Stadtbummel im Grünen

Dieser Beitrag ist Teil 4 von 10 der Beitragsserie "Reise nach Neuseeland & Singapur"
Wie ich mitten in Auckland einen Stadtbummel im Grünen machte

Als wir aus dem Eingangsbereich des Sky Towers hinaus auf die Straße treten, läßt uns dies aus den erhabenen Sphären hoch über der Stadt, in denen wir eben noch geschwebt hatten, förmlich auf den Boden der Tatsachen, das heißt in den wirren Trubel der geschäftigen Metropole fallen. Autos brausen die Victoria Street entlang an uns vorüber, wenn ihnen die Ampel an der kleinen Straßenkreuzung, vor der wir stehen, grünes Licht gibt, während sie bei rotem Signal ob des erzwungenen Halts unwillig vor sich hin zu brummen scheinen.

Hatten wir eben noch großzügig über die gen Himmel strebenden und ihn doch nicht erreichenden Hochhäuser des Central Business Districts hinweg- und in die Weite gesehen, so ist es nun, als ob sich eben diese Bauten dafür revanchieren wollen, indem sie sich jetzt um so dichter zusammendrängen und unseren Blick so weit wie nur möglich begrenzen, so daß er kaum wesentlich weiter als bis zur nächsten Straßenkreuzung reicht. Überdimensionierte Werbetafeln an den Fassaden der meist quaderförmigen Blöcke versuchen, unsere Aufmerksamkeit an sich zu binden, indem sie uns ihre Botschaften mittels riesiger Lettern förmlich entgegenschreien. Vergebens. Wir sind an ihnen nicht sonderlich interessiert.

Mein Blick wendet sich stattdessen einigen Bauten aus offensichtlich früheren Tagen zu, die es hier und da geschafft haben, den sich um sie herum versammelnden und in die Höhe reckenden Wolkenkratzern ihren Standort abzutrotzen. Bescheiden begnügen sie sich mit zwei oder drei Stockwerken, in deren unterem sie kleine Läden, Cafés oder Restaurants beherbergen. Gefällig präsentieren sie dem Auge des Betrachters hübsche Fassaden mit sauber gegliederten Fensterachsen und Schmuckelementen wie kleinen Spitzgiebeln, in die Hauswand integrierten Ornamenten oder Mauervorsprüngen. Ein langgestrecktes Gebäude mit dem Erscheinungsbild eines Reihenhauses paßt sich der in der Höhe abfallenden Victoria Street an, indem sich seine Bestandteile treppenförmig aneinanderfügen. Demgegenüber scheinen die Architekten der die kleinen, alten Bauten bedrängenden Hochhäuser ihre Energie eher in den Wettbewerb, welches ihrer Bauwerke wohl höher aufragen kann, investiert zu haben, wobei sie jedoch vergaßen, für ein ansprechendes Äußeres zu sorgen, was mich etwas überrascht, denn aus der Höhe des Sky Towers hatten die Wolkenkratzer durchaus abwechslungsreich gestaltet gewirkt. Von hier unten aber beschränkt sich ihr Äußeres meist auf ein langweiliges Einerlei endlos an- und übereinander gereihter zahlloser Fenster, das mich als Betrachter für die an den Fassaden angebrachten Werbetafeln fast schon wieder dankbar sein läßt, bringen sie doch wenigstens ein bißchen Abwechslung in die Versammlung gleichförmiger Wände. Allerdings frage ich mich, ob die Menschen in den Büros dahinter – Wohnungen werden es doch hoffentlich nicht sein? – nun überhaupt Tageslicht erhalten. Die Gleichgültigkeit ihrer Fassaden setzt sich auch in der Anordnung dieser Hochhäuser fort, denn zu dem Gelände, in dem sie stehen, haben sie keinerlei Bezug. Zwar ist das Gefälle der Victoria Street nicht eben übermäßig groß, doch auch nicht gänzlich unerheblich. Als ich mir aber die Wolkenkratzer anschaue, kann ich es dennoch so gut wie überhaupt nicht nachvollziehen. Ja, die meisten von ihnen scheinen es sogar nach Kräften ignorieren zu wollen, beharren sie doch eisern darauf, ihre Fassadenkanten streng horizontal auszurichten, ohne daran auch nur einen einzigen Abstrich in Form einer treppenartigen Abstufung zu machen, wie sie die historischen Bauten so bereitwillig vollziehen.

In der Victoria Street
Alt und Neu existieren in der Victoria Street in Auckland mehr oder weniger einträchtig nebeneinander.
Fotograf: Alexander Glintschert (2015)
Creative Commons Lizenzvertrag

Von der Federal Street, an deren Kreuzung mit der Victoria Street wir uns befinden, lenken wir unsere Schritte in Richtung Osten. Der Grund ist nicht die Tatsache, daß es für uns nun ein wenig bergab geht – auch wenn uns das durchaus nicht unwillkommen ist -, sondern daß in dieser Richtung der Albert-Park liegt, den wir auf unserem Stadtbummel als erstes Ziel auserkoren haben. Wir überqueren die Queen Street, was uns vom Westteil in den Ostteil der Victoria Street bringt. Die nahezu in Nord-Süd-Richtung verlaufende Queen Street dient im Zentrum Aucklands gewissermaßen als Straßenscheide. Zwar tragen sie kreuzende Verkehrswege meist durchgängig denselben Namen, allerdings erhalten sie westlich der Queen Street den Namenszusatz West, östlich davon wird ein East angehängt. Waren wir also eben noch auf der Victoria Street West unterwegs, legt sich nun die Victoria Street East unter unsere Füße. Beide Straßenteile haben eine voneinander völlig unabhängige Numerierung der an ihnen befindlichen Häuser. Die Wellesley Street, in der sich unser Hotel befindet, folgt ebenfalls diesem Benennungsschema.

Bereits zwei Querstraßen weiter findet die nun wieder ansteigende Victoria Street East an der Kitchener Street bereits ihr unverhofftes Ende, denn auf deren gegenüberliegender Straßenseite steigt das Gelände plötzlich steil an. Der dadurch entstehende Hang ist mit einer Vielzahl hoher Bäume besetzt, die einen weiteren Blick hinauf wirksam verhindern. An seinem unteren Ende beschneiden aus großen, natürlichen Steinen zusammengefügte Mauern diesen Hang und grenzen so ein Stück ebener Erde ab, auf dem sich ein langgezogenes Podest, aus Steinen derselben Art gebildet, befindet. Auf diesem ragen zwei schlanke, aus übereinandergestapelten Steinen bestehende Säulen meterhoch auf, die an ihrem oberen Ende durch, wie es von hier unten scheint, filigrane Drähte oder dünne, gebogene Metallstäbe miteinander verbunden sind. Die Steine, aus denen dieses von Chris Booth geschaffene Kunstwerk besteht, sind Basaltblöcke, die, so lese ich später nach, das in der Matauri Bay in Northland lebende Māori-Volk der Ngati Kura gestiftet und so dem Albert-Park, der an dem dahinterliegenden Hang beginnt, zu einem markanten Eingangstor verholfen hat.

Durchschreiten muß man dieses Tor allerdings nicht, um in den Albert-Park zu gelangen. Dafür ist es eindeutig zu sehr als Kunstwerk hier positioniert worden. Alle Wege führen sauber drumherum. Dafür müssen wir nun doch etwas mehr körperliche Fitneß zeigen, denn unser Weg in den Park hinein führt uns über eine Reihe von Treppen mit zahlreichen Stufen den Hang hinauf. Glücklicherweise ist es zwar sommerlich warm, aber nicht sonderlich heiß, und unter den vorwiegend einheimischen Bäumen, die in diesem Teil des Parks wachsen und wohl mehr als einhundert Jahre alt sind, ist es wunderbar schattig. Ihrem Alter angemessen, haben die prachtvollen Bäume weit ausladende und gewaltige Formen entwickelt.

Im Albert Park in Auckland
Diesen prächtigen Bäumen begegnen wir nach unserem Aufstieg in den Albert-Park.
Fotograf: Alexander Glintschert (2015)
Creative Commons Lizenzvertrag

Oben angekommen, stehen wir nun auf dem langgestreckten Bergrücken, auf dem sich der Albert-Park befindet. Im südöstlichen Parkbereich aus Sandstein bestehend, wird dieser Höhenzug am nordwestlichen Ende des Parks, in dem wir uns gerade befinden, durch einen der vielen Vulkane des Auckland Volcanic Fields ergänzt, dem man – wenig einfallsreich, aber naheliegend – den Namen Albert-Park-Vulkan gegeben hat. Daß wir auf einem potentiell feuerspeienden Berg stehen, entgeht uns bei unserem Aufenthalt hier allerdings völlig. Doch damit sind wir nicht allein. Bis ins Jahr 1859 hat niemand überhaupt auch nur etwas davon gewußt. Erst der in Esslingen am Neckar geborene Geologe, Naturforscher und Entdecker Ferdinand von Hochstetter erkannte bei seinem Besuch Aucklands in jenem Jahr den vulkanischen Ursprung dieses Areals. Der Grund liegt darin, daß es sich beim Albert-Park-Vulkan, der vor etwa 145.000 Jahren das einzige (und hoffentlich letzte) Mal ausgebrochen ist, um einen eher kleinen Vertreter seiner Zunft handelt – so klein, daß er von dem Sandsteinrücken, auf dem sich der überwiegende Teil des Parks befindet, sogar überragt wird. Der vollständige Bewuchs tut ein Übriges, um den Vulkan vor unseren Augen komplett zu verbergen.

Auf gut gepflegten Wegen beginnen wir unseren Rundgang durch die weitläufige Parkanlage. Nun, da wir einmal die Höhe des Bergrückens erklommen haben, läßt es sich wahrlich entspannt spazieren, denn dieser bildet hier eine Art Plateau, auf dem es kaum einmal eine Steigung gibt. Dies zog bereits in der Vergangenheit die Menschen an. Schon die Māori errichteten hier ein Dorf namens Rangipuke, später gar eine Siedlung namens Mangahekea, die jedoch in den 1740er Jahren ihr Ende fand. Als in der Mitte des 19. Jahrhunderts die Briten kamen, hatten sie nichts Besseres zu tun, als hier eine frühe militärische Festung anzulegen – die sogenannten Albert Barracks. Das erhöhte Gelände war wohl bestens dafür geeignet, das umliegende Gebiet zu überwachen. Einige Bauten aus Holz und Mauerwerk, umgeben von einer Mauer aus Vulkangestein, das man in der Umgebung abgebrochen hatte – das war die Festung. Nun, daß es vulkanischen Ursprungs war, darüber machte man sich wohl damals keine Gedanken. Das stellte ja – wir erinnern uns – erst Ferdinand von Hochstetter einige Jahre später fest.

Nun, von all dem ist heute nichts mehr übrig, abgesehen von einem Rest besagter Mauer, der sich heute auf dem Gelände der nahen Universität von Auckland befindet. Die Festung wurde 1870 nutzlos, als das britische Regiment, daß hier stationiert war, abgezogen wurde. Fünf Jahre zuvor hatte Auckland den Status der Hauptstadt an Wellington verloren. Man riß die Gebäude ab und widmete das heutige Gelände der Grünanlage in ein Reservat um, das man dann in den 1880ern zu einem Park weiterentwickelte. Man schrieb – ein bei Politikern bis heute beliebtes Mittel, wenn eigene Ideen Mangelware sind – dafür einen Wettbewerb aus, den der Architekt James Slater gewann. Das heißt, er entschied den zweiten Wettbewerb für sich. Bereits in 1870er Jahren hatte man einen solchen ausgerichtet, den Siegerentwurf dann jedoch nicht umgesetzt. Warum, das weiß wohl heute niemand mehr. So entstand der Albert-Park nach den Entwürfen Slaters, und so existiert er heute noch, einschließlich einiger einzelner Bäume, die in der Zeit zwischen 1880 und dem Ersten Weltkrieg gepflanzt wurden.

Allzu groß ist sie nicht, diese Grünanlage im Herzen der Stadt, und so haben wir keine allzu weiten Wege zurückzulegen, um die herausragenden Punkte dieses Parks aufzusuchen. Wir kommen zunächst an einem kleinen Denkmal vorüber, das von einem schwarzen Metallzaun umgeben ist und Rätsel aufgibt. Auf einem Podest, das an einen Schrein mit bogenförmiger Öffnung erinnert, steht die kleine marmorne Statue einer jungen Frau, der eine merkwürdige Haube auf dem Kopf sitzt und die ein Kleidungsstück auf dem Leib trägt, welches mit seinen kurzen Beinen, den fehlenden Ärmeln und den Rüschen an einen altmodischen Badeanzug erinnert. Doch was hält sie da in der Hand? Sieht aus wie ein – Fisch? Dann wäre das große Etwas, das sich von ihren Händen durch ihre Beine zum Boden windet, vielleicht ein Netz? Soll diese Statue ein Fischermädchen darstellen? Im Badeanzug? Ich weiß es nicht. Vielleicht gibt ja die Plakette, die sich an dem Podest befindet, Aufschluß:

Erected
In Loving Remembrance Of
G. M. Reed. B. A.
of Auckland, Journalist.
„For the future in the distance
and the good that we can do.“
1901

Übersetzt heißt das:

Errichtet
In liebevollem Gedenken an
G. M. Reed. B. A.
aus Auckland, Journalist.
„Für die Zukunft in der Ferne
und das Gute, das wir tun können.“
1901

Bild 005.jpg
Das etwas rätselhafte Denkmal für George M. Reed im Albert-Park in Auckland.
Fotograf: Alexander Glintschert (2015)
Creative Commons Lizenzvertrag

Also ein Denkmal, das ein Fischermädchen im Badeanzug darstellt und der Erinnerung an einen Journalisten gewidmet ist, der in Auckland ansässig war. Versteht das jemand? Ich nicht. Leider auch dann nicht, als ich später ein wenig darüber recherchiere. Dabei finde ich lediglich heraus, daß es sich bei dem Podest nicht um einen Schrein, sondern um einen Trinkbrunnen handelt, der aber wohl heute nicht mehr Betrieb ist. Wasser habe ich jedenfalls nirgendwo gesehen. Immerhin stellt das eine gewisse Beziehung zu dem Motiv des Fischermädchens her. Die Schöpfer des Brunnens waren die Architekten John Mitchell and Robert Watt, die Statue schuf William Parkinson, ein einheimischer Bildhauer. Nun gut. Und George M. Reed? Der war Journalist und Zeitungseigner in Auckland. Das war’s. Es bleibt rätselhaft.

Ein Stück weiter gelangen wir auf den großen Hauptweg des Parks, der diesem seine große Nord-Süd-Achse verleiht. Hier, am südlichen Ende stoßen wir auf etwas, das es früher häufiger in öffentlichen Grünanlagen gab, man aber heute kaum noch irgendwo vorfindet: einen Orchesterpavillon. In früheren Zeiten trafen sich die Menschen bei schönem Wetter in den Parks, um kleinen oder größeren Gruppen von Instrumentalisten, vielleicht auch Sängern zu lauschen, die in solchen Pavillons ihre Musik zu Gehör brachten. Eigentlich eine schöne Tradition. Warum eigentlich gibt es so etwas heute nicht mehr? Nun, Radios, Stereoanlagen, Computer und MP3-Player haben es möglich gemacht, die Musik mit nach Hause zu nehmen oder unterwegs zu hören – jederzeit, überall. Und ganz individuell. Was dabei leider auf der Strecke blieb, ist das gemeinschaftliche Erleben der Musik. Natürlich, wird so mancher gleich einwenden, ist das doch auch heute noch möglich. Doch entweder zahlt man dafür meist recht teuren Eintritt oder man lauscht Straßenmusikern in der Fußgängerzone, im U-Bahn-Eingang oder an anderen Orten, wo Menschen meist keinen Nerv für’s Musikhören haben und das Ambiente dem Genuß eher abträglich ist. Da wäre so ein Musikpavillon in einem schönen Park doch viel besser geeignet. Oft genug hat der Fortschritt eben auch seine mangelhafte Kehrseite.

Von dem Orchesterpavillon mit seiner zwiebelförmigen Spitze aus Blech auf dem Dach, der übrigens der älteste noch erhaltene Musikpavillon in der Region Auckland ist, spazieren wir den Hauptweg in nördlicher Richtung entlang. Links und rechts dehnt sich sauber gepflegter Rasen, auf dem einzelne, ausladende Bäume stehen – vermutlich jene aus den Anfangstagen des Parks. Gesäumt wird der Weg von hochgewachsenen Palmen mit schlanken, doch völlig kahlen Stämmen, die ein wenig wie hier aufgestellte Masten wirken. Vor uns führen einige Stufen zu einem weitläufigen Rondell, in dessen Mitte sich ein großer Schalenbrunnen befindet.

Was mir beim Näherkommen auffällt, ist, daß der Brunnen ausnehmend dunkel erscheint. Im hellen Sonnenlicht wirkt er fast schwarz. Nur Wasser kann ich nirgends erkennen. Sollte in einem Brunnen – insbesondere, wenn es ein Schalenbrunnen ist – nicht schon von weitem sichtbar Wasser von oben nach unten laufen? Als wir die paar Stufen zu dem Rondell erreicht haben, sie hinaufgestiegen sind und schließlich unmittelbar vor dem Brunnen stehen, kann ich erkennen, daß ich mich geirrt habe – zumindest ein wenig. Es gibt durchaus Wasser, allerdings nur in Form einer recht großen Pfütze inmitten des großen Brunnenbeckens, das jedoch weit davon entfernt ist, gefüllt zu sein. Ansonsten scheint der Brunnen im Wortsinne auf dem Trockenen zu sitzen. Warum, ist nicht festzustellen. Weder kann es an zu niedrigen Temperaturen liegen – es ist sommerlich warm – noch wird er gerade gereinigt. Vielleicht ist etwas kaputt?

