn mitbekommen, dessen er an diesem Tag zufällig Zeuge wurde, als er gemeinsam mit ihnen auf den Fahrstuhl wartete. Auf die Feststellung des einen, daß schon seit Tagen weder Internet noch Telefon funktionierten, antwortete der andere, daß er deswegen schon mit dem Vermieter gesprochen habe. Der hätte ihn allerdings direkt an die jeweiligen Diensteanbieter verwiesen, da all diese Dienste nicht Bestandteil des Mietvertrags seien und er daher leider nichts darüber wisse. Das gelte mittlerweile auch für das Kabelfernsehen. Vom Kabelanbieter habe er, der Nachbar, allerdings keine brauchbare Antwort erhalten. Man habe ihm lediglich gesagt, das könne Wochen dauern.
Na, das waren ja schöne Aussichten. Und offenbar war nicht nur sein Dienstleister nicht in der Lage, mit seinen Kunden eine vernünftige, auf schnelle Problemlösung orientierte Kommunikation zu führen. Clemens verspürte allerdings wenig Lust, sich mit dieser Situation wochenlang auseinanderzusetzen, und beschloß daher, dem Kundenservice seines Internetproviders so lange auf die Nerven zu gehen, bis etwas geschah. Seiner Kundenzufriedenheit war diese Zukunftsperspektive in diesem Augenblick allerdings nicht sehr zuträglich. Sie begann, ernstlich zu bröckeln…
Fünfter Tag
Da am darauffolgenden Sonntag weder Servicetechniker noch Kundenservice arbeiteten, konnte Clemens erst am Montag neue Anstrengungen unternehmen, sein Problem zu lösen. Am Zustand von Internetverbindung und Telefonanschluß hatte sich nicht das Geringste geändert, und da er an diesem Tag noch frei hatte, beehrte er den Kundenservice seines Internetproviders diesmal bereits mittags mit seinem Anruf. Wieder kämpfte er sich durch das Vorgeplänkel mit Service-PIN, Gesprächsthemenauswahl und Datenabgleich – wozu mußte der eigentlich jedesmal wieder durchgeführt werden? Dann hatte er endlich jemanden am anderen Ende der Leitung.
Zunächst wiederholte sich der Clemens schon ebenso hinreichend bekannte wie nutzlose Dialog über die seit angeblich nunmehr dreizehn Tagen bestehende Hausstörung. Neu war daran lediglich, daß der Servicemitarbeiter diesmal darauf bestand, daß die Tatsache, daß sein Anschluß selbst mit der Störung noch ganze zehn Tage funktionsfähig gewesen war, nicht ausschließe, daß sein Problem mit dieser Störung zusammenhänge. Angesichts seiner zwei Tage zuvor aufgestellten Theorie über bereits erfolgte Reparaturversuche, die mehr zerstört als repariert hatten, war Clemens inzwischen durchaus bereit, das zuzugestehen. Da diese Theorie allerdings noch ihrer Überprüfung harrte, zögerte er nicht, den Mitarbeiter zu fragen, wie er diesen Zusammenhang denn erkläre. Leider sah der sich dazu aber nicht in der Lage. Offenbar hatte er einfach ins Blaue hinein argumentiert.
Clemens, den das nicht mehr sonderlich überraschte, kam nun gleich auf den Punkt zu sprechen, der ihn wirklich interessierte: wie lange würde es dauern, bis das Problem behoben sei? Und auf diese seine in der Vergangenheit nun schon mehrfach gestellte Frage erhielt er dieses Mal eine wirklich interessante Antwort!
Der Umstand, der sie so bemerkenswert machte, war allerdings nicht die Tatsache, daß ihm sein Gesprächspartner weiterhin keine Prognose liefern konnte oder wollte – das war Clemens schon gewöhnt, und er hatte kaum mehr erwartet. Das Interessante bestand vielmehr darin, daß er ihm diesmal eine Begründung lieferte, warum denn diese die Zukunft betreffende Prognose so schwierig sei. Er teilte ihm nämlich mit, daß die beschädigten Schaltkästen für all die Verbindungen in seinem Haus in dem Bereich lägen, in dem es gebrannt habe. Und dieser sei aufgrund dieses Brandes immer noch durch eine polizeiliche Sperrung blockiert, so daß die Techniker keinen Zugang erhielten. Und da man ja nun wirklich nicht wissen könne, wann die Polizei den Bereich wieder freigebe, könne man auch keine Prognose abgeben.
Na, das war doch endlich mal eine Information! Allerdings erklärte sie für Clemens immer noch nicht, warum sein Internet- und Telefonanschluß bis Mitte der vorangegangenen Woche noch über eine funktionierende Leitung verfügt hatte. Könnte es vielleicht sein, daß die Störung in seinem Fall auf eine ganz andere Ursache als die Beschädigung durch den Brand zurückzuführen war? Auf seine entsprechende Frage, ob denn das nicht vielleicht mal jemand überprüfen wolle, bevor man das Problem einfach auf die Brandschäden schiebe, antwortete der Servicemitarbeiter lapidar, daß er dafür ja mal einen Arbeitsauftrag anlegen könne, allerdings würde dieser, wenn die Techniker im System den Hinweis auf den Brandschaden sähen, sowieso gleich wieder geschlossen.