Der viktorianische Brunnen im Albert Park in Auckland
Der gußeiserne viktorianische Brunnen bildet das Herzstück des Albert-Parks im Zentrum Aucklands.
Fotograf: Alexander Glintschert (2015)
Creative Commons Lizenzvertrag

Wie dem auch sei, ich schaue ihn mir trotzdem an. Unter künstlerischen  Gesichtspunkten ist er auch ohne Wasser durchaus sehenswert. Zwei Schalen unterschiedlicher Größe sind übereinander angeordnet, die kleinere oben. Unterhalb der großen Schale sind rings um den Sockel vier Statuen positioniert, die große Fische zeigen. Manche behaupten, es handle sich um Delphine, doch üblicherweise haben Delphine keine Schuppen. Auf diesen Fischen reiten Putten, von denen jede ein Horn bei sich hat, in das sie andächtig bläst. Ist der Brunnen in Betrieb, stoßen diese Hörner, so lese ich später, Wasser aus. Oberhalb der kleinen Brunnenschale steht eine weitere Statue – eine Frauenfigur, eine Darstellung der Aphrodite. Auch sie trägt ein Horn, das sicherlich ebenfalls Wasser speien kann. Schalen und Skulpturen sind ebenso wie der verzierte Schaft, an dem sie sich befinden, aus Gußeisen, was die dunkle Farbe des Brunnens erklärt. Über den Künstler, der ihn einst schuf, kann ich leider nichts herausbekommen, doch erfahre ich, daß der viktorianische Brunnen von Beginn an im Albert-Park zu Hause ist, nachdem man ihn extra dafür im Jahre 1881 aus Großbritannien importiert hatte.

Nur wenige Meter hinter dem Rondell mit dem Brunnen findet die Nord-Süd-Achse des Albert-Parks ihr Ende an dem großen Denkmal für Königin Victoria von Großbritannien. Man kann kaum in irgendeinen Winkel des ehemaligen britischen Empires reisen, ohne auf irgendetwas zu stoßen, was in Bezug zu dieser bedeutenden Monarchin steht. Das Denkmal, vor dem wir nun anhalten, zeigt sie in Lebensgröße, auf einem hohen, steinernen Sockel stehend. 1897 von Francis John Williamson geschaffen, wurde das bronzene Standbild zwei Jahre später hier enthüllt, um den sechzigsten Jahrestag der Krönung Victorias feierlich zu begehen. Es war die erste Statue der Königin in Neuseeland.

Der Park hat noch einige weitere Kunstwerke und Denkmale aufzuweisen, die wir auf unserem Spaziergang leider nicht alle auffinden. So entgehen uns bedauerlicherweise ein Marmor-Denkmal für den Burenkrieg und zwei edwardianische Marmorstatuen. An dem ebenfalls von Francis John Williamson geschaffenen, überlebensgroßen Marmorstandbild von Sir George Grey kommen wir zwar vorüber, übersehen es aber irgendwie – zumindest habe ich weder ein Foto noch eine Erinnerung daran -, da unsere Aufmerksamkeit offenbar von den beiden großen, ganz in der Nähe aufgestellten Feldgeschützen in Anspruch genommen wird, die man, als die Albert Barracks längst Geschichte waren, in den 1880er Jahren hier positioniert hatte, weil man Angst vor einer russischen Invasion bekam. Nun, an der Angst vor dem Russen hat sich bis heute, mehr als einhundert Jahre später, nichts geändert. Als Feindbild war er in angelsächsischen, heute westlichen Sphären stets außerordentlich beliebt, egal, welcher Staats- beziehungsweise Gesellschaftsform er auch immer gerade anhing. Überflüssig zu erwähnen, daß die befürchtete Invasion russischer Heerscharen hier am anderen Ende der Welt natürlich niemals stattfand.

Wir wenden uns nun der Ostseite des Parks zu, wo er von der Princes Street begrenzt wird. Bevor wir ihn dort verlassen, kommen wir an einer Ecke, die von zwei aufeinandertreffenden Wegen gebildet wird, zu einer riesigen Ansammlung von mit kleinen Mauern eingefaßten Blumenrabatten. Während links und rechts niedrige, sorgfältig gestutzte Hecken den Namen der Grünanlage bilden – ALBERT links, PARK rechts – stellen die in bunten Farben blühenden Anpflanzungen in der Mitte ganz offensichtlich eine riesige Uhr dar. Als ich nähertrete, entdecke ich auch die großen Zeiger, die über den Rabatten ihre Bahn ziehen. Unwillkürlich ziehe ich mein Mobiltelefon hervor, um die Zeit zu vergleichen. Tatsächlich, diese riesige Blumenuhr geht absolut genau. Siebzehn Minuten nach Eins. Was für ein wunderschönes gärtnerisches Kunstwerk! Dies ist um so bewundernswerter, als dieser pflanzliche, wenn auch elektrisch betriebene Zeitmesser bereits mehr als sechzig Jahre alt ist. 1953 wurde die Laidlaw Floral Clock geschaffen. Die Familie Laidlaw hatte sie anläßlich des ersten Besuch Königin Elisabeths II. in Neuseeland gestiftet.

Die Blumenuhr im Albert Park in Auckland
Die kolossale Blumenuhr im Albert-Park, nahe der Princes Street, geht absolut genau.
Fotograf: Alexander Glintschert (2015)
Creative Commons Lizenzvertrag

Wir verlassen den Albert-Park durch den nahegelegenen Ausgang und treten auf die Princes Street hinaus. Hier gelangen wir zu einer Reihe Wohnhäuser, die ganz offensichtlich schon älteren Datums sind. Ein unter einer prächtigen, hohen Palme aufgestelltes Schild macht uns mit einem von ihnen bekannt:

Princes St. Merchant House

steht darauf, verbunden mit dem Hinweis, daß es erhalten und gepflegt würde durch den Stadtrat von Auckland. Nun, das mag ich nicht recht glauben. Ich gehe davon aus, daß der Stadtrat von Auckland dies nicht höchstselbst erledigt. Er wird seine Leute dafür haben.

Die Merchant Houses – tatsächlich sind es fünf an der Zahl – ließen Ende des 19. Jahrhunderts reiche Bürger der Stadt hier für sich errichten. Die meisten von ihnen waren Geschäftsleute, woraus sich wohl der Name der Häuser ableitet: Kaufmannshäuser. Sie bevorzugten die Höhenlage des Albert-Parks, die sich damals – Auckland war noch viel kleiner als heute – eher am Stadtrand befand, als Wohnsitz – im wahrsten Sinne des Wortes abgehoben von der Geschäftigkeit des Stadtzentrums zu ihren Füßen, aber dennoch nicht allzu weit von diesem entfernt. Die fünf Häuser haben sich in unsere Zeit hinübergerettet, was sie allerdings nicht ihren reichen Besitzern verdanken. Denn als die Stadt anwuchs, verlegten sie ihre Wohnsitze alsbald an andere Orte. Viele der Merchant Houses wurden wieder abgerissen, doch die fünf, die wir nun vor uns sehen, fanden in den Jahren seitdem andere Eigentümer. Zuerst wurden sie in Pensionen umgewandelt, später zogen nacheinander verschiedene Institutionen ein und aus – bis heute. Das Gebäude in der Princes Street Nummer 29, welches uns von dem Schild unter der Palme so freundlich wie unvollständig vorgestellt wird, trägt den Namen „Hamurana“ – was nicht auf dem Schild steht – und besitzt eine hölzerne Fassade. Seine Vorderseite wird in ihrer gesamten Breite von einer großen Veranda im Obergeschoß eingenommen. Den von dieser überschatteten Bereich vor dem Untergeschoß hat man als Arkaden gestaltet. Das Haus gehört heute zur Universität von Auckland, deren City-Campus auf der gegenüberliegenden Straßenseite beginnt.

Und dieser wenden wir uns nun zu. Denn dort steht ein Gebäude, das mir bereits vom Sky Tower aus aufgefallen war und mein Interesse an dem Universitätsgelände geweckt hatte: der Uhrenturm.

Nun, eigentlich ist es nicht einfach nur ein Uhrenturm. Tatsächlich handelt es sich um ein großes Gebäude mit einem großen h-förmigen Haupttrakt und zwei sich links und rechts anschließenden Seitenflügeln. Der Turm, der dem Gebäude zu seinem Namen verholfen hat, erhebt sich in der Mitte des Haupttrakts. Rund im Grundriß, wirkt er mit seinen filigranen Verzierungen, die mich irgendwie an die Adern von Blättern erinnern, trotz seiner beachtlichen 54 Meter Höhe fast ein wenig fragil. Dieser Eindruck wird durch die von seinem Dach aufragenden Zierspitzen eher noch verstärkt. Die Uhr, die in einem Uhrenturm natürlich nicht fehlen darf, befindet sich unmittelbar unter der Dachkante, die sich in spitz zulaufenden Wellen rings um den Turm zieht.

Entworfen hat das im Jugendstil gehaltene Gebäude der Architekt Roy Alstan Lippincott. 1926 fertiggestellt, beherbergte es lange Zeit alle geisteswissenschaftlichen Fakultäten der Universität sowie die Bereiche Architektur, Jura und Musik. Man bezeichnete es daher lange Zeit als Old Arts Building, das Gebäude der alten Künste. Auch die Universitätsbibliothek und die Aula waren hier untergebracht. In den 1980er Jahren war dann schließlich eine umfassende Renovierung und Restaurierung erforderlich geworden. Damit verbunden war eine Umwidmung des Gebäudes, so daß sich heute die Räumlichkeiten des Vizekanzlers der Universität und weitere Verwaltungseinrichtungen darin befinden, desweiteren der Große Saal und der Ratssaal der Bildungseinrichtung. Da der alte Name nun nicht mehr so ganz paßte, bürgerte sich schließlich die Bezeichnung Clock Tower – Uhrenturm – ein.

Wir spazieren in nördlicher Richtung die Princes Street entlang. Weil wir jedoch nicht so recht Lust haben, nach all dem schönen Grün nun eine schnöde Straße entlangzuwandern, nehmen wir, nachdem wir den linken Seitenflügel des Clock Towers passiert haben, einen Fußweg, der nach rechts auf das Universitätsgelände führt, das seinerseits von üppigem Grün bewachsen ist. Weit müssen wir nicht gehen, da leuchtet zwischen den Bäumen und Büschen die beigefarbene, orange abgesetzte Holzfassade eines weiteren Gebäudes hervor, das von einem riesigen, schlanken Nadelbaum überragt wird, der sofort ins Auge fällt. Das Gebäude wirkt wie ein Wohnhaus aus dem vorigen Jahrhundert. Neugierig suchen wir zu seiner Frontseite zu gelangen.

Doch bevor wir dort ankommen, werden wir plötzlich abgelenkt. Direkt neben uns setzt unvermittelt ein außerordentlich lautes Zirpen ein. Im ersten Moment denke ich an eine Grille, ein Heupferdchen, doch bei dieser Lautstärke müßte es sich schon um ein regelrechtes Heuroß handeln. Und wenn ich es recht bedenke, trifft die Bezeichnung Zirpen auch nicht so recht das, was ich da gerade höre. Es klingt eher, als würde jemand einen dicken Stock über ein großes Waschbrett ziehen. Was ist das?

Neugierig spüre ich dem Geräusch hinterher, das immer wieder einmal pausiert, kurz darauf jedoch wieder mit unverminderter Lautstärke einsetzt. Schließlich entdecke ich am dünnen Stämmchen eines kleinen Baumes den Verursacher des, nun ja, Lärms: eine Zikade. Wie ich es vermutet hatte, ist das Insekt von beachtlicher Größe. Vorsichtig, um es nicht zu verschrecken, hebe ich meine Kamera und halte den eigentümlichen Sänger für die Nachwelt fest:

Eine Chorzikade
Chorzikaden wie diese sind in Neuseeland heimisch und weit verbreitet. Selbst in den Städten ist ihr lautes Zirpen zu gewissen Tageszeiten allgegenwärtig.
Fotograf: Alexander Glintschert (2015)
Creative Commons Lizenzvertrag

Wir schauen und hören der Zikade noch eine Weile interessiert zu, doch schließlich wenden wir uns wieder unserem eigentlichen Ziel zu: dem Gebäude mit der hölzernen Fassade.

Ein kleines, daran angebrachtes rundes Schild gibt uns Auskunft:

Old Government House

Designed by William Mason
„The first New Zealand Architect“
This building was built in 1856 by Mr. Hay for
£ 14.581. It replaced the original house on this
site built by Governor Hobson in 1841
and destroyed  by fire in 1848.
It remained a Vice-Regal Residence until
1969 when it was transferred
to the University.

Übersetzt heißt das:

Altes Regierungsgebäude

Entworfen von William Mason
„Der erste neuseeländische Architekt“
Dieses Gebäude wurde 1856 von Mr. Hay für 14.581 £ gebaut. Es ersetzte das ursprüngliche Haus an dieser Stelle, das 1841 von Gouverneur Hobson errichtet und 1848 durch ein Feuer zerstört wurde. Es diente bis 1969 als Vizeregierungsresidenz und wurde dann an die Universität übertragen.

Na, damit ist doch alles Wesentliche gesagt. Oder nicht? Nun, man könnte noch ergänzen, daß zum Zeitpunkt der Errichtung dieses Gebäudes Auckland die Hauptstadt des Landes war, was es notwendig machte, daß der Gouverneur hier eine Residenz hatte. Interessant ist auch, daß das Old Government House das erste Gebäude Neuseelands war, bei dem man sich die Mühe machte, die hölzerne Fassade so zu bearbeiten, daß sie den Eindruck vermittelte, aus Stein zu sein. Neun Jahre nach seiner Fertigstellung verlor Auckland seinen Hauptstadt-Status, da es ihn 1865 an Wellington abtreten mußte. Zwar war Auckland die größere der beiden Städte, aber Wellington lag einfach zentraler. Das Old Government House blieb dem Gouverneur allerdings als Vize-Residenz erhalten.

Als diese 1969 in ein anderes Gebäude im Stadtteil Mount Eden verlegt wurde, übergab man das Old Government House der Universität. Für uns ergibt sich daraus ein unmittelbarer Vorteil, denn als wir vor dem Haupteingang des Gebäudes stehen, stellen wir erfreut fest, daß die Hochschule unter anderem auch ein Restaurant beziehungsweise Café darin eingerichtet hat. Und da es nun schon weit über den Mittag hinaus ist, melden sich unsere Mägen mittlerweile vehement zu Wort. Wir zögern daher nicht lange und suchen uns einen der Tische aus, die vor dem Gebäude im Freien stehen. Schließlich haben wir einen schönen sommerlichen Februartag, da wollen wir natürlich nicht drinnen sitzen, wenn es sich vermeiden läßt. Kurz darauf stellen wir fest, daß wir doch hinein müssen, denn hier ist Selbstbedienung. Na gut, wir sind ja nicht verwöhnt. Dann holen wir uns unser Essen eben selbst. Im Inneren des Gebäudes müssen wir etwas suchen, um den Weg zum Essen zu finden. Er führt uns einmal durch das Innere des Hauses auf dessen andere Seite. Dort angekommen, haben wir etwas vor uns, was wir bereits gut aus unseren eigenen Studienzeiten an einer Universität kennen und wofür ich keineswegs den Begriff Restaurant oder Café gebrauchen würde. Was wir sehen, erinnert eher an eine Kantine.

Na, macht nichts. Wir suchen uns jeder ein Essen aus, bezahlen und tragen es den Weg zurück aus dem Gebäude hinaus an unseren Tisch. Über die Qualität kann ich eigentlich nicht viel sagen – die bleibt mir offenbar nicht in Erinnerung. Weder richtig gut noch richtig schlecht, das trifft es wohl am besten. Was sich mir jedoch einprägt, ist der Eindruck, daß mich im Inneren des Gebäudes kaum etwas daran erinnert, daß es sich dabei um einen ehemaligen Regierungssitz handeln könnte. Dies wird mir später bestätigt, als ich noch ein wenig mehr über das Old Government House herausfinden möchte. Ich erfahre, daß es nun hauptsächlich als Aufenthaltsraum für das Personal dient und eine Empfangssuite für den Rat der Universität, Wohnungen für Gastwissenschaftler, Räume für den Verband der Hochschulabsolventinnen und einen Hörsaal beherbergt. Um all dies in dem Haus unterbringen zu können, hat man dessen Inneres im Laufe der Zeit mehr und mehr verändert, um es an die Bedürfnisse der Lehreinrichtung anzupassen. Die Atmosphäre einer palastähnlichen Residenz ist dabei allerdings weitestgehend verlorengegangen. Wirklich schade.

Am Old Government House in Auckland
Von außen sieht das Old Government House in Auckland noch wie ein ehrwürdiger Gouverneurssitz aus dem vorigen Jahrhundert aus. Im Inneren ist davon allerdings nur noch wenig zu sehen.
Fotograf: Alexander Glintschert (2015)
Creative Commons Lizenzvertrag

Während wir hier draußen im warmen Sonnenschein sitzen, haben wir genug Zeit, uns umzusehen. Einige der Bäume auf dem Gelände rings um das Gebäude sind, wie es den Anschein hat, so alt wie das Old Government House selbst. Erneut fällt mir der riesige Nadelbaum auf, der es weit überragt. Es heißt, diese Norfolk-Kiefer habe Sir George Grey höchstpersönlich während seiner zweiten Amtszeit als Gouverneur in den 1860er Jahren gepflanzt. Nun, alt genug könnte sie dafür wohl sein.

Als wir schließlich unseren Weg über das Gelände der Universität fortsetzen, kommen wir an einem etwa drei Meter hohen Strauch vorüber, der hier am Rande eines Fahrwegs auf einer Rasenfläche wächst. Wunderschöne große, rosafarbene Blüten mit fünf Blütenblättern und einem langen Griffel, besetzt mit gelben Staubblättern, erblühen in großer Zahl rings um den gesamten Strauch, in dem ich einen engen Verwandten meines Chinesischen Roseneibischs, einer Hibiskus-Art, erkenne, der zu Hause mein Wohnzimmer verschönert und bei dem ich, wie ich leicht zerknirscht zugeben muß, nie so recht darüber nachgedacht habe, wo er eigentlich heimisch ist. Manchmal muß man eben erst ans andere Ende der Welt reisen, um etwas darüber zu lernen, was man zu Hause direkt vor der eigenen Nase hat…

Wenige Schritte weiter treten wir unter den Bäumen, die unseren Weg beschattet haben, hervor, passieren ein Tor in einem weißen Zaun und erreichen eine große Straßenkreuzung. Wir haben den City-Campus der Universität Auckland, den größten ihrer sechs Standorte, hinter uns gelassen – und keine Gelegenheit, dies zu bedauern. Denn schon an eben dieser Kreuzung, an der sich vier Straßen begegnen, finden wir zwei weitere Sehenswürdigkeiten der Stadt, die unsere Aufmerksamkeit unmittelbar auf sich ziehen.