Clemens glaubte, sich verhört zu haben. Was war das denn für eine Arbeitsweise! Doch anstatt auf die Sinnlosigkeit eines solchen Vorgehens hinzuweisen – wer war er schon, all den Fachleuten dort zu erklären, wie sie arbeiten sollten – , insistierte er lieber, daß es doch beispielsweise durchaus auch sein könne, daß sein Router einfach nur defekt sei. Und wenn das der Fall wäre, würde es doch wenig Sinn ergeben, pauschal auf die Entsperrung eines Hausbereichs durch die Polizei und die Behebung der Brandschäden zu warten, da es ja danach immer noch nicht funktionierte. Zumindest ihm erschien diese Strategie des systematischen Ausschlusses alternativer Fehlerursachen plausibel, wandte er sie in seinem Beruf als Softwareentwickler doch beinahe täglich erfolgreich bei der Problemlösung an. Ob sein Gesprächspartner das auch so sah oder ihn einfach nur beschwichtigen wollte, um ihn endlich loszuwerden, blieb für Clemens im Dunkeln. Doch immerhin sagte er ihm zu, daß er jetzt einen entsprechenden Auftrag anlege. Ein Techniker würde sich dann bei ihm melden, wenn er weitere Informationen benötige.
Und dann gab der Servicemitarbeiter Clemens mit der Frage, ob er ihm sonst noch irgendwie weiterhelfen könne, deutlich zu verstehen, daß dieses Gespräch nun zu einem Ende zu kommen hatte. – Danke, nein, antwortete Clemens und dachte bei sich: weder hier noch bei irgend etwas Anderem.

Erstellt mit generativer KI in Adobe Photoshop.
Alexander Glintschert (2024).
Nachdem Clemens aufgelegt hatte, dachte er über das eben Gehörte nach. Eine polizeiliche Sperrung also. Konnte das sein? Wenn das stimmte, wieso hatten dann vor einiger Zeit die beiden Techniker vor seiner Tür gestanden, die nach eigenem Bekunden an den Leitungen arbeiteten und sich sogar wunderten, daß Internet und Telefon bei ihm noch funktionierten? Wie hatten die die polizeiliche Sperrung wohl umgangen? Oder gab es die etwa gar nicht?
Plötzlich fiel ihm ein, das er das ja auf einfachste Weise selbst nachprüfen konnte. Schließlich lagen die fraglichen Räumlichkeiten nicht nur in seinem Haus, sondern nur ein Stockwerk tiefer. Er brauchte nur ein paar Stufen nach unten zu gehen und nachzusehen.
Als Clemens kurz darauf vor der Tür zu den in jener Etage befindlichen Räumlichkeiten, in denen sich der Brand ereignet hatte, ankam, stand diese sperrangelweit offen. Er trat ein und bemerkte an der Wand jede Menge herumliegende Kabel, die so aussahen, als würden sie gerade neu verlegt. Die diese Arbeit ausführenden Handwerker waren jedoch offenbar gerade irgendwo unterwegs, denn es war niemand außer ihm hier. Von einer polizeilichen Sperrung war hingegen weit und breit nichts zu sehen.
Wenn ich schon mal hier im Haus unterwegs bin, dachte sich Clemens, kann ich ja auch gleich mal zum Schaukasten in den Eingangsbereich gehen und die Telefonnummer des Hausmeisters abschreiben, um ihn danach zu fragen. Als er auf dem Weg dorthin an dessen Büro vorüberkam, war dieser zufällig gerade dort. Clemens ergriff die Gelegenheit beim Schopfe und erzählte ihm von seinem Problem und der Auskunft, die er vom Kundenservice des Internetproviders gerade erhalten hatte. Der Hausmeister fiel buchstäblich aus allen Wolken. Nix sei noch gesperrt, schon seit Tagen seien alle Räume für jede Art Handwerker, die etwas zu reparieren hätten, zugänglich, die könnten schalten und walten, wie sie wollten, und seien bei der Arbeit. „Sagen Sie denen das!“ beschied ihn der Hausmeister abschließend.
Clemens bedankte sich herzlich für diese Informationen und kehrte schnurstracks in seine Wohnung zurück. Wollen doch mal sehen, dachte er bei sich, was der Kundenservice dazu sagt. Auf die Reaktion war er nun wirklich gespannt.
Es war erst eine gute halbe Stunde seit seinem vorigen Anruf vergangen, da hatte er wieder einen menschlichen Gesprächspartner in der Leitung. Natürlich war es nicht derselbe wie zuvor, allerdings war ihm das egal, konnte er doch daran sowieso nichts ändern. Er schilderte sein Problem, wiederholte die Antwort, die er zuvor vom Kollegen des Mitarbeiters erhalten hatte und ließ den Hinweis auf die darin enthaltene grobe Fehlinformation und den wahren Sachverhalt den Höhepunkt seiner Ausführungen bilden.
Es überraschte Clemens nicht sonderlich, daß der Servicemitarbeiter, mit dem er sprach, sich daraufhin etwas Bedenkzeit ausbat, indem er ihm mitteilte, daß er das eben kurz überprüfen müsse. Hab ich Euch, dachte Clemens nicht ganz ohne Schadenfreude, während er wieder für eine Weile lediglich eine Folge von Tastenanschlägen hörte. Doch er hatte die Rechnung ohne die Kreativität des Kundenservices gemacht und zu früh frohlockt! Als sich der Servicemitarbeiter schließlich zurückmeldete, bestand seine Antwort nur aus einem einzigen Satz: im System stünde, die Techniker seien bei der Arbeit und die Störung würde diese Woche behoben.
Clemens konnte sich ein kurzes Auflachen und den zugegebenermaßen etwas sarkastischen Hinweis, daß das ja nun eine völlig neue Information sei, nicht verkneifen. Sein Gesprächspartner wiederholte daraufhin noch einmal, daß das so im System stünde.
Clemens fühlte sich versucht zu fragen, wie das denn wohl so plötzlich dorthin gekommen sein könnte. Da er jedoch ahnte, daß das zwar verständlich, doch kaum hilfreich sein würde, sparte er sich das und fragte stattdessen zielführender, was denn „diese Woche“ genau bedeute: eher Dienstag oder eher Freitag? Nun, das wußte der gute Mann dann allerdings nicht zu sagen. Das stand, wie es schien, nicht im System.
Da mehr Information wieder einmal nicht herauszubekommen war, beschloß Clemens das Gespräch mit der Bemerkung, daß er sich dann wohl überraschen lassen müsse.
Eine Woche also. Nun, die auflaufende Rückerstattung wurde immer höher. Clemens‘ Zufriedenheit als Kunde befand sich hingegen mittlerweile im stetigen Sinkflug…
Neunter Tag
Internet und Telefon tot. Internet und Telefon tot. Internet und Telefon tot…
So langsam wurde diese Feststellung zu einem täglichen Abendmantra für Clemens. Hatte er zu Wochenbeginn darauf gehofft, daß das Problem möglichst früh in der Woche behoben würde, mußte er Abend für Abend, wenn er nach Hause gekommen war, feststellen, daß sich am Zustand seiner Internetverbindung und seines Telefons nichts geändert hatte. So war es dann auch am Freitagabend. Dementsprechend war seine Laune nicht die beste.
Nun war ihm durchaus klar, daß der etwaige Einwand, daß er ja bereits wußte, daß die Techniker seines Internetproviders auch am Sonnabend arbeiteten und daß „Ende der Woche“ also diesen Tag durchaus einschließen mochte, nicht ganz ungerechtfertigt war. Allerdings war seine Geduld an diesem zweiten Freitagabend der Störung dann doch bereits arg erschöpft. Mehr als eine Woche war sein Anschluß nun nicht einfach nur gestört, sondern vollumfänglich funktionsunfähig, und es zeichnete sich keine Besserung ab.
So griff er also erneut zum Mobiltelefon und wählte die ihm schon einschlägig bekannte Nummer. Auch seine Service-PIN und sämtliche im Zuge des vorgeschalteten Hindernislaufs geforderten Daten wußte er inklusive Reihenfolge ihrer Abfrage mittlerweile auswendig, so daß er die entsprechenden Auswahlen und Eingaben bereits tätigte, bevor die enervierende Computerstimme überhaupt ausgesprochen hatte. Auch die Warteschleifenmusik konnte er nun schon korrekt mitsingen – inklusive englischen Texts. Dann war er endlich wieder mit einem Mitarbeiter verbunden und fragte angesichts der fortbestehenden Dysfunktionalität von Internet- und Telefonverbindung nach dem Stand der Dinge.
Also im Computer stünde, die Störung sei behoben, teilte ihm der Kollege am anderen Ende der Leitung mit. Clemens klappte die Kinnlade herunter. Wie bitte? Doch bevor er auch nur zu der Entgegnung ansetzen konnte, daß er davon irgendwie so gar nichts bemerken könne, fügte der Servicemitarbeiter ein zweifelndes „Oder doch nicht?“ hinzu. Hinter der Mitteilung sei ein Fragezeichen, setzte er Clemens in Kenntnis. Und fuhr fort: also da wisse er jetzt auch nicht…
Nun, den Eindruck, daß dort niemand etwas wußte, hatte Clemens schon länger. Weise verzichtete er allerdings darauf, das zu sagen, sondern kam noch einmal auf seine schon Anfang der Woche gestellte Frage zurück, ob es denn nicht auch am Router liegen könne und ob man das nicht einfach mal zu überprüfen gedenke. Schließlich hatte sich trotz angeblich dazu erteiltem Auftrag in der ganzen zurückliegenden Woche niemand diesbezüglich mit ihm in Verbindung gesetzt. Doch auch dieser Kollege schien dazu keine Lust zu haben, denn er lehnte den entsprechenden Test rundweg ab. Solange nicht klar sei, ob die Störung noch bestehe, brauche er das nicht zu versuchen.
Clemens hatte Fragen… Eine Menge Fragen…
Doch bevor er auch nur eine davon stellen konnte, versicherte ihm sein Gesprächspartner beflissen, daß er die Angelegenheit jetzt aber wirklich dringend mache. Es werde ihn auf jeden Fall ein Techniker kontaktieren, per Telefon oder per Email.
Guter Witz. Clemens mußte ein lautes Auflachen unterdrücken.
So höflich, wie er nur irgend konnte, wies er darauf hin, daß eine Email ohne einen funktionierenden Internetzugang ihm wohl wenig bringen dürfte, woraufhin der Mann am anderen Ende der Leitung umgehend die Alternativen reduzierte und auf die Kontaktaufnahme per Telefon beschränkte. Selbstverständlich unter Clemens‘ Mobilfunknummer.
In der Tat hätte Clemens die Email kaum mehr empfangen können, da nach der nun schon über eine Woche andauernden Ausfallzeit seines Internetzugangs auch das Datenkontingent seines Mobiltelefons bereits so erschöpft war, daß der den verbliebenen kleinen Rest für die alltäglichen Alltagsgeschäfte wie beispielsweise den Fahrscheinkauf für den Bus aufsparen mußte.