An der Ecke Alten Road und Symonds Street reckt eine verhältnismäßig kleine Kirche ihren schönen Turm in die Höhe, der ein wenig so wirkt, als solle er die Kleinheit der Kirche unbedingt wettmachen, denn er scheint für sie ein wenig zu groß beziehungsweise zu hoch zu sein. Das tut der Schönheit seiner Architektur jedoch keinen Abbruch. Ein großes Schild, das man an der Seite der Kirche aufgestellt hat, informiert uns, daß wir hier die Kirche Saint Andrew’s vor uns haben, die nicht einfach nur ein presbyterianisches Gotteshaus ist, sondern die erste presbyterianische Kirche Aucklands. Tatsächlich ist sie, von 1847 bis 1850 errichtet, sogar die erste Kirche, die in der Stadt gebaut wurde. Bereits der erste Entwurf von Walter Robertson, dem der Kirchenbau entspricht, sah einen Turm und auch einen Säulengang vor. Doch bereits damals kam es so, wie es auch heute oft genug geschieht – die geplanten Kosten wurden massiv überschritten und man konnte sich Turm und Säulengang schlicht nicht mehr leisten. So soll die Kirche lange Jahre eher an eine Scheune erinnert haben als an ein Gotteshaus. Erst im Jahr 1882 konnten Turm und Säulengang ergänzt werden, basierten aber nun auf Entwürfen von Matthew Henderson.

Der Kirche schräg gegenüber auf der anderen Seite der Kreuzung, an der Ecke, die von den Straßen Anzac Avenue und Waterloo Quadrant gebildet wird, steht auf einer kleinen Erhebung ein trutziges Gebäude aus rotem Backstein, dessen Kanten und Fensterumrandungen mit weißen Steinen gefaßt sind. Wirkt es so schon ein bißchen wie eine kleine Festung, wird dieser Eindruck durch zwei zinnenbewehrte Türme noch verstärkt. Dieses neugotische Gebäude stammt aus der Mitte der 1860er Jahre und ist der Sitz des Obersten Gerichts Aucklands, des High Courts. Bereits als Gerichtsgebäude errichtet – die Gestaltung ist daher keineswegs zufällig gewählt, sondern war zu jener Zeit der bevorzugte Stil für solche Bauten im britischen Empire -, diente es seitdem nahezu ununterbrochen diesem Zweck.

Wir schlendern nun die Anzac Avenue entlang, die uns der Waterfront entgegenbringt, an der entlang wir zur Queen Street wandern wollen. Noch immer haben wir die Höhe, zu der wir bei unserem Eintritt in den Albert-Park aufgestiegen sind, nicht verlassen, doch als wir zwischen den Häusern, an denen wir nun entlanggehen – die Grünanlagen haben wir mit dem Gelände der Universität endgültig hinter uns gelassen -, weiter unten ein massives Gebäude erblicken, das ebenfalls schon einige Jahrezehnte gesehen haben dürfte, ist unser Interesse geweckt und wir nutzen die nächste Gelegenheit, über eine Abfolge von Treppen von der Höhe wieder herunterzusteigen. Kurz darauf stehen wir an der Beach Road – warum die wohl so heißt? Einen Strand gibt’s hier jedenfalls nicht – und blicken über einen großen Platz, an dessen anderer Seite sich das besagte Gebäude erhebt.

Über drei riesigen Bogenfenstern, die fast die gesamte Höhe des zweistöckigen Gebäudes einnehmen, ist in großen Lettern

RAILWAY STATION

zu lesen. Ein Bahnhof also. Zwischen den beiden Wörtern ist eine große Uhr zu sehen, die aber offenbar nicht mehr funktioniert, denn sie zeigt fünf Minuten vor fünf Uhr an, was keineswegs stimmen kann. Das ist für einen Bahnhof etwas ungewöhnlich, denn gerade dort ist doch die Kenntnis der aktuellen Uhrzeit für die zu den Zügen eilenden Reisenden von essentieller Wichtigkeit. Moment! Reisende? Die zu den Zügen eilen? Da sind keine! Abgesehen von abgestellten Autos sind Auffahrt und Vorplatz des Bahnhofs auffallend leer. Keine Menschenseele ist zu sehen.

Auckland Railway Station
Das ehrwürdige alte Bahnhofsgebäude der einstigen Auckland Railway Station.
Fotograf: Alexander Glintschert (2015)
Creative Commons Lizenzvertrag

Nun, das ist auch kein Wunder. Denn mit intensivem Zugverkehr ist an diesem alten Bahnhof, der, wie man der Aufschrift an seiner Vorderfront entnehmen kann, einst einfach Auckland Railway Station hieß, heute nicht mehr zu rechnen. Ende der 1920er Jahre errichtet und 1930 hier an der Beach Road eröffnet, ersetzte er einen einstigen Endbahnhof, der sich an der nicht allzuweit entfernten Queen Street befand, etwa dort, wo wir tags zuvor das Britomart Transport Centre vorgefunden hatten. Und dieses war es auch, das seinerseits im Jahre 2003 die Auckland Railway Station ablöste, so daß diese nach dreiundsiebzig Jahren im Dienst nun geschlossen wurde. Von ihren einst sieben Bahnsteigen wandelte man fünf in Abstellgleise um und behielt ganze zwei, die man bis zum heutigen Tag noch für Ausflugszüge, als Notreserve und als Endstation für den Fernverkehr des Northern Explorer nutzt. Um aber Verwirrung über den Bahnhofsnamen zu vermeiden – jeder würde unter dem Namen „Auckland Railway Station“ den Hauptbahnhof der Stadt vermuten -, führte man den nun sehr eingeschränkten Betrieb unter dem neuen Namen Strand Station fort.

Das einstige Bahnhofsgebäude, das William Henry Gummer einst im Beaux-Arts-Stil entworfen hatte, können die wenigen Fahrgäste allerdings nicht mehr nutzen, um die verbliebenen Bahnsteige zu erreichen. Das hatte man direkt nach der Schließung des Bahnhofs in ein Wohnhaus umgewandelt, dem man den Namen Grand Central Apartments gab und in dem zeitweilig ein Studentenwohnheim untergebracht war. Der Öffentlichkeit ist der Bau damit weitestgehend entzogen. Und das ist ein ausgesprochen trauriger Umstand, denn wie ich einschlägigen Beschreibungen des Gebäudes entnehme, war es einst eines von Aucklands repräsentativsten Gebäuden! Kunstvoll gestaltete öffentliche Räume und zahlreiche Einrichtungen und Geschäfte machten es zu einem wichtigen öffentlichen Ort der Stadt. Besonders beeindruckend war wohl die prächtige Metalldecke in der Haupthalle, die man in Deutschland herstellen ließ. Die Teile wurden nach ihrer Fertigstellung verschifft und an Ort und Stelle zusammengesetzt. Importierter Marmor und feine Bronzedetails mit einem wunderschönen Terazzoboden hatten das prunkvolle Erscheinungsbild des Bahnhofsgebäudes vervollständigt. All das bekommen wir nun nicht zu sehen – wenn es denn überhaupt noch vorhanden ist.

Wir gehen die Beach Road entlang, bis sie endet und in die Customs Street übergeht, die hier ein „East“ angehängt bekommt – ein Zeichen, daß wir wohl nicht mehr allzuweit von der Queen Street entfernt sind. Und richtig, ein paar Minuten später haben wir sie erreicht, biegen rechts in sie ein und stehen alsbald vor dem alten, ehrwürdigen, amtlich aussehenden Gebäude mit der großen Uhr über dem Eingang, das einst das Hauptpostamt der Stadt war und heute als Empfangshalle des Britomart Transport Centres dient. Wir werfen einen Blick hinein und ich stelle fest, daß das Erdgeschoß aus einem riesigen Saal besteht, der von der Vorder- bis zur Rückseite des Gebäudes reicht. Die Decke ruht auf zahlreichen runden Säulen, ergänzt um einige viereckige Pfeiler, die als Basis jeweils einen stählernen Fuß besitzen. Kleine, in die Halle hineingebaute Kioske verkaufen Sandwiches, Lebensmittel oder Fahrkarten, es gibt eine Cafeteria, deren Sitzbereich in der Mitte der Halle auf einem um drei Stufen erhöhten Podest liegt, wo sich auch ein Wartebereich mit mehreren Bänken befindet. Eine große Anzeigetafel, die die nächsten Abfahrtszeiten der Züge verkündet, fehlt natürlich auch nicht. Alles in allem war es das aber auch schon.

Ein Bahnhof ist allerdings nirgends zu sehen, was uns aber nicht weiter verwundert, denn wir wissen ja bereits, daß er sich im Untergrund befindet. So sind wir auch nicht überrascht, als wir an der Rückseite des Gebäudes eine breite Treppe vorfinden, die in die Tiefe hinabführt. Um die Hinauf- und Hinabsteigenden ausreichend vor der Witterung zu schützen, hat man hier an das alte Hauptpostamt einen modernen Glaswürfel angebaut, der den Einstieg in den Untergrundbahnhof umhüllt.

Als Eisenbahnliebhaber müssen wir natürlich wenigstens einmal einen Blick in den unterirdischen Bahnhof geworfen haben, und so steigen wir kurzerhand die Treppe hinunter. Unten angekommen, versperrt uns eine Batterie von Bahnsteigsperren den Weg zu den Gleisen, doch wir können den Bahnhof auch so ganz gut überblicken. Drei Bahnsteige, fünf Gleise, alle nebeneinander in einem breiten Tunnel angeordnet. Wir stehen am Kopf des Bahnhofs, die Gleise enden direkt vor uns an Prellböcken. Ein Kopfbahnhof also, dessen Ausfahrt in Richtung der alten Auckland Railway Station liegt. Nun, das verwundert auch nicht.

Die Decke des Tunnels ist recht hoch, senkt sich über den beiden äußeren Gleisen jedoch ab. Das ermöglicht es, daß die den Bahnhof erhellenden Lampen nicht nur in die Decke eingelassen werden konnten, sondern sich auch in der so entstehenden Seitenwand des abgesenkten Deckenbereichs befinden. Tagsüber bekommt der Bahnhof überdies noch Licht aus mehreren Oberlichtern, die sich hintereinander in der Mitte der Tunneldecke befinden. Eines ist direkt vor den Bahnsteigsperren über uns plaziert. Als ich hinaufschaue, stelle ich fest, daß es ein Okulus ist – ein kreisrundes Deckenfenster. Merkwürdig finde ich allerdings, daß der Blick durch die Scheiben keineswegs klar ist, sondern das sich eigentümliche Schlieren über das Glas zu bewegen scheinen. Ich kann mir keinen rechten Reim darauf machen.

Während wir wieder zur Oberfläche hinaufsteigen, grüble ich weiter darüber nach, finde aber keine Erklärung. Das soll sich jedoch schlagartig ändern, als wir den Glaspavillon über der Treppe erreicht haben und an seiner Rückseite das Bahnhofsgebäude verlassen. Wir stehen nun auf einem Platz, der hinter dem alten Hauptpostamt liegt. Bahnhofsvorplatz kann man ihn daher wohl nicht nennen. Gibt es ein entsprechendes Wort für die hiesige Situation? Bahnhofsrückplatz vielleicht? Ich komme nicht dazu, mir andere Wörter zu überlegen, denn nun fällt mein Blick auf einen Brunnen, der sich in der Mitte der Freifläche befindet. Er ist kreisrund und nur etwa einen halben Meter hoch. In seiner Mitte befindet sich keine Fontäne, sondern das Wasser wird von dort befindlichen Düsen auf eine ebene Fläche gesprüht. Unter dem Druck rinnt es zu deren Rand, wo es in einer Vertiefung wieder verschwindet. Die runde Fläche allerdings besteht – aus Glas. Das ist das Okulus – und des Rätsels Lösung! So einfach, so genial.

Das Britomart Transport Centre in Auckland
Ein gut getarntes Fenster in die Unterwelt – der Brunnen am Britomart Transport Centre.
Fotograf: Alexander Glintschert (2015)
Creative Commons Lizenzvertrag

Wir wandern um das Empfangsgebäude des Britomart Transport Centres herum zurück zur Queen Street. Der Name des Bahnhofs geht auf eine einstige Landspitze namens Point Britomart zurück, die sich früher an dieser Stelle im Waitematā Harbour befand, im Zuge von Landgewinnungsmaßnahmen jedoch verlorenging. Mit anderen Worten: Dort, wo heute Hochhäuser links und rechts der Queen Street in den Himmel ragen, schwappten einst die Wellen des Waitematā Harbours hin und her. Nun ergibt es auf einmal auch einen Sinn, daß die Straße, die wir vorhin hierher entlanggewandert waren, den Namen Beach Road trägt. Der „Strand“ hatte sich zu jener Zeit tatsächlich viel weiter landeinwärts befunden als heute.

Daß man Anfang der 2000er Jahre das Britomart Transport Centre hier in den Untergrund baute, wurde dadurch motiviert, daß man die Auckland Railway Station als zu weit von der Innenstadt entfernt befand. Dies soll bereits bei deren Eröffnung als Hindernis empfunden und kritisiert worden sein. Dennoch blieb sie mehr als siebzig Jahre in Betrieb, bis man der anhaltenden Kritik nachgab und die Eisenbahn an den Ort zurückbrachte, an dem sie früher ihren Anfang genommen hatte. Manche Dinge dauern eben manchmal etwas länger…

Wir spazieren nun hinüber zur Waterfront an der Quay Street, wo wir erneut den Roten Zaun bewundern. Diesmal zieht es uns jedoch nicht hinaus auf die Piers. Der Tag ist noch immer jung genug, um uns noch ein weiteres Ziel zu setzen. Und dafür müssen wir als nächstes zum Fährterminal hinter dem Ferry Building…

Sie können alle Fotos auch direkt auf Flickr anschauen.
Für alle Fotos gilt die folgende Lizenz:

Creative Commons Lizenzvertrag
Dieses Werk ist lizenziert unter einer Creative Commons Namensnennung – Nicht kommerziell – Keine Bearbeitungen 4.0 International Lizenz.

Auf dem Himmelsturm

Dieser Beitrag ist Teil 3 von 10 der Beitragsserie "Reise nach Neuseeland & Singapur"
Wie ich auf Auckland herabsah

Der nächste Morgen findet uns ausgeruht und bereit, die Stadt ausgiebig zu erkunden. Zu Beginn unserer ersten Nacht in Neuseeland hatte es noch kurz so ausgesehen, als könnte sie etwas unruhig und schlaflos werden, da ich feststellen mußte, daß die Klimaanlage, die wir zur Vermeidung stickiger Luft im Zimmer angestellt hatten – die Fenster ließen sich ja leider nicht öffnen -, in regelmäßigen Abständen kühle Luft direkt auf meine Liegestatt hinab- und mir ins Gesicht blies – ein Umstand, der mich beim Hinüberdämmern in den Schlaf immer wieder aufschrecken ließ, so daß an Ruhe nicht so recht zu denken war. Doch ich machte dem nach einiger Zeit kurzentschlossen ein Ende, indem ich aufstand und das Lüftungsgerät einfach ausschaltete. Lieber etwas stickige Luft als keinen rechten Schlaf. Glücklicherweise erwies sich unser Zimmer als groß genug, daß es dennoch zu keinem Sauerstoffmangel kam. Und auch die Luftqualität blieb alles in allem erträglich.

So war die Nacht dann doch erholsam gewesen, und nun stehen wir nach einem guten Frühstück, das wir in unserem Hotel eingenommen hatten, frohen Mutes auf der Straße und schauen dem morgendlichen Verkehr zu, während wir warten, daß die Ampel uns den Weg über die Albert Street freigibt. Weit haben wir es nicht, nur ein Stück die Wellesley Street West entlang bis zur nächsten Querstraße, die wir dann allerdings noch ein kleines Stück entlanggehen müssen. Doch bereits an der Ecke zur Federal Street – so heißt die Querstraße – ist das Ziel unseres kurzen Weges nicht zu übersehen, ragt es doch satte 328 Meter vor uns in die Höhe: der Sky Tower inmitten des Stadtzentrums von Auckland.

Der Sky Tower in Auckland
Hoch in den blauen Himmel eines herrlichen Morgens ragt er auf, der Sky Tower im Zentrum Aucklands.
Fotograf: Alexander Glintschert (2015)
Creative Commons Lizenzvertrag


„Sollt‘ Dir die Gegend unklar sein,
hol einen Überblick Dir ein.“

Nach diesem Motto wollen auch wir verfahren und uns diesen Überblick im Wortsinne verschaffen, indem wir unseren ersten Tag in Auckland damit beginnen, dieses höchste freistehende Bauwerk der südlichen Hemisphäre zu erklimmen. Doch bevor wir das tun, erregt noch ein anderes, unserer Position an der Straßenecke der Federal Street näheres Bauwerk unsere Aufmerksamkeit. Trutzig steht es dort auf der anderen Seite der Wellesley Street West und reckt ebenfalls einen mächtigen Turm nach oben. Der kann zwar, was die Höhe angeht, mit dem schlanken Sky Tower keineswegs mithalten, doch dieses Manko macht er durch sein massives Erscheinungsbild ohne weiteres wett. Wo der eine durch seine graziöse Eleganz bedeutend wirkt, die jedoch nur in Verbindung mit seiner Höhe zum Ausdruck kommt, tut es der andere allein durch seine Wuchtigkeit.