Ihm war die Lust auf weitere Fragen vergangen, und so beendete Clemens das Gespräch. Seine Kundenzufriedenheit war inzwischen an einem Punkt angekommen, an dem er die am Ende jedes Telefonats mit dem Kundenservice gestellte Frage, ob man den Internetprovider einem Freund oder Kollegen weiterempfehlen würde, mit einem inbrünstig ausgerufenen „Niemals!“ beantwortet hätte…
Zwölfter Tag
Keine Sekunde hatte Clemens daran geglaubt, daß ihn irgendjemand kontaktieren würde. So war erneut er derjenige, der den Kontakt wieder aufnahm, als drei Tage und damit ein weiteres Wochenende später – mittlerweile näherte sich das Ende des Monats – immer noch nichts funktionierte und sein Router seine stupide Blinkerei ob der nicht vorhandenen Internetverbindung stoisch fortsetzte. Entweder hatten sie es wieder einmal vergessen oder aber der Sonnabend war überhaupt kein Arbeitstag für die Techniker. Mittlerweile stellte Clemens alles in Frage, was ihm vom Kundenservice aufgetischt wurde.
Die Uhr zeigte kurz nach Mittag, als er seinen nächsten Anruf tätigte. Es war das erste Mal, daß er jemanden am Telefon hatte, mit dem er bereits gesprochen hatte. Es war die Dame vom ersten Telefonat.
Ja, also, das sei wirklich merkwürdig, meinte sie, daß sich da niemand bei ihm gemeldet habe. Nein, sie könne ihm nicht sagen, wie lange es noch dauerte, bis repariert sei, was auch immer repariert werden müsse. Und ob die Störung nun behoben sei, könne sie auch nicht sagen. Im Computer sei sie noch vermerkt. Sie gebe das weiter. Und mache das dringend. Die Techniker würden sich melden. Per Email oder Telefon.
Email bringe nichts, warf Clemens gelangweilt ein.
Na gut, dann per SMS oder Telefon. Oha! Eine neue Option war für ihn im Angebot.
Clemens war gedanklich noch bei der SMS, da fragte sie ihn plötzlich, ob er denn mit seinem Vertrag zufrieden sei. Ja nun, was sollte er sagen… Prinzipiell schon, erwiderte er, wenn denn mal was funktionieren würde.
Sie ignorierte die Spitze und erklärte ihm, daß sie im Computer sehe, daß er von seinem Anschluß auch Handynummern anrufen würde. Das koste extra. Und überhaupt zahlte er zuviel. Da könne sie was machen. Moment…
Nun war sie eine Zeitlang beschäftigt. Und Clemens gingen eine Reihe von Fragen durch den Kopf. Die erste, warum bei seinem Anbieter eigentlich jeder Servicemitarbeiter Zugriff auf seine Liste angerufener Nummern hatte, schob er gleich beiseite – das hier zu diskutieren, würde wohl nichts bringen. Viel unmittelbarer interessierte ihn, ob sie das eigentlich wirklich ernst meinte. Seit Tagen rief er immer wieder wegen einer bestehenden Störung an, und sie fragte ihn nach seiner Zufriedenheit mit seinem Vertrag?
Nach einer Weile teilte sie ihm mit, sie hätte da ein einmaliges Angebot für ihn. Sein Modem sei ja veraltet. Das könne sie ersetzen. Womit, fragte Clemens unwillkürlich. Sie sagte es ihm, und ihm war sofort klar, daß er nicht nur ein Nachfolgemodell seines Routers bekommen würde, sondern ein gänzlich anderes Gerät. Als er bekundete, daß er das nicht wolle, da er keine Lust hatte, alles gänzlich neu einzustellen, legte sie den Vorschlag sofort zu den Akten. Wenn er keinen anderen Gerätetyp wolle, wäre eine Aktualisierung eben nicht möglich. Aber weniger zahlen, das ginge trotzdem. Fast zehn Euro pro Monat könne er sparen. Er müsse dann aber TV dazunehmen, das er bisher nicht im Vertrag habe.
Äh, was? Clemens war verwirrt. Schon wieder. Was war das denn für eine Logik? Er mußte etwas dazubestellen, damit er weniger zu bezahlen hatte?
Da er schon ahnte, daß das ein längeres Gespräch werden würde, wenn er diese Frage stellte, beschloß er, kurzerhand die Antwort zu geben, die der Wahrheit entsprach und von der er dachte, daß sie die Debatte sofort beenden würde: Für Fernsehen habe er keine Verwendung. Er könne sich auch so ganz gut beschäftigen.
Er hatte sich geirrt. Das Gespräch war nicht zu Ende. Offenbar wollte sich seine Gesprächspartnerin durch sein offenkundiges Desinteresse an einer Vertragsänderung nicht von ihrem Vorhaben abbringen lassen, ihm eine solche aufzuschwatzen. Nur weil er sich für Fernsehen nicht interessiere, heiße das ja noch lange nicht, daß er es nicht dazubuchen könne. Und wenn er es wirklich nicht nutzen wolle, dann solle er doch einfach das „Zusatzgerätchen“, das man ihm dafür liefern würde, in den Schrank legen und nicht nutzen. Das wäre doch sicher kein Problem für ihn, wenn er dafür doch sparen könnte. Wieso ein Vertrag mit TV allerdings billiger als einer ohne sein sollte, erklärte sie Clemens nicht.
Dafür kam sie nun auf den Haken zu sprechen, den die Angelegenheit hatte. Clemens war nicht überrascht, daß es einen gab. Worin der wohl bestand? Sie sagte es ihm. Er bekäme auf jeden Fall noch ein neues Produkt dazugebucht.
Noch eins?
Ja, was ganz Neues. Sie ratterte in rasendem Tempo irgendeine Beschreibung herunter, die er auf die Schnelle nicht verstand. Nur, daß es sich um eine Art Testphase handle, blieb bei ihm hängen. Und daß das daher auch einige Monate gar nichts koste.
Und dann?