Doch nicht nur ihre unterschiedlichen Formen machen den Gegensatz zwischen den beiden Türmen aus. Ebenso augenfällig wie jene ist auch die Tatsache, daß sie durch ein knappes Jahrhundert voneinander getrennt werden. Der trutzige Turm uns gegenüber gehört zum Gotteshaus Saint Matthew in the City, einer anglikanischen Kirche, deren Errichtung man zu Beginn des zwanzigsten Jahrhunderts begann und die man 1905 fertigstellte. Den neugotischen Stil, in dem sie gehalten ist, kann man kaum übersehen. Was ich zwar nicht bemerke, doch später erfahre, ist, daß das Kirchengebäude in seinen Mauern einen rund 1.300 Jahre alten Stein birgt, der aus den Ruinen der Abtei Sankt Augustinus in Großbritannien stammt, eines Klosters, das nicht nur das erste im südlichen England war, sondern auch die erste Gründung darstellte, die der Benediktiner-Orden außerhalb des kontinentalen Europas vornahm.

Was Historie angeht, so kann der elegant-moderne Sky Tower dem natürlich nichts entgegensetzen, ist mit seinem Bau doch erst im Jahre 1994 begonnen worden. Drei Jahre hat es gedauert, bis er fertig war. Nur drei Jahre, ergänze ich in Gedanken. Warum scheint eigentlich die Errichtung  neuer Bauwerke, egal, ob unter oder auf der Erde, in anderen Ländern der Welt immer so viel schneller vonstattenzugehen, als wir das in Deutschland stets erleben? Es kann mir doch keiner erzählen, daß so ein Fernsehturm, der immerhin Platz 28 auf der Rangliste der höchsten Türme der Welt einnimmt, so viel einfacher zu bauen ist als beispielsweise ein Flughafen, ein Bahnhof oder eine Philharmonie?

Aber lassen wir das. Wir spazieren die wenigen Meter die Federal Street entlang, die uns vom Sky Tower noch trennen. Als wir dort ankommen,  schaue ich den Schaft des Turmes hinauf, der über mir in den stahlblauen Himmel ragt. Beeindruckend.

Weniger beeindruckend ist die unmittelbare Umgebung des Turmes. Er steht inmitten eines Unterhaltungs- und Kasinokomplexes namens „Skycity Auckland“, in dem allerdings um diese Tageszeit nicht sonderlich viel los ist. Unterhaltung und Glücksspiel sind doch eher Abend- als Morgenbeschäftigungen. Nun, uns ist das egal – wir wollen sowieso in höhere Sphären. Der Eingang ist schnell gefunden, auch die Tickets zu erwerben, ist keine große Sache. Und so stehen wir alsbald in einem der Fahrstühle, der uns den Turm hinaufbringt. Als ich vorhin von Erklimmen sprach, hat doch hoffentlich niemand angenommen, wir würden da zu Fuß hinauflaufen?

Während wir hinauffahren, ist etwas Zeit, um uns ein wenig über den Turm zu informieren. Zwei Aussichtsplattformen gibt es, so erfahren wir. Die erste ist auf einer Höhe von 186 Metern zu finden, die zweite liegt noch einmal 34 Meter höher. Dazu kommen noch ein Café und zwei Restaurants, von denen eines eine Eigenschaft besitzt, die den Sky Tower mit dem Berliner Fernsehturm verbindet: es rotiert. Einmal in der Stunde absolviert es eine komplette Umdrehung. Nun, das werden wir eher nicht überprüfen, denn wir begnügen uns mit dem Besuch der Aussichtsplattformen.

Als wir im sogenannten Main Observation Deck – der unteren der beiden Aussichtsplattformen – aus dem Fahrstuhl steigen und das erste Mal einen Blick aus den großen Panoramafenstern werfen, stockt uns schon ein wenig der Atem. 186 Meter über dem Boden – das klingt nicht nach besonders viel, doch wenn man hier oben ist, dann ist das auf einmal ganz schön hoch! Doch die Aussicht ist phantastisch.  Das Wetter ist für unseren Ausflug auf den Turm wie gemacht – der Himmel leuchtet tiefblau und schmückt sich mit zahllosen mehr oder minder kleinen weißen Wölkchen. Ein wahrlich hübscher Anblick, und das nicht nur am Himmel selbst. Die freundlich von dort herablächelnde Sonne sorgt dafür, daß die Wolken auch auf der Stadt, die sich im weiten Rund um und unter uns ausbreitet, ihre Spuren hinterlassen, und zwar in Form kleiner und großer Schatten. Das resultiert in einem scheckigen Muster, das in einer permanenten Bewegung über die Erdoberfläche zieht und sich dabei ständig verändert. Allein dabei zuzusehen, ist schon faszinierend.

Dasselbe gilt für die Stadt selbst. Von hier oben können wir sie zur Gänze überblicken. Eine gute Möglichkeit, sich zu orientieren – ein bißchen so, als würden wir auf eine dreidimensionale Landkarte blicken. Doch bevor wir das tun, müssen wir uns ganz dringend einer anderen Attraktion widmen, die wir bei unseren ersten Schritten durch das Main Observation Deck entdecken. An einigen Stellen sind in dessen Boden Glasplatten eingelassen. Neugierig treten wir näher an eine heran, blicken auf sie herab und … sehen den Boden unter uns. Also nicht den der Aussichtsplattform, in der wir uns befinden, sondern den Erdboden. Mit den Gebäuden rings um den Turm. Und den Straßen. Den Menschen. Den Autos.

Der Glasboden im Sky Tower in Auckland
Zwei Füße – meine Füße – über jeder Menge leerer Luft. Ganze 38 Millimeter Glas trennen sie von 186 Metern Nichts und dem Erdboden dahinter.
Fotograf: Alexander Glintschert (2015)
Creative Commons Lizenzvertrag

Ein Glasboden! Großartig! Ich bin begeistert. Kurz darauf stehe ich auf einem der Felder, zücke meinen Fotoapparat und mache ein Foto von meinen Füßen über jeder Menge leerer Luft. Als ich kurz darauf wieder aufblicke, bemerke ich einige zweifelnde Blicke, die mir von Umstehenden zugeworfen werden. Habe ich was falsch gemacht? Darf man das nicht? Ich schaue mich um, kann aber keinen Hinweis darauf entdecken, daß es verboten sein könnte, auf die Glasplatten zu treten. Kurz über ihnen finde ich an der Wand lediglich kleine Schilder, auf denen folgendes zu lesen ist:

This glass floor is 38mm thick.
IT IS AS STRONG AS THE CONCRETE
FLOORS YOU ARE STANDING ON.“

Übersetzt heißt das:

Dieser Glasboden ist 38 Millimeter dick.
ER IST SO STARK WIE DER BETONBODEN,
AUF DEM SIE STEHEN.

Na also. Keine Gefahr. Und auch kein Verbot. Ich beantworte die Blicke mit einem freundlichen Lächeln, worauf sie sich schnell von mir abwenden. Ich beobachte, wie die Leute, die mich eben so zweifelnd betrachtet hatten, zwar neugierig versuchen, durch die Glasplatten in die Tiefe zu blicken, es aber tunlichst vermeiden, auch nur einen Millimeter darauf zu treten. Sie scheinen der Versicherung, daß es völlig ungefährlich ist, darauf zu stehen, nicht so recht zu trauen. Man kann ja nie wissen…

Nun, sollen sie. Man wird ja hier zu nichts gezwungen. Ich wende mich nun der phänomenalen Aussicht vor den Fenstern der Aussichtsplattform zu. In nördlicher Richtung breitet sich vor mir die Wasserfläche des Waitematā Harbours aus. Der Blick reicht dabei von seinem Ende im Landesinneren im Westen bis zu seiner Mündung in den großen Hauraki-Golf im Osten, von dem er ein Teil ist. Dort führen zwei Kanäle zum Hauptteil des Golfs hinüber. Die Stelle, an der sie sich voneinander trennen, wird durch eine große nahezu runde Insel markiert, in deren Mitte sich ein markanter Gipfel erhebt: der Rangitoto auf der nach ihm benannten Insel Rangitoto Island. Im Gegensatz zum Stadtgebiet erscheint diese in einem dunklen, satten Grün. Eine Spur von Bebauung ist dort nirgends auszumachen. Ich mache mir eine gedankliche Notiz dahingehend, daß wir nach Möglichkeit einen Besuch dort einplanen sollten. Auf unserem Spaziergang tags zuvor hatte ich am Fährterminal hinter dem Ferry Building gesehen, daß Fähren dorthin abgingen. Also sollte es keine allzu große Schwierigkeit darstellen, die Insel aufzusuchen und zu besichtigen.

Geradezu dehnt sich hinter dem Waitematā Harbour eine große, etwas zerklüftet wirkende Halbinsel aus. Dort ist zwar auch viel Grün auszumachen, doch ist die dichte Bebauung nicht zu übersehen. Dort liegen Devonport und Takapuna – Ortsteile von North Shore City. Es ist noch gar nicht so lange her, daß dies die viertgrößte Stadt Neuseelands war. Im Jahre 2010 hat man jedoch beschlossen, eine Art Äquivalent zur Schaffung von Groß-Berlin im Jahre 1920 zu vollziehen und einige bis dahin eigenständige große und kleine Orte in Auckland einzugemeinden. Auckland Council entstand, das aber sicherlich – außer in Amtsgeschäften – niemand so nennt. All das ist nun einfach Auckland.

Auf dem Sky Tower in Auckland
Das prächtige Panorama des Waitematā Harbour breitet sich zu Füßen des auf dem Sky Tower weilenden Betrachters aus.
Fotograf: Alexander Glintschert (2015)
Creative Commons Lizenzvertrag

Daß man, wenn man dort hinüber will, am besten die Fähre nimmt, um möglichst schnell auch dort anzukommen, das wird von hier oben offenkundig. Selbst aus dieser Perspektive ist es schwierig, jede Windung des Ufers des großen Waitematā Harbours auszumachen, der sich bis tief ins Landesinnere in unzählige kleinere und größere Seitenbuchten verzweigt. Da drumherumfahren zu müssen, kostet sicher reichlich Zeit. Diese läßt sich natürlich auch verkürzen, indem man die Auckland Harbour Bridge benutzt, die sich nicht allzuweit vom Stadtzentrum entfernt über den großen Naturhafen schwingt. Allerdings ist, so lese ich später, diese anfangs vierspurige Brücke seit ihrem Bau ein verkehrstechnisches Nadelöhr, so daß man sie bereits einmal erweitern mußte, indem man links und rechts zusätzliche Fahrbahnen mit jeweils zwei weiteren Spuren anbaute, was das Problem allerdings nicht auf Dauer lösen konnte. Also doch lieber die Fähre.

Von hier oben kann ich die Brücke nun in ihrer ganzen Länge sehen, die immerhin stolze 1,15 Kilometer beträgt. Nur ein kleiner Teil zwischen zweien der insgesamt sechs Brückenpfeiler weist die hohen stählernen Bögen auf, die mich gestern eine gewisse Ähnlichkeit zur Sydney Harbour Bridge hatten erkennen lassen. Nun, in ihrer Gesamtansicht, ist diese Ähnlichkeit nicht mehr ganz so groß.

Direkt zu unseren Füßen liegt rings um den Turm die Innenstadt Aucklands, auch Central Business District genannt. Und ein zentrales Geschäftsviertel ist dies in der Tat, wie die zahlreichen Hochhäuser beweisen. Einige von ihnen hatten wir uns ja schon auf unserem gestrigen Bummel durch die Queen Street von unten besehen können. Daß sie nicht die Höhe der Wolkenkratzer anderer Großstädte der Welt erreichen, war uns dabei bereits aufgefallen. Dennoch stellen sie eine durchaus beeindruckende Versammlung dar, wenn ich sie jetzt so von oben betrachte. Und auch wenn ich historische Bauten aufgrund ihrer größeren Ästhetik, ihres schöneren baulichen Schmuckes und ihrer oft ganz eigenen, nun, nennen wir es Persönlichkeit vorziehe, so muß ich doch zugeben, daß diese nadelartigen Gebäude hier zumindest einen gewissen gefälligen Abwechslungsreichtum aufweisen, was ihre äußere Gestaltung angeht. Diese liegt jedenfalls weitab von dem eintönigen Einerlei der Bürogebäude, die man heutzutage in Berlin für gewöhnlich so errichtet. Woran das wohl liegt?

Wie dem auch sei, dadurch fühle ich mich sogar bemüßigt, das eine oder andere Foto eines Wolkenkratzers zu schießen, sei es wegen seiner originellen Form oder wegen der interessanten Spiegelungseffekte in seiner Glasfassade.

Die Aussicht von hier oben ist in allen Richtungen gleichermaßen ausgezeichnet. Das Main Observation Deck ist so gestaltet, daß man einen uneingeschränkten 360-Grad-Rundblick genießen kann. Man muß einfach nur an den großen Fenstern entlanggehen, die sich an seiner Außenseite entlangziehen. Und genau das tue ich jetzt, wobei ich mich entgegen dem Uhrzeigersinn bewege.

Nach Westen und Süden hin dominieren eher niedrige Bauten das Stadtbild. Viele ein- bis zweistöckige Häuser sind in den einzelnen Stadtteilen zu sehen, die so malerische Namen wie Saint Marys Bay, Herne Bay, Freemans Bay oder Ponsonby und Grey Lynn tragen.  Hochhäuser gibt es hingegen nur sehr vereinzelt. Im Südwesten wird der Waitematā Harbour schließlich in der Ferne durch eine Bergkette abgelöst – die Waitākere Ranges. Ihre tiefgrünen Hänge deuten auf eine waldreiche Gegend hin.

Als sich mein Blick schließlich nach Süden richtet, entdecke ich eine weitere Wasserfläche am Horizont. Auckland besitzt ja die einzigartige Eigenschaft, gleichzeitig an der Ost- und an der Westküste der Nordinsel Neuseelands zu liegen. Und das ist von hier oben zu sehen. Diese Wasserfläche ist nämlich der an der Westküste gelegene Manukau Harbour, der zweitgrößte Naturhafen Neuseelands. Daß er größer als der Waitematā Harbour an der Ostküste ist, kann ich aufgrund seiner größeren Entfernung vom Stadtzentrum nicht wirklich sehen. Was ich beim Weitergehen hingegen bemerke, ist, daß sich im Stadtgebiet nun mehr und mehr einzelne Erhebungen zeigen. Hier eine, dort eine. Die meisten sehen eher wie kleine Hügel aus, einige erreichen aber auch größere Höhen, so daß sie doch recht deutlich hervorstechen. Der höchste dieser Hügel – es ist der Mount Eden – zeigt, als ich ihn mit meinem Teleobjektiv näher zu mir heranhole, einen ausgeprägten Krater, der ihn sofort als Vulkan erkennbar macht.

Es ist schon ein etwas merkwürdiges Gefühl, daß sich in meiner Bauchgegend breitmacht, als ich so unmittelbar daran erinnert werde, daß Auckland auf einem riesigen vulkanischen Feld errichtet wurde. Neueste Forschungen haben ergeben, daß es von dreiundfünfzig Vulkanen gebildet wird, von denen sich die meisten im Stadtgebiet befinden. Gemeinhin geht man davon aus, daß sie nach ihrem Ausbruch erkaltet sind und somit in der Zukunft kein Feuer mehr speien werden. Das ist doch beruhigend, nicht wahr?

Nun, wie so oft im Leben gibt es ein Aber. Und in diesem Fall ist es ein sehr großes Aber. Zunächst wäre zu sagen, daß es sich bei der Vorhersage, daß die Berge auf dem Auckland Volcanic Field nicht wieder ausbrechen werden, nur um eine Annahme handelt. Sicherlich eine gut begründete Annahme, aber eben doch nur eine Annahme. Absolut sicher ist sich da niemand. Und wer davon nicht beunruhigt wird, für den gibt es noch eine zweite, die besagt, daß man davon ausgeht, daß Eruptionen jederzeit an einer anderen Stelle des Vulkanfeldes möglich sind. Man hat sogar ausgerechnet, wie wahrscheinlich es wohl ist, daß ein im Jahr 2008 in Auckland geborenes Kind, für das man eine Lebenserwartung von achtzig Jahren angenommen hat und das sein Leben lang in der Stadt bleibt, hier einen Vulkanausbruch erlebt. Acht Prozent. Sagen die Wissenschaftler. Ist doch gut zu wissen, oder? Da kann man doch planen.

Der Mount Eden in Auckland
Der Mount Eden ist mit seinen 196 Metern der höchste der Vulkankegel im Stadtgebiet Aucklands. Sein Krater ist überdeutlich zu erkennen.
Fotograf: Alexander Glintschert (2015)
Creative Commons Lizenzvertrag

Für einen Moment bricht sich in mir die Vorstellung Bahn, daß sich plötzlich vor meinen Augen mitten in der Stadt die Erde auftut und ein Lavastrom hervorbricht, der einen neuen Vulkankegel formt. Und was ist eigentlich, wenn das Ganze auch noch mit dem reichlich vorhandenen Meerwasser in Kontakt kommt? Doch dann reiße ich mich am sprichwörtlichen Riemen und schüttle diese Bilder schnell ab, die dann doch ein ganz klein wenig zu dystopisch für meinen Geschmack sind. Ich gestatte mir noch kurz den Gedanken, daß ich eher bezweifle, diese Stadt, so schön sie auch sein mag, als Wohnort für meinen Lebensabend in Betracht zu ziehen; dann wende mich Erfreulicherem zu.