Ja, dann laufe das halt weiter und koste Geld. Und wenn er das dann nicht weiternutzen wolle, müßte er das in dieser Zeit halt wieder kündigen.
Nepper, Schlepper, Bauernfänger, ging es Clemens durch den Kopf. Er teilte ihr postwendend mit, daß er nichts dazugebucht bekommen wolle, von dem er bereits wisse, daß er es nicht brauche, weshalb er es dann gleich wieder kündigen müsse.
Das brachte sie etwas aus der Fassung. Aber er würde doch fast zehn Euro sparen! Pro Monat!
Jaja, das habe er verstanden, erklärte Clemens, nun schon sichtlich genervt. Wolle er aber trotzdem nicht.
Jetzt war es an ihr, genervt zu sein. Warum er sich so sträube, wollte sie wissen. Und warum er denn partout nicht sparen wolle?
Nun, das hatte er zwar nie behauptet, aber Clemens verspürte wenig Lust, das Gespräch mit einer entsprechenden Erklärung unnötig noch weiter in die Länge zu ziehen. Da jede Ablehnung sie lediglich noch mehr anzustacheln schien, sich in’s Zeug zu legen, um ihn zu überzeugen, sagte er stattdessen, sie solle ihm das Ganze schriftlich zukommen lassen, er wolle das noch einmal in Ruhe prüfen. Nach ein paar Erklärungen am Telefon könne er das nicht gut überblicken und fühle sich überfahren.
Endlich sah sie ein, daß sie mit ihm in diesem Augenblick kein Geschäft würde machen können, und versprach Clemens daher, alles noch einmal in einer Email zusammenzufassen. Er müsse dann nur auf den darin enthaltenen Freigabe-Link klicken und schon werde die Vertragsänderung wirksam. Alles ganz einfach also.
Daß Clemens diese Email wohl kaum würde lesen können, da er ja momentan über keinen funktionierenden Internetanschluß mehr verfügte und daher auch keine Emails empfangen konnte, fiel ihr dabei nicht auf…
Es dauerte nach dem Ende dieses nutzlosen Gesprächs nur wenige Minuten bis zum Eintreffen einer SMS. In dieser teilte man Clemens mit, daß man sein Störungsanliegen erfaßt habe. War das jetzt ein Fortschritt? Desweiteren versprach man, sein Anliegen schnellstmöglich zu lösen und sich bei ihm zu melden. Sogar einen Termin gab man an. Voraussichtlich sei das Problem in spätestens achtundvierzig Stunden gelöst.
Da waren sie wieder, die ominösen achtundvierzig Stunden, von denen für Clemens mittlerweile nur eines absolut sicher war: daß in diesem Zeitraum genau nichts passieren würde. Seine Zufriedenheit als Kunde war mittlerweile gestorben…
Dreizehnter Tag
Nach wie vor funktionierten weder Internetzugang noch Telefon. Clemens war nur froh, daß er seit jeher niemand war, der sein Zuhause gerne zu seinem Arbeitsplatz machen wollte. So vermißte er die ihm abhanden gekommene Möglichkeit zum Home Office überhaupt nicht. Zuhause war für ihn Zuhause und Arbeit war Arbeit. Das sollte bitteschön stets sauber getrennt bleiben. Nun war es durchaus nicht so, daß er es nicht durchaus praktisch fand, zu Hause arbeiten zu können, wenn er mal eine Lieferung oder einen Handwerker erwartete, mußte er doch dafür dann nicht einen kostbaren Urlaubstag verschwenden. Er wollte jedoch keine Gewohnheit daraus machen und die Arbeit auf diese Weise Schritt für Schritt in sein Privatleben einsickern lassen…
Clemens war gerade von der Mittagspause wieder an seinen Arbeitsplatz im Büro zurückgekehrt, als eine SMS auf seinem Mobiltelefon eintraf. Da sie von seinem Internetprovider war, flackerte in ihm kurz die Hoffnung auf, es könnte nun endlich einen Schritt vorwärtsgehen, doch erstarb dieses kleine Flamme sofort wieder, als er die Nachricht las. Man informierte ihn darüber, daß man ihm eine Email mit allen Details zur Vertragsänderung zugesendet habe. Und er müsse diese mit lediglich einem Klick nur noch bestätigen, um die Bestellung abzuschließen.
Leider war es ihm nicht möglich, an die Email zu gelangen, da unglücklicherweise sein Internetanschluß gerade gestört war. Manchmal habe ich aber auch echt Pech, dachte Clemens und grinste vor sich hin. Ganz offensichtlich wirkte sich der Tod seiner Kundenzufriedenheit negativ auf seine Bereitschaft für weitere Abenteuer mit seinem Internetprovider aus…
Vierzehnter Tag
Bis zum Morgen des nächsten Tages – es war ein Mittwoch – hatte sich nichts verändert. Da Clemens den Tag in der Firma verbrachte und sich bisher wie erwartet auch niemand bei ihm gemeldet hatte, war ihm der aktuelle Status seines Internet- und Telefonanschlusses unbekannt, als er am frühen Nachmittag erneut eine SMS erhielt:
Hallo, leider verzögert sich die Bearbeitung Ihres Auftrages. Verfolgen Sie Ihren Bestellstatus online. Ihr Kundenservice.
Zusätzlich war ein Link enthalten, mit dessen Hilfe er der Aufforderung offenbar nachkommen konnte, wenn er denn wollte. Da Clemens zunächst dachte, es gehe um die Störung seines Anschlusses, war er etwas verwirrt ob dieser lapidaren, nichtssagenden Nachricht. Doch dann fiel ihm der Begriff „Bestellstatus“ auf. Ein Blick ins Kundenportal förderte einen weiteren Hinweis zutage. Hier teilte man ihm mit, daß seine Bestellung bearbeitet würde, und stellte ihm einen Link zum Einrichtungsassistenten für seine Hardware bereit. Da er jedoch keinerlei Ahnung hatte, was er damit sollte, schließlich hatte er weder die Änderung seines Vertrages beauftragt noch irgendwelche Hardware für irgendwas bestellt, beschloß er, die Nachricht einfach zu ignorieren.