Links hinter dem Mount Eden bemerke ich einen weiteren der Vulkane, auf dem eine Art Denkmal oder eine Statue oder etwas in der Art zu stehen scheint. Genau erkennen kann ich es wegen der großen Entfernung nicht. Also nehme ich wieder mein Teleobjektiv zu Hilfe – praktisch, so ein Ding, taugt auch als Fernglas; wenn es nur nicht so schwer wäre – und besehe mir die Sache näher. Es ist ein Obelisk. Sofort fallen mir die Illuminaten ein. Ich habe definitiv zuviel Dan Brown gelesen…

Nein, mit den Illuminaten hat dieser Obelisk ganz sicher nichts zu tun. Er steht dort als Erinnerung an das einhundertjährige Jubiläum der Unterzeichnung des Vertrages von Waitangi. Durch diese Vereinbarung – in der Sprache der Māori als „Te Tiriti o Waitangi“ bezeichnet -, die am 6. Februar 1840 vom Captain der Royal Navy William Hobson als Konsul für die britische Krone und zahlreichen Chiefs der Māori-Klans unterzeichnet wurde, gelangte Neuseeland in den Status einer britischen Kolonie. Bemerkenswert ist, daß darin festgehalten ist, daß die britische Krone das Eigentum der Māori an ihren Ländereien, Wäldern und anderen Besitztümern anerkennt und ihnen die Rechte britischer Untertanen gewährt. Der Vertrag stellt die älteste Verfassungsurkunde Neuseelands dar und ist auch heute noch anwendbares Recht. Benannt ist er nach dem Ort der Unterzeichnung.

Der One Tree Hill in Auckland
Ein einzelner Obelisk ragt anstelle eines Baumes auf dem One Tree Hill in den Himmel. Man sagt, die Einwohner der Stadt würden den Hügel auch als „No Tree Hill“ bezeichnen.
Fotograf: Alexander Glintschert (2015)
Creative Commons Lizenzvertrag

Der Berg, auf dem der Obelisk steht, trägt den Namen One Tree Hill, was Ein-Baum-Berg bedeutet. Das ist einigermaßen merkwürdig, denn soweit ich sehen kann, gibt es auf dem Gipfel nur den Obelisken, aber keinen Baum. Erst etwas tiefer an den Hängen sind vereinzelt Bäume anzutreffen. Nun, zum Zeitpunkt der Namensgebung soll es dort wohl genau einen Baum gegeben haben. Es ist anzunehmen, daß das stimmt, andernfalls ergäbe der Name des Berges überhaupt keinen Sinn. Wie so oft, wenn die Briten in Neuseeland Dinge benannt haben, hat ihre Bezeichnung mit der der Māori überhaupt nichts zu tun. Jene nennen den Hügel Maungakiekie, was übersetzt soviel wie „Berg der Kiekie“ bedeutet. Die Kiekie wiederum ist eine Kletterpflanze, die ausschließlich in Neuseeland zu finden ist. Rings um den Berg zieht sich, soweit ich von hier aus erkennen kann, ein Park. Daß er den Namen Cornwall Park trägt, erfahre ich später, als ich darüber nachlese, was mir auch die Erkenntnis einbringt, daß die Benennung im Jahre 1901 zu Ehren des Herzogs und der Herzogin von Cornwall und York vorgenommen wurde, die Auckland gerade besuchten. Sie gingen später als König Georg V. und Königin Mary von Großbritannien in die Geschichte ein.

Nachdem mittlerweile neben Rangitoto Island auch Devonport und der Mount Eden auf meiner gedanklichen Liste der Orte, die aufzusuchen sich lohnen könnte, stehen, kommen im weiteren Verlauf meiner Rundschau über die Stadt noch die Auckland Domain mit dem Auckland War Memorial Museum, der Albert Park und die Universität hinzu – alles Orte, die man von hier oben gut erkennen, aber nicht näher in Augenschein nehmen kann, die jedoch auf die eine oder andere Art mein Interesse wecken.

Herauszufinden, was man in der jeweiligen Blickrichtung jeweils gerade sehen kann, überläßt man hier oben übrigens nicht allein der Findigkeit des Besuchers. Vor den Fenstern sind immer wieder Tafeln aufgestellt, die mittels einer schematischen Darstellung des Geländes Hinweise auf interessante Sehenswürdigkeiten geben. Als kleine Zugabe verzeichnen sie auch bedeutende Städte der Welt, die in der jeweiligen Himmelsrichtung liegen, inklusive einer Entfernungsangabe. Und weil Berlin von den Neuseeländern glücklicherweise als bedeutend genug eingeschätzt wird, um hier verzeichnet zu sein, weiß ich nun also auch, daß wir aktuell gerade 17.736 Kilometer von zu Hause entfernt sind. Das ist immerhin näher als das 120 Kilometer weiter weg liegende Prag! Interessant, nicht wahr? Ich hätte das andersherum erwartet…

Dann rückt schließlich wieder der Waitematā Harbour in mein Blickfeld, und kurz darauf habe ich meine Runde um das Main Observation Deck vollendet, als ich erneut die Auckland Harbour Bridge sehen kann.

Auch wenn nicht davon auszugehen ist, daß wir 34 Meter weiter oben völlig neue Aussichten erwarten können, sind wir nun doch einmal hier, und im Preis ist der Besuch des Sky Decks inbegriffen. Also fahren wir kurzentschlossen mit dem Fahrstuhl das vergleichsweise kurze Stück hinauf.

Wie vermutet, ist die Aussicht hier oben nicht nur ebenfalls uneingeschränkt in alle Richtungen möglich, sondern genauso phantastisch wie weiter unten. Wir vollziehen auch hier eine komplette Umrundung und haben, weil wir jetzt nicht mehr alles zum ersten Mal sehen und auch nicht mehr ständig in Ahs und Ohs ausbrechen müssen, genug Muße, noch nach den wenigen Orten Ausschau zu halten, die wir schon kennen, bei unserer ersten Umrundung in der unteren Aussichtsplattform aber vergessen hatten. Wir entdecken die Auckland Town Hall, die Auckland Waterfront und – ganz wichtig – unser Hotel, das EconoLodge City Central.

Tatsächlich neu ist allerdings der Blick auf eine dritte Aussichtsplattform, die der Turm besitzt, die aber oft gerne vergessen wird, da ihr Besuch im normalen Ticket nicht enthalten ist. Aus gutem Grund! Wer sie betreten will, heißt es, muß starke Nerven mitbringen. Von hier oben erkennen wir auch sofort, warum! Denn diese Plattform, die sich in 192 Metern Höhe zwischen Main Observation und Sky Deck befindet, ist eigentlich nicht viel mehr als ein Metallsteg, vielleicht einen halben Meter breit, der außen um den Turm herumführt. Und mit außen meine ich draußen! Und wenn ich Steg sage, dann ist auch exakt das darunter zu verstehen – ein Steg ohne jegliches Geländer! Klingt lustig? Nun, das dürfte definitiv im Auge des Betrachters liegen.

Wer da einmal außen herumlaufen will, muß das nicht nur extra buchen, der muß auch entsprechende Ausrüstung anlegen, denn natürlich lassen die Turmbetreiber nicht jeden, der das will, einfach so in luftiger Höhe außen um den Turm spazieren. Das geht nur angeseilt. Wir hatten unten trotzdem nur ganz kurz überlegt, ob wir uns das gönnen sollen – und dann darauf verzichtet. Nun, wo ich auf beiden hinter Fenstern gelegenen Aussichtsplattformen war, bin ich mit dieser Entscheidung auch ganz zufrieden. Viel mehr als von hier sieht man auf diesem Sky Walk auch nicht, und nur des Nervenkitzels wegen muß ich das nicht machen.

Nervenkitzel im Übermaß verspricht übrigens auch die andere Betätigung, die man von dieser Außenplattform aus ausüben kann. Die Rede ist vom SkyJump. Dabei kann man im wahrsten Sinne des Wortes von Turmspringen reden. Allerdings ist das Ziel nicht ein Wasserbecken, sondern einfach der harte Erdboden. Und man springt auch nicht aus zehn Metern Höhe, sondern stürzt sich aus 192 Metern in die Tiefe. Damit das aber nicht böse endet, wird man mit drei Führungsseilen verbunden, die von hier oben bis nach ganz unten reichen und genau den Zweck erfüllen, der sich in ihrem Namen ausdrückt: sie führen den Sprung. Damit soll vermieden werden, daß die Wagemutigen – andere würden sie vielleicht auch als Verrückte bezeichnen – bei Windböen gegen den Turm geschleudert werden. 85 Kilometer pro Stunde Fallgeschwindigkeit soll man bei so einem Sprung erreichen können. Und wie kommt man unten an? Nun, es wird versprochen, daß man kurz vor dem Boden computergesteuert abbremst.

Eine Gruppe Base-Jumper auf dem Sky Tower in Auckland
Eine Gruppe Wagemutiger bereitet sich auf den SkyJump vor.
Fotograf: Alexander Glintschert (2015)
Creative Commons Lizenzvertrag

Als wir vom Sky Deck auf den Sky Walk hinunterblicken, können wir dort eine Gruppe Besucher beobachten, die sich gerade darauf vorbereiten. Alle sind in orangefarbene Overalls gekleidet und angeseilt. Offenbar erhalten sie gerade von einem Angestellten des Turm-Teams letzte Anweisungen. Weil es aber wohl eine ganze Menge zu der Angelegenheit zu sagen gibt, dauert das so lange, daß wir schließlich die Geduld verlieren und unseren Rundgang um das Sky Deck fortsetzen.

Als wir auf dem Weg nach unten wieder im tiefergelegenen Main Observation Deck angekommen sind, haben die Wagemutigen ihre Einweisung offenbar erfolgreich hinter sich gebracht und sind nun einer nach dem anderen auf dem Weg nach unten. Dabei rauschen sie direkt vor den Fenstern vorbei. Das geht derart schnell, daß ich mir kaum vorstellen kann, daß sie in der kurzen Zeitspanne, die sie bis nach unten benötigen, überhaupt viel von dem Sprung und der Welt um sich herum mitbekommen können. Nun, auf jeden Fall sind sie schneller unten als wir.

Dort langen auch wir wenig später an. Als ich beim Verlassen des Empfangsgebäudes auf die Uhr sehe, stelle ich fest, daß wir runde zwei Stunden auf dem Turm verbracht haben. Gut investierte Zeit, denn wir haben nicht nur einen schönen Überblick über die Stadt gewonnen und bei bestem Wetter eine phantastische Aussicht genossen, sondern nun auch einige weitere lohnende Ziele für unsere nächsten Unternehmungen in Auckland auf dem Zettel. Und weil der Tag noch lange nicht zu Ende ist – die Mittagszeit ist gerade erst vorüber -, fangen wir auch gleich damit an.

Sie können alle Fotos auch direkt auf Flickr anschauen.
Für alle Fotos gilt die folgende Lizenz:

Creative Commons Lizenzvertrag
Dieses Werk ist lizenziert unter einer Creative Commons Namensnennung – Nicht kommerziell – Keine Bearbeitungen 4.0 International Lizenz.

An meinen verschwundenen Fußabtreter

Es war einmal ein Abtreter,
der lag vor meiner Tür.
Ob ich kam früher oder später,
stets putzte er mir meine Treter,
er war bezweckt dafür.

Drauf war ein nerd’ger Spruch zu seh’n,
Mit Zeichnung noch dazu.
Wer stand vor meiner Türe, draußen,
Las „Innen größer als von außen“
und fragte sich „Nanu?

Was meint denn dies? Was soll das nur?
Es läßt mir keine Ruh!
Komm, sag mir schnell, was heißt denn das?“
Für mich war’s stets ein Heidenspaß,
wenn ich sagt‘: „Dr. Who!

Ja, kennst Du denn den Doktor nicht?
Das kann doch gar nicht sein!
Mit seiner Tardis eilt geschwind
durch Raum und Zeit er wie der Wind!
Du, das ist wirklich fein!

Das Fluggerät, sieh her, das ist
’ne Zell‘ für’s Telefon!
Sieht eng aus, wenn du draußen bist,
doch wenn Du durch die Türe trittst,
ist’s groß wie ein Salon!

Ach was, Salon, wie ein Palast,
wo reiht sich Saal an Saal.“
Gar mancher schaut‘ verständnislos,
und fragt‘ sich: „Wovon red’t der bloß?
Ach! Ist ja auch egal…“

Egal war mir mein Abtreter
nun ganz und gar nicht. Nein!
Ich freute mich, wenn ich ihn sah,
was beinah jeden Tag geschah,
wenn ich ging aus und ein.

Doch als heut‘ früh ich frohen Sinns
trat vor die Schwelle her,
da fühlt‘ beim Tritt sich’s komisch an,
so sah ich hin und merkte dann,
der Platz vor ihr war leer.

Wie’s schien, hatt‘ wohl sein Werk getan
Ein Dieb vergang’ne Nacht.
Gekommen leis‘, verschwunden auch,
hatt‘ er, die Matte vor dem Bauch
sich aus dem Staub gemacht.

Nun war mein Fußabtreter fort,
traurig war’s mir zumut‘.
Und alles, was zu tun mir blieb,
war, zu verdammen diesen Dieb,
den bösen Tunichtgut!

Doch als die Wut mich dann verließ,
sah milder ich die Tat.
Es war, ging es mir durch den Kopf,
vielleicht ein wirklich armer Tropf,
der mich bestohlen hat.

Es könnt‘ doch sein, daß er, wie ich,
den Doktor sehr verehrt.
Drum wollt‘ er auch stets so ein Stück,
Doch ohne Geld hatt‘ er nie Glück,
es blieb ihm stets verwehrt.

Ob’s wirklich so gewesen ist,
oder auch nicht – egal!
Ich kann stets auf ihn böse sein,
Ich kann ihm aber auch verzeih’n,
Das ist für mich die Wahl.

Im ersten Falle habe ich
den Kopf stets voller Wut.
Ich male mir Vergeltung aus,
komm niemals aus dem Ärger raus.
Das tut mir gar nicht gut.

Drum laß den Ärger schnell ich los
und üb‘ mich im Verzeih’n.
Vergeltung? Pah! Die kann ich missen.
Es mag lediglich sein Gewissen
des Diebes Strafe sein.

So liegt mein Abtreter seit heut‘
vor einer and’ren Tür.
Mir hat er immer sehr genutzt,
mein Schuhwerk sauber abgeputzt.
Ich dank‘ ihm sehr dafür.

An Aucklands Waterfront

Dieser Beitrag ist Teil 2 von 10 der Beitragsserie "Reise nach Neuseeland & Singapur"
Wie ich Aucklands Waterfront und die Hauptgeschäftsstraße der Stadt inspizierte

Als wir das Flugzeug verlassen, ist es Mittag. Von hier bis zum Terminal zu gelangen und die Einreiseformalitäten zu erledigen – all das dauert nicht sehr lange. Der Flugplatz ist eher übersichtlich und alles geht seinen geordneten Gang. Im Nu stehen wir am Gepäckband und warten auf unsere Rucksäcke, die auch schon nach kurzer Zeit auf uns zufahren. Puh. Alles gut gegangen. Seit meinem Trip nach Kanada bin ich an Gepäckbändern auf Zielflughäfen immer etwas nervös und erwarte irgendwie, daß mein Rucksack so wie damals den Weg nicht gefunden hat und ich vergeblich nach ihm Ausschau halte.

A 380 auf dem Auckland Airport
Unser Flugzeug auf dem Flughafen in Auckland. Dieser selbst ist doch eher überschaubar.
Fotograf: Alexander Glintschert (2015)
Creative Commons Lizenzvertrag

Diesmal kann ich ihn jedoch erleichtert vom Band heben und mir auf den Rücken hieven. Los geht’s. Draußen wartet ein ganzes Land darauf, von mir entdeckt zu werden. Die Einreiseformalitäten sind schnell erledigt, und es gibt auch kein so großes Bohei wie bei unserer Einreise in Australien vor etwas mehr als zwei Jahren. Da war jeglicher Form von Nahrungsmitteln der Zutritt zum fünften Kontinent verwehrt. Und weil ich den Fehler begangen hatte anzugeben, daß meine Schuhe nicht neu waren, hatten sie sogar meine Schuhsohlen aufs genaueste untersucht. Ich könnte ja ein Krümel Irgendwas ins Land schleppen, was da nicht hingehört.

Hier in Auckland verzichtet man auf all das und so stehen wir schon bald vor dem Flughafengebäude und schauen uns in der Mittagssonne um. Na gut – in der Stadt sind wir schon mal nicht. Das war aber auch nicht zu erwarten. Weil direkt vor uns eine Bushaltestelle ist, schauen wir zuerst da mal nach. Glück gehabt – hier fährt ein Bus in die Stadt. Tickets gibt’s an einem kleinen Kiosk nebenan.

Wenig später sitzen wir entspannt im Bus und rollen gen Auckland. Gefahren wird hier wie in England – auf der falschen Seite. Ich werde mich also für den Rest des Urlaubs wieder daran gewöhnen müssen, beim Überqueren der Straße zuerst nach rechts zu sehen. Das wird voraussichtlich die ganzen vier Wochen dauern – und wenn ich’s dann endlich drauf habe, geht’s zurück nach Deutschland, wo ich’s mir dann wieder abgewöhnen muß. Immer vorausgesetzt, ich überlebe die Momente, wo ich in die gewohnte Richtung schaue und dann die Straße betrete, weil offensichtlich nichts kommt…

Der Bus ist recht flott unterwegs, und so sind wir nach nicht allzulanger Fahrt am Ziel. Während sie andauert, finden wir heraus, daß der Bus uns fast bis an unser Hotel bringt. So viel Glück auf einem Haufen hat man auch nicht alle Tage…

Als wir an einer belebten Straßenkreuzung mitten im Zentrum Aucklands aussteigen, müssen wir nur noch wenige Meter laufen, um zu unserem Hotel zu gelangen. Es ist das einzige, das wir vorab schon von Deutschland aus gebucht haben. Es macht einfach keinen Spaß, nach so langen Flügen noch mit dem schweren 18-Kilogramm-Rucksack auf dem Rücken auf der Suche nach einem freien Hotelzimmer durch die Stadt zu tigern. Da ist es doch viel angenehmer, genau zu wissen, wo man die ersten Nächte schlafen wird. Alles andere findet sich dann, wenn sich der weitere Reiseverlauf sukzessive ergibt.

Kurz darauf stehen wir am Eingang zum EconoLodge City Central Hotel. Ein gewaltiger Name. Diese Nächtigungsanstalt befindet sich an der Ecke der Wellesley Street West und der Albert Street, in unmittelbarer Nähe vom Sky Tower. Den haben wir schon zu uns herabgrüßen sehen, uns aber noch nicht eingehender mit ihm beschäftigt. Von außen wirkt das Hotel mit seiner Quaderform und der Ziegelfassade mit den langen Fensterstrecken eher nüchtern, hinterläßt aber einen ordentlichen ersten Eindruck.