Da sich bis zum Abend immer noch niemand bei ihm gemeldet hatte und sein Anschluß auch weiterhin außer Funktion war, rief Clemens erneut beim Kundenservice an. Wer auch immer diesmal das Pech hatte, seinen Anruf entgegenzunehmen, würde sich auf einiges gefaßt machen müssen. Seine Geduld war endgültig am Ende.
Clemens eröffnete das Gespräch mit der Feststellung, daß ihm die Behebung der Störung seines Anschlusses bis heute versprochen worden war, daß dies aber nicht der Fall sei und, da es jetzt bereits kurz vor Dienstschluß für den Kundenservice war, wohl auch nicht davon auszugehen sei, daß das noch geschehe. Er wolle nun wissen, wie der Stand sei.
Natürlich bekam er erst einmal die fast schon obligatorische Antwort aufgetischt, daß es da doch eine Hausstörung gebe. Doch dann wollte der Servicemitarbeiter plötzlich wissen, ob das ein Mehrfamilienhaus sei, in dem Clemens wohnte.
Nun ja, dachte Clemens, das könnte man wohl so sagen. Mehr als zehn Wohnetagen, jede mit einer großen Anzahl Wohnungen. Geht das als Mehrfamilienhaus durch?
Er sparte sich allerdings den Sarkasmus und beschränkte seine Antwort auf ein einfaches Ja, an das er noch die Erklärung bezüglich der Etagen und Wohnungsanzahlen anfügte. Da der Servicemitarbeiter nun weder eine Erklärung abgab, warum er das hatte wissen wollen, noch irgendetwas mit dem erlangten Wissen anzufangen gedachte, wiederholte Clemens seinen Hinweis auf das nicht gehaltene Versprechen der Störungsbehebung bis zum heutigen Tag und fragte erneut nach dem aktuellen Status. Daraufhin erklärte ihm der Servicemitarbeiter, daß er darüber leider auch nicht mehr sagen könne. Die Bearbeitung dauere wohl noch an, der Fall sei noch offen. Und die achtundvierzig Stunden seien ja irgendwie auch noch gar nicht ganz um.
In Gedanken ging Clemens eine Runde um den Block, um ruhig zu bleiben, bevor er antworten konnte. Sein letzter Anruf, so setzte er seinem Gesprächspartner anschließend geduldig auseinander, habe vor zwei Tagen mittags stattgefunden. Jetzt sei es zwei Tage später und abends, damit seien doch sehr wohl achtundvierzig Stunden um. Und er ginge nicht davon aus, daß heute am späten Abend noch irgendein Techniker an irgendeiner Leitung Reparaturen vornehme, so daß sich der gegenwärtige Zustand heute noch ändere. Oder etwa doch?
Clemens hätte hinterher nicht mehr zu sagen vermocht, ob das Anschwellen seiner Stimme im Laufe seiner Ausführungen, daß schließlich darin gipfelte, daß er die letzte Frage förmlich herausschrie, lediglich in seiner Vorstellung stattgefunden hatte oder ob das wirklich geschehen war. Allerdings sprach die Tatsache, daß der Servicemitarbeiter ihm vollkommen normal antwortete, für Ersteres. Glücklicherweise, wie Clemens fand.
Der Mitarbeiter mußte wohl oder übel zugeben, daß Clemens wohl recht habe. Und da er ihn nun schon in der Defensive hatte, nutzte Clemens die Gelegenheit, darauf hinzuweisen, daß die Störung mittlerweile bereits seit zwei Wochen anhalte und er mehr als unzufrieden sei, weil sich niemand darum kümmere, niemand sage, was das Problem sei und niemand eine Aussage mache, was getan werde und bis wann.
Wenn er nun gehofft hatte, daß das irgendeine andere Reaktion provozieren würde als den Versuch, ihn zu beschwichtigen, wurde er enttäuscht. Der Mitarbeiter versicherte ihm lediglich, daß er ihn absolut verstehe und die Angelegenheit deswegen jetzt wirklich dringend mache. Innerhalb der nächsten achtundvierzig Stunden werde sich definitiv jemand bei ihm melden.
Nun, das hatte Clemens jetzt wirklich schon mehrfach gehört. Er teilte das dem Kollegen mit und fügte an, daß es sich immer um achtundvierzig Stunden handle, in denen dann allerdings stets genau nichts geschah. Ob das normal sei bei seinem Unternehmen, wollte er schließlich wissen.
Was nun folgte, war eine langwierige und nach Clemens‘ Empfinden ziemlich wirre Erläuterung, die er nicht in allen Einzelheiten behielt und von der er später nur noch wußte, daß sie irgendwas mit der Änderung von Rahmenbedingungen von Verträgen zu tun hatte, die sehr viel Umstellung und Arbeit bedeuten würde und es aus irgendwelchen Gründen notwendig mache – warum auch immer -, daß auch die Techniker involviert werden müßten, die daher voll im Einsatz zu sein hätten, um irgendwas zu gewährleisten und zu unterstützen und überhaupt…
Hatte diese Erklärung immerhin den Vorzug, daß Clemens sie noch nie gehört hatte, so half sie ihm doch in gar keiner Weise weiter. Das war auch der Grund, daß sie ihn letztlich auch überhaupt nicht interessierte, und so ging er nicht weiter darauf ein. Stattdessen sagte er dem Servicemann klipp und klar, daß er, wenn sich an der bisherigen Art und Weise, mit dem Problem umzugehen, nicht sofort grundlegend etwas ändere, kündigen würde. Schließlich könne ihm ja bisher nicht mal jemand sagen, ob sein Problem überhaupt mit der Hausstörung zusammenhänge. Es könne ja auch der Router einen Defekt haben, was aber bisher trotz seiner mehrfachen Nachfragen diesbezüglich nicht mal jemand überprüfen wolle. Das sei außerordentlich unbefriedigend.