Der bestätigt sich auch, als wir das Innere betreten. Die Anmeldung ist unkompliziert, denn die Reservierung ist – dem Internet sei Dank – zuverlässig hier eingetroffen und schnell aufgefunden, und so sind wir wenig später auf dem Weg nach oben in unser Zimmer. Der Fahrstuhl ist klein, fast schon winzig, und als wir aussteigen, stehen wir auf einem ziemlich engen Flur. Und das ist nicht als kurze Umschreibung für „etwas schmaler als gewöhnlich“ zu verstehen! Hier können wir tatsächlich nur hintereinander gehen. Unser Zimmer ist dafür recht geräumig und hell. Auch ist es auffallend ruhig, obwohl es direkt über der Straßenkreuzung liegt. Als ich testen will, wie groß der Lärm bei offenem Fenster ist, muß ich feststellen, daß sich die Fenster nicht öffnen lassen. Belüftet wird hier per Klimaanlage. Nun ja, ich ziehe zwar ein offenes Fenster vor, aber es gibt Schlimmeres. Solange die Klimaanlage jetzt im Sommer nicht heizt, ist alles in Ordnung. Nicht lachen – auch das habe ich auf Reisen schon erlebt, damals in Montreal…

Zwei Betten, recht bequem, ein Schrank, ein Tisch, zwei Stühle und ein kleines Badezimmer mit Badewanne – das ist die Ausstattung unserer Bleibe für die nächsten fünf Nächte. Nichts Luxuriöses, aber es erfüllt seinen Zweck und ist sauber. Hier läßt sich’s bequem aushalten. Was will man mehr…

Wir richten uns ein und strecken uns gleich mal auf den Betten aus. Eigentlich ganz schön. Insbesondere nach dem Dauersitzen im Flugzeug und dem Nachschlag im Bus. Und doch: lange hält es uns nicht. Draußen ist schließlich noch heller Nachmittag. Und den wollen wir nutzen und schon mal ein wenig die Stadt erkunden. Wir sind ja schließlich neugierig! Also stehen wir kurz darauf wieder auf der Wellesley Street West und schauen uns um. Für den Anfang vielleicht erst einmal etwas Bekanntes. Gut, davon gibt’s für uns in Auckland nicht wirklich viel, denn hier waren wir noch nie. Aber einen Ort kennen wir immerhin doch: die Bushaltestelle, an der wir ausgestiegen sind. Die Kreuzung dort war, so schien uns, recht lebendig. Also gehen wir die paar Schritte dorthin zurück und stellen fest, daß sich hier die Wellesley Street West mit der Queen Street trifft.

Für mich ist es eine gute Tradition, daß ich, wenn ich an Orte mit Meeresanschluß reise, dem jeweiligen Gewässer noch am Tag der Ankunft einen ersten Besuch abstatte. Man will sich mit den Göttern der Fluten schließlich gut stellen. Und da hilft Höflichkeit schon einmal ungemein. Wir wenden uns also nach Norden und spazieren die Queen Street entlang. An deren Ende soll laut Reiseführer der Hafen liegen.

Diese Straße kann man mit Fug und Recht als die Hauptgeschäftsstraße von Auckland bezeichnen. Und genauso sieht sie auch aus. Geschäft reiht sich hier an Geschäft, Laden folgt auf Laden. Größere, mittlere, kleine – alles bunt gemischt. Nur Kaufhäuser in der Größenordnung, wie wir sie aus der Heimat kennen, scheint es hier nicht zu geben. Ich kann allerdings nicht behaupten, daß ich sie vermissen würde…

Die Gehsteige sind sämtlich von Vordächern überschattet, so daß hier niemand Gefahr läuft, sich beim Einkaufsbummel einen Sonnenbrand zu holen. Allerdings sind diese bei vielen der die Straße säumenden Häuser nicht wirklich einer ihrer Bestandteile, sondern sehen eher wie an sie angehangen aus. Tatsächlich ist wohl auch genau das der Fall.

Die Häuser sind eine bunte Mischung aus allen möglichen Baustilen und vermutlich auch Jahrzehnten. Hier ein Bau, der gut und gerne hundert Jahre alt sein könnte, daneben einer, der höchstens die Hälfte auf dem Buckel hat, gefolgt von einem Niegelnagelneubau. Hochhäuser gibt es natürlich auch, aber die stattliche Höhe, wie man sie aus amerikanischen Großstädten oder auch aus Sydney oder Melbourne kennt, erreichen sie nicht. Auch wenn sie ihre Nachbarn weit überragen, scheinen sie sie doch nicht niederdrücken zu wollen. Ich finde das sehr rücksichtsvoll von ihnen.

Heiß ist es nicht, aber doch sommerlich warm, und so kommt uns ein Starbucks gerade recht, um uns einen Eiscafé zu gönnen. Diese Kette gibt’s wirklich überall auf der Welt. Und darin läuft alles auch genau so ab wie bei uns zu Hause. Deshalb können wir uns trotz fremdem Land sofort zurechtfinden. Systemgastronomie eben. Genial, wenn man sich erstmal nicht gar so fremd vorkommen will, aber nichts, um in die fremden Welten auch einzutauchen. Die einschlägigen Verwandten vom Burgerladen mit dem großen gelben M bis zum Fettkringelgeschäft gibt’s hier natürlich auch alle. Wir werden sie weitestgehend meiden, doch der Eiscafé geht in Ordnung.

Jetzt wird die Straße von kleinen Palmen gesäumt. Wir bummeln weiter an Geschäften vorüber, die sich mir jedoch nicht einprägen. Ich hab’s nicht so mit Einkaufsbummeln und besehe mir lieber die Hausfassaden links und rechts. In der Ferne vor uns ragt ein Hochhaus auf, an dessen oberer Kante der Schriftzug Deloitte prangt. Ein solches Haus gibt’s offenbar in jeder größeren Stadt der westlichen Welt. Berlin hat auch eins. Beratungshäuser sind eine boomende Branche. Komischerweise muß ich immer, wenn ich eines dieser Häuser sehe und den Schriftzug lese, an ein WC denken. Woran das wohl liegt?

Die rechte und die linke Straßenseite haben sich die Häuser jetzt aufgeteilt – die hohen, neuen hat die linke übernommen, die alten, kleinen stehen auf der rechten. Als wir das Hochhaus passiert haben, daß sich die Berater hier haben errichten lassen – sie haben natürlich die falsche Straßenseite dafür genommen, so daß ihr hoch aufragendes, Bedeutung einforderndes Bauwerk rechts von uns herumlungert -, stehen wir kurz darauf an einer großen Straßenkreuzung. Dahinter beginnt auf der linken Seite ein langgezogenes Glasdach über dem Bürgersteig, an dem viele Busse hintereinander stehen. Das ist ganz offensichtlich der Busbahnhof der Stadt. Ihm gegenüber steht ein altes, ehrwürdiges, irgendwie amtlich aussehendes Gebäude. Im Augenblick habe ich keine Ahnung, um was es sich dabei handelt, doch ich merke es mir vor. Später werde ich herausfinden, daß dieses Gebäude einst das Hauptpostamt der Stadt war, seit 2003 jedoch als Empfangsgebäude für das Britomart Transport Centre dient, einen Bahnhof und Knotenpunkt des öffentlichen Nahverkehrssystems Aucklands, zu dem auch besagter Busbahnhof gehört.

Das Britomart Transport Center in der Queen Street in Auckland
Ein Blick in die Queen Street, Aucklands Hauptgeschäftsstraße. Im Vordergrund ist der Busbahnhof des Britomart Transport Centres zu sehen.
Fotograf: Alexander Glintschert (2015)
Creative Commons Lizenzvertrag

Für mehr ist gerade keine Zeit, denn schon zieht ein anderes Gebäude meine Aufmerksamkeit auf sich. Es steht schräg links vor uns hinter dem Busbahnhof. Mit ihm haben wir auch das Ende der Queen Street erreicht. Sie trifft hier auf die Quay Street; und deren Name ist nicht zufällig gewählt, denn sie verläuft parallel zu den Hafenanlagen beziehungsweise zu Aucklands Waterfront. Zu dieser gehört auch das Gebäude, das mir ins Auge sticht.

Gelbbraun ist seine Fassade, in die Gesimse, angedeutete Säulen mit Kapitellen, Bögen und Fenster mit dreieckigen und runden Bekrönungen integriert sind. In der Mitte ragt ein Turm auf, der an allen Seiten Uhren besitzt und dessen Dach spitz zuläuft. Die Architektur deutet auf ein Alter von wenigstens einhundert Jahren hin, nur die oberste Etage hinterläßt einen etwas moderneren Eindruck. Offenbar wurde sie später aufgesetzt. Weil sie jedoch recht flach ist, stört sie nicht weiter.

Das Ferry Building in Auckland
Das Ferry Building, 1912 errichtet, ist das Fährterminal der Stadt.
Fotograf: Alexander Glintschert (2015)
Creative Commons Lizenzvertrag

Daß ich mit meiner Schätzung gar nicht so schlecht liege, erfahre ich später, als ich mehr über das Gebäude herausfinden will. Der Baustil wird als Edwardianischer Barock bezeichnet und war Anfang des zwanzigsten Jahrhunderts groß in Mode, zu der Zeit, als König Edward VII. das britische Empire regierte. Und aus dieser Zeit stammt das Ferry Building, vor dem wir hier stehen. Genauer gesagt, von 1912. Es ist das Fährterminal der Stadt. Von hier starten die Fährschiffe in die Vorstädte Aucklands und zu den vorgelagerten Inseln. Tatsächlich ist der Wasserweg in Auckland durchaus ein Konkurrent zur Straße, liegt Auckland doch an den Ufern des Waitematā Harbour, der ein Teil des großen Hauraki Golfs ist, dessen Buchten mitunter tief ins Land einschneiden. Um diese mit dem Auto herumzufahren, ist mitunter bedeutend zeitaufwendiger, als die Fähre zu benutzen.

Während wir das Gebäude einer näheren Betrachtung unterziehen, fällt mir an der Quay Street ein über einem Eingang angebrachtes, über dem Bürgersteig hängendes Schild ins Auge. „Botswana Butchery“ steht darauf. Hm, ich gehe wohl nicht fehl in der Annahme, daß das zugehörige Etablissement irgendetwas mit Fleisch zu tun hat. Wörtlich übersetzt bedeutet der Name auf dem Schild „Botswana-Metzgerei“. Oder auch „Metzgerei in Botswana“, wie man möchte. Eine Metzgerei in einem Fährterminal? Eigenartig. Als ich durch die Glasscheiben der doppelflügeligen Eingangstür ins Innere spähen will, bemerke ich die Türgriffe. Sie sind als Fleischerbeile gestaltet. Allerliebst. Und auf jeden Fall sehr martialisch. Hier mag jemand Fleisch. Definitiv. Das Rätsel löst sich, als ich die ausgehängte Speisekarte entdecke. Aha, ein Restaurant also, wohl eine Art Steakhaus.

Da wir gerade keinen Hunger haben, erkunden wir das Restaurant nicht weiter, sondern schlendern lieber rechts am Ferry Building vorbei. Dabei passieren wir einen auffällig roten Metallzaun mit einem großen Tor. Die Torpfosten sind ebenfalls metallisch und mit großen Laternen bekrönt, an deren Sockeln an allen vier Ecken kleine bärtige Männerköpfe etwas grimmig in die Umgegend blicken. In der Mitte des Tores ist ein großes, wappenartiges und ebenfalls metallisches Siegel angebracht, an dessen Seiten sich zwei ebenfalls bärtige, fischschwänzige Männer entlangwinden, die auf ihren Schultern und Armen ein Segelschiff tragen. In der Mitte des Wappens prangen in schöner Schreibschrift die Initialen AHB.

Am Queens Wharf Gate des Red Fences an Aucklands Waterfront
Am Queens Wharf begann man 1913 mit der Errichtung des heute berühmten Roten Zauns.
Fotograf: Alexander Glintschert (2015)
Creative Commons Lizenzvertrag

Ein an diesem Zaun angebrachtes Schild weist uns darauf hin, daß wir – wer hätte es gedacht – vor dem sogenannten Red Fence, dem Roten Zaun, stehen. Er wurde in den Jahren 1913 bis 1923 errichtet und trennt den Hafenbereich von der Quay Street. Seinen Anfang nahm er genau an der Stelle, an der wir gerade stehen – als Zaun zur Abgrenzung des Queens Wharfs, einem Pier des Hafens. In den 1920er Jahren ließ der Hafenbetreiber, das Auckland Harbour Board (daher die Initialen AHB), dann den Zaun verlängern, um auch andere Hafenbereiche zu sichern. Obwohl der Schiffsanlegeplatz – heute Neuseelands größter Hafen und der drittgrößte Containerumschlagplatz in Australien und Asien – in späterer Zeit immer weiter aus dem Stadtzentrum heraus in Richtung Osten verschoben wurde – und zum Teil auch noch heute wird -, so daß man das freiwerdende Hafengelände neu gestalten und dem Stadtleben zuführen konnte, haben große Teile des Roten Zauns bis heute überlebt. Er gilt mittlerweile als eine der Sehenswürdigkeiten Aucklands und wird als solche auch erhalten und gepflegt.

Die Piere am Zentrum der Stadt sind heute öffentlich zugänglich, so daß der Zaun hier Lücken läßt und seine Tore, so sie noch vorhanden sind, offenstehen. Das nutzen auch wir und spazieren auf den Queens Wharf. Ihn gibt es, wenn auch nicht in der heutigen Form, seit 1852. War er früher aus Holz, so besteht er nun aus Beton. Er ist gewissermaßen die direkte Fortsetzung der Queen Street auf’s Wasser hinaus. Von ihm haben wir einen schönen Blick auf die benachbarten Piere – im Osten beispielsweise den Bledisloe Wharf. Als wir weiter auf den Queens Wharf hinauskommen, können wir auch die Auckland Harbour Bridge sehen. Sie erinnert in ihrer Form ein wenig an die gleichnamige Brücke in Sydney. Mit ihrer Länge von mehr als einem Kilometer verbindet sie den zentralen Teil von Auckland mit einer durch den Waitematā Harbour von der Stadt getrennten Landzunge und kürzt so eine andernfalls erforderliche, etwa fünfzig Kilometer lange Fahrt um den Naturhafen herum ab.

Bledisloe Wharf im Hafen von Auckland
Ein Blick vom Queens Wharf auf den Bledisloe Wharf im Hafen von Auckland.
Fotograf: Alexander Glintschert (2015)
Creative Commons Lizenzvertrag

Vom Ende des Queens Wharfs ist der Waitematā Harbour sehr schön zu überblicken, und so stehen wir eine Weile lang andächtig hier herum und lassen beeindruckt unsere Blicke über’s Wasser schweifen. Als wir uns schließlich umdrehen, um zurückzulaufen, sind wir gleich ein zweites Mal beeindruckt – diesmal von der nahen Skyline des Zentrums Aucklands, vor der sich das Ferry Building unseren Blicken präsentiert. Auch wenn die Wolkenkratzer hier nicht so hoch sind wie anderswo – eine machtvolle Skyline geben sie allemal ab. Und natürlich finden sich hier auch all die anderen Firmennamen an den Gebäudeoberkanten, die man in allen großen Städten der westlichen Welt so findet. Ist es ein Wunder, daß sich der Eindruck aufdrängt, die Welt befinde sich in der Hand einiger weniger den Globus umspannender Firmen und Konzerne? Ist aber bestimmt nur eine Verschwörungstheorie…

Wir gehen weiter an der Uferwand des Piers entlang, die uns schließlich wieder zum Ferry Building und der Quay Street zurückführt. Noch haben wir nicht genug vom Spazieren in der fremden Stadt am anderen Ende der Welt, weshalb wir noch ein wenig die Quay Street in Richtung Westen weiterwandern. Der Rote Zaun begleitet uns weiter. Und auch wenn hier nun die eigentlichen Zaunfelder fehlen, die alten Zaunpfeiler mit den sie bekrönenden Laternen gibt es noch. Daß auf dem alten Hafengelände dahinter mittlerweile keine technischen Anlagen und Container mehr zu finden sind, sondern stattdessen Hotel- und Gewerbebauten mit Restaurants und Unterhaltungseinrichtungen darin, läßt die Überbleibsel des alten Hafenzauns manchmal ein wenig aus der Zeit gefallen erscheinen, doch verleiht das der Gegend, die wir hier durchstreifen, auch einen ganz eigenen Charme.

Während wir entspannt die Auckland Waterfront entlangschlendern, verschwenden wir keinen Gedanken daran, wie merkwürdig es doch eigentlich ist, daß dieser Begriff die Gegend, in der wir uns gerade befinden, so eindeutig kennzeichnet. Denn wenn man sich das Stadtgebiet auf einer Karte genau besieht, stellt man fest, daß Auckland eigentlich zwei Waterfronts besitzt: die hiesige am Waitematā Harbour und eine weitere im Südwesten, die auf der anderen Seite der neuseeländischen Nordinsel an der großen Bucht des Manukau Harbour liegt, der immerhin Neuseelands zweitgrößter Naturhafen ist. Doch weil sich der Hafen von Auckland nun einmal hier am Waitematā Harbour entwickelt hat, hat sich für dieses Areal der Name Auckland Waterfront durchgesetzt. Den anderen Küstenstreifen der Stadt bezeichnet tatsächlich niemand hier so.

Als wir das Ende der Quay Street erreichen, führt ein Weg weiter geradeaus auf einen molenartig in ein Hafenbecken hineinreichenden Pier. Links und rechts schaukeln Segelboote in großer Zahl im Wasser. Ich schaue ihnen zu und mir wird im wahrsten Sinne des Wortes anschaulich, warum Auckland den Beinamen „City of Sails“ beziehungsweise „Stadt der Segel“ trägt. Am Ende des kleinen Piers schließt sich eine schmale Fußgängerbrücke an. Sie grenzt das Viaduct Bassin genannte Hafenbecken gegen den großen Waitematā Harbour ab, ist jedoch als Klappbrücke gestaltet, damit die Segelboote herein- und hinausfahren können. Wir spazieren hinüber und erreichen ein kleines Viertel namens Wynyard Quarter, das der Brücke auch zu ihrem Namen verholfen hat: Wynyard Crossing. Wir sind hier am westlichen Ende von Aucklands Waterfront angekommen.