Offenbar wurde dem Mann am anderen Ende der Leitung nun endlich klar, daß es Clemens mehr als ernst war, denn er versuchte jetzt, ihn wieder zu beruhigen. Und er gab sich, wie Clemens anerkennen mußte, dabei durchaus Mühe.
Tatsächlich tat ihm der Servicemitarbeiter sogar ein wenig leid, hatte er doch heute das Unglück gehabt, seinen Anruf zugelost zu bekommen. Clemens glaubte ihm sofort, daß er, der den Kunden, also ihn, am Telefon hatte, von allen am wenigstens tun konnte, um das Problem zu lösen. Andererseits waren er und seine Kolleginnen und Kollegen die einzigen Ansprechpartner, die man den Kunden zugestand. Eine wirksame Möglichkeit zur Reklamation gab es nicht – zumindest hatte Clemens keine gefunden -, sah man einmal von den bereits erwähnten nutzlosen Befragungen zur Kundenzufriedenheit ab, die es am Ende jedes Gesprächs gab. Mit wem sonst hätte er denn sprechen sollen? Wo sonst könnte er sein Anliegen und seinen Ärger über dessen konstante Nichtbearbeitung vorbringen? Seine einzige Hoffnung war, daß er, wenn er das hier bei diesem armen Teufel tat, vielleicht eine Eskalation in Gang setzen konnte, die tatsächlich etwas an dem bisherigen Umgang mit der Angelegenheit veränderte.
Natürlich waren die unmittelbaren Möglichkeiten dieses Servicemitarbeiters, Clemens weiterzuhelfen, beschränkt, und so konnte er ihm abschließend lediglich versichern, daß sich ganz gewiß jemand innerhalb der nächsten achtundvierzig Stunden bei ihm melde. Und weil er sich dann doch noch daran erinnerte, daß man Clemens diesen Zeitraum schon mindestens einmal zu oft versprochen hatte, fügte er noch an, daß es, wenn das nicht klappe, vielleicht auch drei Tage oder so werden könnten.
Ja, meinte Clemens, seinen wieder aufkommenden Sarkasmus nicht ganz unterdrücken könnend, dann ist wieder Wochenende.
Zum Ende des Gesprächs bat er seinen Gesprächspartner noch, den zwei Tage zuvor angelegten Vorgang zur Vertragsänderung wieder zu löschen, er wolle jetzt erstmal die Wiederherstellung seines Anschlusses abwarten, bevor er irgendwelche vertraglichen Änderungen vornähme. Offenbar ehrlich erfreut, ihm diesmal tatsächlich wirklich weiterhelfen zu können, teilte ihm der Servicemitarbeiter mit, daß das gar nicht nötig sei, denn wenn er den Auftrag nicht innerhalb von acht Tagen bestätigte, würde dieser sowieso automatisch gelöscht.
Nun, das war Clemens auch recht. Ob er innerhalb dieser Frist überhaupt wieder einen funktionsfähigen Internetzugang haben würde, der ihn in die Lage versetzte, die betreffenden Emails zu lesen, stand ja sowieso noch immer in den Sternen.
Kundenzufriedenheit? Mittlerweile wußte Clemens schon gar nicht mehr, was das Wort bedeutete…
Fünfzehnter Tag
Es geschahen noch Zeichen und Wunder. Am Morgen dieses folgenden Tages – Clemens hatte gerade das Gebäude, in dem er arbeitete, betreten – erhielt er einen Anruf von einer Frau, die sich als Angehörige einer Firma vorstellte, die im Auftrag seines Internetproviders arbeite und die Störung seines Internet- und Telefonanschlusses beheben solle. Sie wolle nun mit ihm einen Termin vereinbaren. Wann er denn in der kommenden Woche Zeit hätte. Sie könne ihm den Montag oder den Dienstag anbieten. Die Techniker müßten in den vom Brand betroffenen Räumen arbeiten, es könne aber sein, daß sie auch in seine Wohnung müßten, daher wäre seine Anwesenheit erforderlich.
Da sich Clemens, als der Anruf kam, gerade auf dem Flur vor dem Büro befand, in dem er arbeitete, war er nicht gerade entspannt, wie er da so mit Tasche und Jacke in der einen Hand und Telefon in der anderen im Gang herumstand. Doch hütete er sich wohlweislich, das Gespräch abzulehnen, denn schließlich wollte er nicht das Risiko eingehen, es auf den Sankt-Nimmerleinstag zu verschieben. Schnell sagte er, da er an diesem Tag frei hatte, den kommenden Montag zu, obgleich er aus dem Stand gar nicht wußte, ob er nicht gegebenenfalls schon andere Verabredungen für diesen Tag hatte. Er würde sich jedoch, dachte er, anschließend in Ruhe überlegen können, was er dafür gegebenenfalls alles umorganisieren mußte. Glücklicherweise war das Zeitfenster, das sie ihm als nächstes nannte, vergleichsweise klein – gerade einmal fünf Stunden am Nachmittag. Er fragte noch, ob er irgendwas vorzubereiten hätte – Möbel beiseite rücken oder so -, doch sie erklärte ihm, es sei noch nicht einmal klar, ob in seiner Wohnung überhaupt etwas gemacht werden müsse, die Techniker müßten sich das erst einmal ansehen. Er müsse also nichts vorbereiten, das finde sich dann schon.
Clemens war von den Socken. Na, Mensch. Das war ja mal ein Ding. Wer hätte denn damit noch gerechnet? War das nun Zufall oder hatte seine Drohung zu kündigen etwa doch etwas ausgelöst? Da er das sowieso nicht herausfinden würde, dachte er nicht weiter darüber nach. Allerdings war ihm nun klar, warum es so schwierig war, Informationen über das, was die Techniker taten und feststellten, bis zum Kundenservice zu bringen, und warum jener so gar keinen Zugriff auf die Techniker hatte, um direkt etwas in die Wege zu leiten. Ganz offensichtlich hatte sein Internetprovider einige, wenn nicht alle Bereiche des technischen Stabes an externe Firmen ausgelagert. Outsourcing nannte man das, und angeblich sollte das für Unternehmen oft kostengünstiger sein, als eigenes Personal zu beschäftigen. Allerdings wurden dafür dann Kommunikation und Koordination um einiges erschwert… Der Dumme war am Ende – wie so oft – der Kunde – in dem Fall also Clemens -, der nichts erfuhr und sich vorkam, als kämpfe er gegen Windmühlen.
Zwar stand ihm nun ein weiteres Wochenende – das dritte – ohne funktionierenden Internetzugang bevor, doch war Clemens dennoch mehr als nur froh, daß sich nun endlich etwas tat.
Über seine Zufriedenheit als Kunde wollte er dann aber doch noch nicht wieder nachdenken…
Neunzehnter Tag
An diesem Montag, kurz nach dem Start des vereinbarten Zeitfensters, klingelte es an der Tür zu Clemens‘ Wohnung und zwei Techniker meldeten sich bei ihm zum Dienst. Sie hatten sich die Anlage eine Etage tiefer bereits angesehen und wollten nun die Leitungsführung in seiner Wohnung begutachten. Nachdem sie das getan hatten, erklärten sie ihm, daß sie auch hier tätig werden müßten, zeigten sich jedoch zuversichtlich, den Schaden beheben zu können, und machten sich unversehens an die Arbeit. Während sie noch einige Vorbereitungen trafen, schaffte Clemens rund um den über Putz gelegten Kabelschacht und die Anschlußdose etwas Baufreiheit. Als sie dann schließlich loslegten, hatten sie – der eine in der Wohnung, der andere eine Etage tiefer – reichlich zu tun. Leitungen wurden ausgetauscht und viele Kabel durchtrennt und neu verbunden. Das dauerte gute zwei Stunden.
Die beiden arbeiteten schnell, zielstrebig und äußerst professionell. Als sie ihre Tätigkeit schließlich abschlossen, testeten sie gemeinsam mit Clemens seinen Anschluß. Er verband seinen Router, den er vorher entfernt hatte, wieder mit der Anschlußdose und schaute gebannt auf die Power-LED. Sie blinkte einige Zeit, die ihm wie eine Ewigkeit erschien, bis sie sich schließlich entschied, in ein dauerhaftes, freundliches Leuchten überzugehen.
Sollte es wirklich wahr sein? Sollte sein Internetanschluß tatsächlich wieder funktionieren?
Er sollte! Stolz vermeldete sein Tablet, daß es nicht nur die Verbindung zu Clemens‘ WLAN, sondern auch zum Internet erfolgreich hatte herstellen können. Alles war wieder in Funktion. Die digitale Welt hatte ihn wieder. Oder er sie.
Clemens dankte den beiden Technikern für ihre gute Arbeit und sie zogen weiter, ihrem nächsten Auftrag entgegen.
Am frühen Abend dieses schönen Tages entging Clemens ein Anruf auf seinem Smartphone. Wie er der ihm nun schon hinreichend bekannten Nummer entnehmen konnte, kam er vom Kundenservice seines Internetproviders. Er vermutete, daß man ihm den erfolgreichen Abschluß der Arbeiten hatte mitteilen wollen. Nach all seinen fruchtlosen Anrufen innerhalb der letzten neunzehn Tage, nach all den versprochenen und nie erfolgten Anrufen und all dem damit verbundenen Ärger erschien es ihm irgendwie als ausgleichende Gerechtigkeit, daß sie nun ihrerseits damit gescheitert waren, ihn zu kontaktieren.
Es gab keinen zweiten Versuch. Doch dafür eine Email. Und die konnte er ja nun immerhin wieder lesen. Es war tatsächlich die Vollzugsmeldung.
Kundenzufriedenheit? Die würde sich sein Internetprovider in nächster Zeit erst einmal wieder verdienen müssen…
Epilog
Ein oder zwei Tage später erfuhr Clemens von seinem Nachbarn, der, wie er wußte, den gleichen Provider hatte, daß bei ihm Telefon und Internet immer noch nicht verfügbar waren. Wenn das stimmte, waren die Techniker lediglich damit beauftragt worden, die Störung für den Leitungstrakt zu beheben, an dem seine Wohnung angeschlossen war. Eine generelle Reparatur hatte es, so wie es aussah, nicht gegeben. Da hatten seine Hartnäckigkeit und seine Drohung zu kündigen am Ende vielleicht doch etwas bewirkt. Für Dienst am Kunden, egal ob groß geschrieben oder klein, sprach dieser Umstand allerdings weniger…