Skyline am Viaduct Bassin in Auckland
Dieser Blick auf die schöne Skyline Aucklands bietet sich vom Ufer des Viaduct Bassins im Wynyard Quarter.
Fotograf: Alexander Glintschert (2015)
Creative Commons Lizenzvertrag

Der Blick über das Viaduct Bassin zurück auf die Innenstadt Aucklands ist ein weiteres Mal atemberaubend. Dominiert wird die Skyline der Stadt auf dieser Seite vom Sky Tower. Die vielen schlanken Masten der Segelboote scheinen bestrebt, ihm hinsichtlich der Höhe Konkurrenz zu machen, können mit ihm aber nur perspektivisch und aufgrund ihrer größeren Nähe zu uns mithalten. Die weißen Wolkenberge, die sich im tiefblauen Himmel über der Stadt auftürmen, verleihen der Szenerie eine ruhige Schönheit.

Diese Schönheit ist noch weitaus mehr zu würdigen, wenn man bedenkt, daß wir sie in gewisser Weise nur einem gescheiterten Projekt verdanken, dessen Überbleibsel das Viaduct Bassin ist. In den frühen 1920er Jahren hatte die hiesige Hafenbehörde geplant, die infolge der technischen Entwicklung immer größer werdenden Schiffe im Waitematā Harbour ankern zu lassen. Die Waren sollten dort in kleinere Schiffe umgeladen und an Land gebracht werden. Damit wollte sie sich die Kosten für das Ausbaggern der Hafenkanäle und die Anlage neuer Piers ersparen. Um den Plan in die Tat umzusetzen, hatte man das Viaduct Bassin, das sich heute so natürlich als Teil des Naturhafens präsentiert, als Anlegeplatz für diese Transportschiffe anlegen lassen. Doch wie so oft, wenn Menschen Pläne machen, war am Ende alles anders gekommen. Die Hafenbehörde hatte die Rechnung ohne die Schiffseigner gemacht. Weil diese an dieser Lösung nicht interessiert waren, hatten sie einfach die Zusammenarbeit verweigert und eisern darauf bestanden, daß ihre Schiffe zur Löschung der Ladung weiterhin direkt anlegen sollten. Schließlich hatte die Hafenbehörde klein beigeben müssen. Und das Viaduct Bassin? Das hatte nun keinen Zweck mehr besessen und war daher als Anlegeplatz für Fischerboote genutzt worden. An seinen Ufern richtete man alsbald einen Fischmarkt ein und baute Lagerhäuser. In den 1990er Jahren entwickelte man das Gebiet dann zu einem Wohnareal mit einem hohen Anteil an Gastronomie. Uns ermöglicht diese historische Entwicklung, daß wir nun hier stehen und die Aussicht auf die Skyline Aucklands genießen können. So birgt auch das Scheitern oft genug die Möglichkeit für Neues und Schönes.

Als wir überlegen, ob wir das Wynyard Quarter noch ein bißchen erkunden sollen, melden unsere Mägen erste sanfte Proteste an. Der Drang zum Abendessen obsiegt folglich über den zur Erkundung der fremden Welt. Und das Ziel, gleich am ersten Tag das Meer zu besuchen, hatten wir ja auch vorbildlich erreicht. Wir wenden unsere Schritte daher zurück ins Zentrum und weiter die Queen Street hinauf. Nach einem kurzen Abstecher ins Hotel begeben wir uns auf die Suche nach einem gemütlichen Restaurant. Wir müssen nicht lang suchen, denn davon gibt es in dieser Stadt reichlich. Da Auckland wie überhaupt Neuseeland in der Vergangenheit Einwanderer aus allen Teilen der Welt angezogen hat, ist natürlich für jeden kulinarischen Geschmack etwas zu finden. So auch für unseren.

Als wir schließlich gesättigt noch ein wenig in der hereinbrechenden Dämmerung durch die Straßen spazieren, gelangen wir auch zum nahegelegenen Aotea Square, dessen eine Seite von Aucklands Town Hall gesäumt wird, einem schönen Gebäude aus dem Jahre 1911 mit einer keilförmigen Grundform. Sein spitz zulaufendes Ende wird von einem kleinen Turm markiert, dessen Sockel mit einer sanften, balustradenbekrönten Rundung versehen ist, deren Fassade mit als Säulen gestalteten Pilastern verziert ist. Mit seiner sanften Beleuchtung in bunten Farben wirkt das Rathaus irgendwie geheimnisvoll.

Das Rathaus von Auckland
Die 1911 fertiggestellte Auckland Town Hall in der Abenddämmerung.
Fotograf: Alexander Glintschert (2015)
Creative Commons Lizenzvertrag

Bei unserem rein äußerlichen Blick auf die Town Hall ist die Verbindung, die sie zu Deutschland besitzt, nicht erkennbar. Das Gebäude, das nicht nur administrativen Zwecken dient, sondern auch ein Ort der Kultur ist, beherbergt in seinem Inneren einen Konzertsaal mit mehr als 1.600 Plätzen. Das Besondere an diesem Veranstaltungsort ist, daß ihn die Erbauer des Rathauses, die Melbourner Architekten John James Clark und Edward James Clark, dem Konzertsaal des alten Gewandhauses in Leipzig nachempfunden haben.

Für uns geht nun der erste Tag im fremden Land zu Ende. Müde von der langen Reise und dem Stadtbummel, der am Ende ein wenig ausgedehnter ausgefallen ist als ursprünglich beabsichtigt, fallen wir schließlich in unsere Betten und träumen weiteren Abenteuern entgegen.

Sie können alle Fotos auch direkt auf Flickr anschauen.
Für alle Fotos gilt die folgende Lizenz:

Creative Commons Lizenzvertrag
Dieses Werk ist lizenziert unter einer Creative Commons Namensnennung – Nicht kommerziell – Keine Bearbeitungen 4.0 International Lizenz.

Von Berlin nach Auckland

Dieser Beitrag ist Teil 1 von 10 der Beitragsserie "Reise nach Neuseeland & Singapur"
Wie ich von Berlin über Singapur nach Auckland reiste

Es war im Februar des Jahres 2015, als das Fernweh wieder einmal die Oberhand bekam und ich ihm nicht länger widerstehen konnte, so daß ich mich gemeinsam mit einem Freund auf den Weg machte – auf den Weg hinaus in die weite Welt. Und das im wahrsten Sinne des Wortes. Denn dieses Mal ging es nicht einfach nur in die Weite. Nein. Dieses Mal hatten wir uns nichts weniger vorgenommen als das andere Ende der Welt. Genauer gesagt, zog es uns nach Aotearoa – ein Land, von dem man sagt, daß es entstanden sei, als Gott, nachdem er mit der Erschaffung der Welt fertig war, beschloß, noch ein weiteres Fleckchen Erde zu formen. Eines, das besonders schön werden sollte. Also nahm er von den wunderbarsten Orten der Welt je ein Stück und fügte alle diese Fragmente zusammen… Herausgekommen ist Aotearoa, auch bekannt als Neuseeland.

Nun, von den Māori-Legenden über die Entstehung dieses schönen Fleckchens Erde dürfte diese Geschichte wohl bedeutend abweichen. Für mich war sie aber insofern von großer Bedeutung, als ich schon so viel über die Schönheit dieses Landes gehört hatte, daß ich es mir unbedingt selbst einmal ansehen wollte. Also machte ich mich – machten wir uns – auf, es einmal zu besuchen. Was wir dort zu sehen bekamen und erlebten, davon will ich hier berichten. Denn – soviel darf ich wohl an dieser Stelle bereits verraten – ich wurde in meinen Erwartungen absolut nicht enttäuscht.

Der Abend vor der Abreise
Zwei Rucksäcke – ein großer und ein kleiner – kamen mit auf die Reise. Immerhin sollte die mehr als vier Wochen dauern.
Fotograf: Alexander Glintschert (2015)
Creative Commons Lizenzvertrag

Alles beginnt, wie sollte es auch anders sein, schon Wochen vorher mit zahllosen Reisevorbereitungen, von denen das Packen der auf die Reise mitzunehmenden Sachen die allerletzte ist. Das Buchen der Flüge war schon Monate vorher vonstattengegangen. Später folgte unter anderem das Besorgen ärztlicher Atteste für mitzuführende Medikamente – bei Reisen über Singapur weiß man ja nie. Dort steht auf Drogenhandel die Todesstrafe. Nun habe ich keineswegs vor, dieser Betätigung nachzugehen, doch ich muß aus gewissen Gründen einige benötigte Medikamente mitführen. Diese sind zwar nun keine Drogen, doch wer will sich am Flughafen schon auf entsprechende Diskussionen einlassen, wenn das Gepäck doch einmal kontrolliert wird und die Medikamente dort nicht bekannt sind? Daher gehe ich lieber auf Nummer sicher und habe mir für alles, was ich mitführen will, eine ärztliche Bescheinigung ausstellen lassen.

Reiseführer kaufen, sich mit geeignetem, robustem Schuhwerk für alle Wetter- und Bodenlagen ausstatten, einen Steckdosenadapter besorgen – das sind nur einige der weiteren Vorbereitungen, die ich im Laufe der Monate vor der Reise getroffen hatte, die aber auch die Vorfreude Stück für Stück steigerten, bis ich es schließlich kaum noch erwarten kann, daß es endlich losgeht. Punkt für Punkt hatte ich meine Vorbereitungsliste abgearbeitet.

Und dann ist er da – der Abend vor der Abreise. Alles ist bereit, wie das Foto vom gepackten und in den sprichwörtlichen Startlöchern stehenden Rucksack dokumentiert. Mit Mühe schlafe ich noch ein paar Stunden, denn erfahrungsgemäß wird mir das im Flugzeug nicht gelingen.

Am Morgen des 15. Februar 2015 geht es dann mit dem TXL-Bus zum Flughafen Tegel. (Ja, der war damals noch in Betrieb!) Dort angekommen, verpacken wir die Rucksäcke in eigens dafür erworbene Hüllen, damit sie beim Transport keinen Schaden nehmen. Die vielen Schnüre und Riemen sollen sich schließlich nirgendwo verfangen… Dann heißt es, sich in die Schlange am Check-In-Schalter stellen und – warten. Langsam vorrücken. Wieder warten. Den Rucksack ein Stück vorschieben. Und weiter warten. Dann sind wir endlich an der Reihe. Rucksack auf’s Band, Reisepaß vorzeigen, in Augenschein genommen werden, ja, alles ok. Bitteschön, hier ist Ihr Ticket, guten Flug. Danke. Wiedersehen.

Weiter geht’s. Nächste Station: Personenkontrolle. Alles Metallische ablegen, in eine Schale packen, Handgepäck dazulegen und zum Durchleuchten geben. Ich selbst trete durch den Personenscanner. Natürlich jault der auf. Tja, die Metallösen kann ich nun wirklich nicht von meinen Schuhen entfernen. Jedenfalls nicht, ohne sie komplett zu zerstören. Und dazu bin ich nun wirklich nicht bereit. Glücklicherweise muß ich das auch nicht. Alsbald gleitet der Handscanner vor mir auf und ab. Ok, es sind wohl wirklich nur die Schuhe. Ausziehen, bitte! Oh Mann, die nehmen es aber genau. Also aufschnüren, ausziehen, nochmal auf Strümpfen scannen lassen. Ja, es sind wirklich die Schuhe, die den Scanner so erregen. Danke, das war’s. Sie können sich wieder anziehen.

Dann habe ich’s hinter mir. Ich lege alles Abgelegte wieder an, packe meine Siebensachen zusammen und gehe auf die Suche nach einem Sitzplatz im Warteraum am Gate. Halt, Ticket nicht vergessen. Das liegt noch in der Schale.

So, endlich sitzen. Aber nicht lange, denn der Flug geht erfreulicherweise pünktlich. Noch einmal wird das Ticket kontrolliert, wir gehen durch den Korridor zum Flugzeug und suchen unsere Plätze. Ein Fensterplatz ist dabei, wie schön.

Über den Wolken
Über den Wolken strahlt die Sonne in grenzenloser Weite. Durch ein Loch in der Wolkendecke ist eine bergige Landschaft zu sehen.
Fotograf: Alexander Glintschert (2015)
Creative Commons Lizenzvertrag

Unser Flugzeug setzt sich pünktlich in Bewegung, rollt zur Startbahn, beschleunigt und hebt ab. Jetzt sind wir wirklich unterwegs. So langsam wird’s wirklich real. Als wir kurz darauf in die dichte Wolkendecke eintauchen, ist draußen erstmal gar nichts mehr zu sehen. Ein paar Augenblicke später ist die Nebelwand, die wir vor dem Fenster zu haben schienen, verschwunden und die Sonne strahlt aus einem blauen Morgenhimmel zum Fenster herein. Unter uns sinkt die Wolkendecke immer tiefer. Bis zum Horizont ist sie völlig blickdicht, so daß von der Erde gar nichts zu sehen ist. Doch auch so ist der Ausblick interessant genug. Mal scheinen wir eine Daunendecke unter uns zu haben, dann bilden die Wolken eine völlig plane Ebene. Wenig später meint man, eine Eislandschaft unter sich zu sehen. Ein faszinierender Anblick. Schließlich reißt die Wolkendecke doch noch ein wenig auf und wir blicken auf die Erde hinab.

Als wir nach etwa fünfzig Minuten Flugzeit in Frankfurt am Main landen, ist es heller Tag. Wir haben zwei Stunden Aufenthalt und damit genug Zeit, zum Gate unseres Anschlußfluges zu gelangen. Dort angekommen, suchen wir uns zwei Plätze und laden unser Handgepäck ab. Dann besichtigen wir schon mal unser Flugzeug. Einen A 380 sieht man ja schließlich auch nicht alle Tage. Und was soll ich sagen: ein ganz schönes Geschoß ist dieser Airbus der Singapore Airlines. Wenn man ihn sich so ansieht, so schwer und massiv, möchte man kaum glauben, daß dieses Flugzeug in der Lage sein soll, sich auch nur einen halben Meter vom Boden zu erheben.

Wie wir kurz darauf erfahren, müssen wir auf den Beweis, daß es das ganz ohne Probleme schafft, etwa zwei Stunden länger warten als geplant. Unsere Maschine ist aus New York mit Verspätung eingetroffen, was uns einen verlängerten Aufenthalt im Warteraum am Gate verschafft. Damit uns der nicht langweilig wird, hat sich das Personal etwas Besonderes für uns einfallen lassen. Während wir auf unseren Plätzen sitzen, die wir nach der kurzen Flugzeugbesichtigung wieder eingenommen haben, und uns unterhalten, höre ich von irgendwo plötzlich meinen Namen. Ich schaue mich um, kann aber nicht ausmachen, von wo. Gerade will ich mich wieder unserem Gespräch widmen, da höre ich ihn erneut. Eine Lautsprecherdurchsage bittet mich namentlich an einen der Schalter zwecks Klärung einer Formalität. Als wir dort eintreffen, müssen wir noch ein bißchen Schlangestehen, denn ich bin nicht der Einzige, den sie hier näher kennenlernen möchten. Also warten wir, bis uns einer der Beamten am Schalter zu sich winkt. Wir sind gespannt, was er will. Er läßt uns darüber auch nicht lange im Unklaren.

Nach Prüfung unserer Unterlagen ist ihm unsere Reiseplanung nicht geheuer. Ob es richtig sei, daß wir nach Auckland fliegen?
Wir bejahen.
Wir hätten aber keinen Rückflug gebucht.
Doch, aber von Christchurch.
Glücklicherweise habe ich unsere gesamte Flugplanung ausgedruckt und im Handgepäck dabei. Ich zeige sie ihm.
Er scheint weiterhin beunruhigt. Wir hätten doch aber gar keinen Flug von Auckland nach Christchurch gebucht.
Wir schauen uns an, nun unsererseits verwirrt. Warum ist das ein Problem?
Wie wir denn dann von Auckland nach Christchurch gelangen wollen, will er von uns wissen.
Meint er das ernst?
Offenbar ja. Also setzen wir ihm auseinander, daß wir auf einer Urlaubsreise sind, während der wir Neuseeland durchstreifen wollen. Ganze vier Wochen lang. Von Christchurch würden wir dann zurückfliegen.
Soso. Er ist noch nicht zufrieden. Es sei aber doch kein Flug in unserer Buchung vermerkt, der von Auckland nach Christchurch führe.
Richtig. Weil wir Neuseeland auch auf dem Land- und Seeweg durchstreifen wollen.
Es ist kompliziert.
Ob wir da was gebucht hätten.
Nein, eine genaue Planung oder Buchung haben wir dafür nicht. Wir sind quasi Rucksacktouristen. Ist das wirklich so schwer vorstellbar?
Es scheint so, denn er will es noch genauer wissen.
Wie wir denn den Weg genau zurücklegen wollen?
So langsam verliere ich die Geduld.
Per Bus, Bahn und Schiff! Vielleicht auch oder.

Die Diskussion zieht sich noch ein wenig, bis er und sein Kollege, den er zwischendurch noch hinzuzieht, unseren Versicherungen schließlich Glauben schenken, daß wir nicht vorhaben, in Neuseeland zu bleiben. Am Ende sind wir für die Verspätung unseres Fluges fast dankbar, denn ohne sie hätten wir ihn nach dieser Debatte am Ende vielleicht noch verpaßt.

So aber können wir schließlich einsteigen und unsere Plätze einnehmen. Wir haben wohlweislich Gangplätze gebucht, denn bei einem zwölf Stunden dauernden Flug ist Beinfreiheit um vieles mehr wert als ein Fensterplatz. Ich habe überdies das Glück, daß der Sitz neben mir freibleibt, so daß ich mehr als genug Platz habe und sogar meine Beine hochlegen kann. Beschäftigung gibt es genug, denn jeder Sitzplatz verfügt über einen eigenen Bildschirm, über den eine reichhaltige Film- und Musikbibliothek zugänglich sind. Auch Videospiele stehen zur Verfügung. Außerdem erhalten wir während des Fluges zwei Mahlzeiten, die jede auch einiges an Zeit beanspruchen. Dennoch sind zwölf Stunden nicht leicht herumzubringen, wenn man die ganze Zeit an seinem Platz sitzen muß und außer Medienkonsum nicht wirklich etwas zu tun hat.

Airbus A 380 am Flughafen Frankfurt/Main
Vor dem Start wird unser A 380 mit allerlei Dingen beladen, unter anderem unserem Gepäck und – ganz wichtig – leckerem Essen. Wer lange fliegt, muß schließlich auch essen.
Fotograf: Alexander Glintschert (2015)
Creative Commons Lizenzvertrag

Der Tag neigt sich dem Ende und vor den Fenstern wird es dunkel. Das Licht im Flugzeug wird gedimmt und die meisten Fluggäste richten sich zum Schlafen ein. Mir ist das allerdings nicht vergönnt, weil ich im Sitzen nicht wirklich schlafen kann. So vertreibe ich mir die Zeit mit Filmen, Musik und Lesen. Nachdem ich mir drei Filme am Stück angesehen habe, kann ich keine bewegten Bilder mehr sehen. Sind wir nicht bald da? Ich schaue auf die Uhr. Knapp fünf Stunden sind vorbei. Das ist ja noch nicht einmal die Hälfte der Flugzeit! Oh Mann. Glücklicherweise darf man – in gewissen Grenzen – im Flugzeug herumlaufen. Weil aber alle schlafen, muß man das sehr leise und vorsichtig tun. Jetzt schätze ich meinen Gangplatz ganz besonders. Ich muß dafür niemanden hochscheuchen…

Den Rest der Zeit vertreibe ich mir mit Musik und Lesen, und schließlich doch noch ein oder zwei Filmen. Was will man machen… Die Stewardessen – ja, auf unserem Flug gibt es ausschließlich Stewardessen – sind nicht nur sehr bemüht, uns Fluggästen die Reisezeit so angenehm wie möglich zu machen, sie sind darin auch überaus erfolgreich. Keine Frage ist den jederzeit und zu jedermann freundlichen Damen zuviel, egal zu welcher nächtlichen Stunde sie auch gestellt wird. Kein Wunsch ist unpassend, er wird sofort erfüllt, wenn das nur irgendwie möglich ist. Ich fühle mich sehr gut aufgehoben.

Weil unser Flug in Richtung Osten geht, fliegen wir der Nacht oder der Sonne entgegen, wie man will. Aus diesem Grund fällt die Nacht mit reichlich sechs Stunden kürzer als gewöhnlich aus. Als vor den Fenstern der Tag anbricht, haben wir den Changi-Airport Singapur, unseren zweiten Zwischenstop, erreicht.

Nach so einem langen Flug erliegt man schnell der Illusion, man habe mit dem Erreichen von Singapur den größten Teil der Reise bereits hinter sich und von hier aus sei es ja nicht mehr so weit. Hält man sich jedoch vor Augen, daß man sich in Singapur immer noch auf der Nordhalbkugel befindet und die Flugzeit nach Auckland von hier aus weitere zehn Stunden beträgt, wird einem der Irrtum schnell bewußt. Glücklicherweise haben wir uns das bereits bei unserer Reiseplanung überlegt und wohlweislich beschlossen, nicht unverzüglich weiterzufliegen. Nach Singapur einreisen wollen wir jedoch auch nicht – die Zoll- und Einreiseformalitäten sind durchaus umfangreich, so daß wir sie für unseren Aufenthalt zwischen den Flügen nicht auf uns nehmen wollen. Doch der Changi-Airport ist nicht erst seit gestern das bedeutendste Luftfahrt-Drehkreuz in dieser Region der Welt. Auf Leute wie uns ist man hier – natürlich – bestens eingestellt. Und so bietet der Transitbereich des Flughafens jede Menge Unterhaltungsmöglichkeiten und auch wenigstens zwei Transithotels. In einem davon haben wir uns vorab ein Zimmer gebucht. So können wir die vierzehn Stunden bis zu unserem Anschlußflug mit einer Dusche, ein oder zwei Mützen Schlaf, einem reichhaltigen Mahl und einem Bummel über den Flughafen verbringen.

Letzteren beginnen wir im Terminal 2 im Enchanted Garden. Dieser wird seinem Namen mehr als gerecht, denn verzaubert scheint er wirklich zu sein. In riesigen Glasskulpturen, die in ihrer Form an Blumenbouquets erinnern, wachsen Blumen und Farne. In flachen Teichen tummeln sich bunte Koi-Karpfen zuhauf. Und als wir auf den Pfaden und Stegen langsam durch den Garten wandeln, ertönen rings um uns die verschiedensten Laute, die man sonst nur in freier Natur zu hören bekommt. Wie uns eine Tafel verrät, werden die durch versteckte Lautsprecher zu Gehör gebracht und durch Bewegungssensoren ausgelöst.

Im Orchideengarten im Changi Airport in Singapur
Der Orchideengarten im Terminal 2 des Changi-Airports ist eine wahrhaft exotische Pracht. Mehr als siebenhundert Orchideen in dreißig verschiedenen Arten erblühen hier.
Fotograf: Alexander Glintschert (2015)
Creative Commons Lizenzvertrag

Nicht weniger beeindruckend präsentiert sich ein Stück weiter der Orchideengarten. Mehr als siebenhundert Orchideen in dreißig verschiedenen Arten blühen hier. Ein wahrhaft farbenprächtiger Anblick. Gruppiert sind sie nach Farben und Formen, so daß sie die vier Elemente der Natur repräsentieren: Erde, Wasser, Feuer und Luft. Dabei stehen weiße Orchideen für das Element Luft. Seltene braune und grüne Orchideen, die auf baumartigen Skulpturen wachsen, stellen die Erde dar. Gigantische, kerzenförmige, mit Orchideen bewachsene Säulen symbolisieren das Feuer, während blaue und violette Orchideen das Wasser-Element bilden. Ich gebe zu, daß mir das beim Durchwandern des wunderschönen kleinen Areals nicht auffällt. Dafür bin ich viel zu sehr von der Schönheit der exotischen Blüten gefangen. Ich lese es später auf der Website des Flughafens.

Unsere Wanderung durch das Terminal 2 des Changi-Airports führt uns anschließend hinaus auf eine kleine Dachterrasse. Im darauf angelegten Sonnenblumengarten erblühen eine Vielzahl kleine Sonnen. Für die tropische Wärme, die uns hier entgegenschlägt, sind sie jedoch nicht verantwortlich. Diese geht auf das Konto ihrer großen Schwester über uns, die an diesem Tag unbestreitbar ihr Bestes gibt.

Auf einer kleinen Bank halten wir eine kurze Rast und schauen den Flugzeugen auf dem Rollfeld zu. Als wir schließlich wieder ins Innere des riesigen Terminal-Gebäudes zurückkehren, wird mir erst richtig bewußt, das dieses in Gänze klimatisiert ist. Für ein paar Augenblicke kommt es mir richtig kühl vor, doch das vergeht, als ich mich an die deutlich niedrigere Innentemperatur gewöhnt habe.

Wir schlendern zur Station des sogenannten Sky-Trains, einer automatischen Bahn, die die drei Terminals des Flughafens miteinander verbindet. Sie war einst das erste fahrerlose und vollständig automatisierte Personentransportsystem in Asien. Eine kurze Fahrt bringt uns hinüber zum Terminal 3, wo uns in der großen Halle ein Paar Ziegen begrüßt. Umgeben von bunten Blumen stehen sie auf einem Podest und schauen auf uns herab. Die beiden Tierskulpturen weisen unmißverständlich auf das am 19. Februar beginnende chinesische Jahr der Ziege hin.

Der Schmetterlingsgarten im Terminal 3 des Changi Airport in Singapur
Im Schmetterlingsgarten im Terminal 3 des Changi-Airports Singapur leben zwischen dreißig und vierzig Schmetterlingsarten.
Fotograf: Alexander Glintschert (2015)
Creative Commons Lizenzvertrag

Unser Ziel ist der Schmetterlingsgarten – der erste der Welt, der sich in einem Flughafen befindet. Es handelt sich dabei um ein kleines tropisches Habitat mit einem ebenso kleinen Wasserfall. Hier leben zwischen dreißig und vierzig Schmetterlingsarten, von denen zahlreiche Exemplare um uns herumflattern. Mit etwas Geduld können wir sie, als sie sich auf die Zweige der hier gedeihenden Pflanzen setzen, aus allernächster Nähe in Augenschein nehmen.

Gerne hätten wir uns noch mehr der zahlreichen Attraktionen des Changi-Airports angesehen. Verschiedene weitere Gärten mit Kakteen, Wasserlilien und zu Skulpturen geformten Bäumen sind neben Spas, Kinos und natürlich zahlreichen Geschäften nur einige der vielen Möglichkeiten, mit deren Hilfe man sich im Transitbereich dieses riesigen Flughafens die Zeit vertreiben kann. Doch inzwischen ist der Abend unseres zweiten Reisetages nähergerückt, und mit ihm auch der Startzeitpunkt unseres nächsten Fluges. Glücklicherweise sind wir im Terminal 3 bereits am richtigen Ort, so daß wir nur noch unser Gate finden müssen. Das ist aufgrund der exquisiten Beschilderung überhaupt kein Problem, und so sitzen wir alsbald wieder in einem Warteraum, bis unser Flug aufgerufen wird und wir an Bord des nächsten A 380 gehen. Und wieder habe ich Glück, denn auch hier bleibt der Platz neben mir leer. Ich möchte es fast für ein Geschenk des Himmels halten, in den wir gleich hinaufsteigen werden.

Kurz vor 21 Uhr und damit ganz pünktlich lösen wir uns vom Terminal, starten und fliegen in die Nacht hinein. Nun bin ich über die wenigen Stunden Schlaf, die ich im Transithotel genießen konnte, mehr als froh, denn mir steht ein weiterer Film-, Musik- und Lesemarathon bevor. Auf dem kleinen Monitor an meinem Platz werfe ich zwischendurch immer wieder einen Blick auf die Flugroute. Als wir Australien überfliegen, graut nach etwa sieben Stunden Flug vor den Fenstern langsam der Morgen und wir steuern auf Brisbane zu. Ein wenig fühlt es sich wie ein Wiederkommen an, denn hier war auf unserer vorangegangenen Australienreise unser erstes Ziel. Diesmal geht es jedoch noch ein ganzes Stück weiter, und so fliegen wir auf’s Meer hinaus. Es ist schon eine komische Vorstellung: wir hier oben in der leeren Luft, und unter uns nichts als die weiten Wasser der Tasmanischen See. Auf einmal kommt mir unser am Boden so riesig wirkendes Flugzeug wie eine winzige, uns umgebende Nußschale vor.

Von dieser Vorstellung werde ich jedoch alsbald abgelenkt, denn es gibt Frühstück. Als wir unsere Aufmerksamkeit schließlich wieder dem Fluggeschehen zuwenden können, haben wir bereits mit dem Anflug auf Auckland begonnen. Vor den Fenstern präsentiert sich uns bestes Wetter. Zwar tummeln sich zahlreiche Wolken im Blau des Himmels, von denen viele noch unter uns schweben, doch bieten sich uns genügend Möglichkeiten, Blicke auf den unter uns liegenden Planeten zu werfen. Wir gehen tiefer und tiefer und sehen doch immer noch nur Wolken und Wasser unter uns.

A 380 auf dem Auckland Airport
Wir verabschieden uns von unserem A 380, der uns so wohlbehalten hierher nach Auckland gebracht hat, mit einem letzten Blick. Dreiundzwanzig Stunden reine Flugzeit liegen hinter uns.
Fotograf: Alexander Glintschert (2015)
Creative Commons Lizenzvertrag

Als ich schon anfange zu glauben, wir würden diesmal auf der Meeresoberfläche landen, taucht endlich doch ein Küstenstreifen zwischen den Wolken auf. Vor uns liegt Aotearoa. In der Sprache der Māori, Neuseelands Ureinwohner, bedeutet dies Land der langen weißen Wolke. Eine mündlich überlieferte Legende der Māori erzählt, daß die Tochter des Entdeckers Kupe, als sie am Horizont etwas Weißes entdeckte, „He ao!“ ausgerufen haben soll – „Eine Wolke!“ Sie hatte die Great-Barrier-Insel entdeckt, die die Māori bis heute Aoteo – Weiße Wolke – nennen. Als sie hinter dieser Insel eine weitere, um vieles größere Landmasse vorfanden, gaben sie dieser den Namen Aotea Roa.

Wir nähern uns der Nordinsel Neuseelands von Westen und treffen auf der Höhe des Kaipara Harbour auf die Küste. Unser Flugzeug beschreibt nun eine weite Schleife, um den Anflug auf Auckland zu bewerkstelligen. Dafür überfliegen wir die Nordinsel einmal von Westen nach Osten und überqueren – nun schon im Einzugsgebiet von Auckland – den Hauraki-Golf, wo wir die Inseln Rangitoto, Motutapu und Rakino Island von oben betrachten können.

Als unser Flugzeug schließlich auf der Landebahn des Flughafens von Auckland aufsetzt, sind nun auch wir hier angekommen. Ganze dreiundzwanzig Stunden reine Flugzeit liegen hinter uns, zu denen noch die Aufenthalte an den Flughäfen kommen. Daß wir uns nun auf der anderen Seite der Welt befinden, haben wir eindrücklich vermittelt bekommen. Doch so anstrengend es auch war – wir fiebern dem entgegen, was da draußen auf uns wartet. Das Flugzeug kommt zum Stehen, wir sammeln unser Handgepäck ein und reihen uns in die Schlange der am Ausgang wartenden Fluggäste. Dann öffnen sich die Flugzeugtüren – und das Abenteuer beginnt.

Sie können alle Fotos auch direkt auf Flickr anschauen.
Für alle Fotos gilt die folgende Lizenz:

Creative Commons Lizenzvertrag
Dieses Werk ist lizenziert unter einer Creative Commons Namensnennung – Nicht kommerziell – Keine Bearbeitungen 4.0 International Lizenz.

Auf eiszeitlichen Spuren

Dieser Beitrag ist Teil 3 von 3 der Beitragsserie "Grüner Hauptweg Nr. 18"

Man sieht nur, was man weiß.

Wie wahr diese Aussage ist, konnte ich auf einer weiteren Wanderung auf dem Grünen Hauptweg Nummer 18, dem Inneren Parkring, selbst erfahren. Als ich sie unternahm, freute ich mich, auf einem Abschnitt dieses Rundwegs durch Berlin zu wandern, der mir ein reiches Angebot an Grünanlagen unterbreitete, durch die er mich hindurchführte. In der Zeit des goldenen Oktobers unterwegs, genoß ich die wärmenden Strahlen der Herbstsonne, die aus einem strahlend blauen Himmel auf mich herablächelte und es ganz offensichtlich gut mit mir meinte.

Vom Rathaus Schöneberg führte mich der Weg in den benachbarten Rudolph-Wilde-Park hinein, wo ich als erstes den goldenen Hirschen auf dem nach diesem Tier benannten Brunnen bewunderte – ein Werk des Bildhauers Georg August Gaul -, bevor ich mich aufmachte, den Park, ausgehend von dem kleinen Ententeich, in seiner ganzen Länge – besonders breit ist er ja nicht – zu durchwandern. Kaum merkte ich, daß ich auf der Höhe der Kufsteiner Straße in den Volkspark Wilmersdorf hinüberwechselte – die beiden Parks gehen nahtlos ineinander über. Daß der Volkspark aus drei Teilen besteht, entging meiner Aufmerksamkeit allerdings nicht, wird er doch zunächst von der Bundesallee durchschnitten, die ich über eine eigens dafür errichtete Fußgängerbrücke, den Volksparksteg, überqueren mußte, bevor er dann an der Blissestraße zunächst zu enden scheint, sich jedoch schließlich auf deren anderer Seite fortsetzt, wo er allerdings seinen Charakter gehörig wandelt, was er dem langgestreckten Fennsee verdankt. Daß ich an diesem Punkt meiner Wanderung bereits einen See hinter mir gelassen hatte, wußte ich zu diesem Zeitpunkt nicht. Und das lag – das möchte ich zu meiner Verteidigung erwähnen – nicht nur daran, daß ich von ihm keine Kenntnis besaß, auch nicht an mangelnder Aufmerksamkeit meinerseits, sondern schlicht an der Tatsache, daß es ihn zum Zeitpunkt meiner Wanderung seit bereits neunundneunzig Jahren nicht mehr gab. Man hatte ihn ab 1915 zugeschüttet.

Nun, der Fennsee war noch vorhanden, das konnte ich sehen, stand ich doch nun an seinem Ufer. Rechterhand erhob sich ein beeindruckendes Gebäude, das auf den ersten Blick als Schule zu erkennen war. Historische Schulbauten haben stets diesen gewissen Erkennungswert. Steht man vor einem von ihnen, entdeckt man meist sofort die große Aula – haben heutige Schulen so etwas eigentlich noch? Bei dem Gebäude hier am Fennsee war das nicht anders. Doch für diejenigen, denen der Charakter der Bildungseinrichtung dennoch entgehen sollte, prangte der Schriftzug „Friedrich-Ebert-Schule“ in großen Lettern über dem Eingang. Nicht so offensichtlich war hingegen die kleine Gedenktafel neben dem Portal. Sie erinnert an Mildred Harnack-Fish, eine Amerikanerin, die in den 1930er Jahren als Englischlehrerin an der ebenfalls in diesem Gebäude untergebrachten „Peter-A.-Silbermann-Schule“ tätig war, Berlins ältestem staatlichen Abendgymnasium. Gemeinsam mit ihrem Ehemann Arvid Harnack und einigen ihrer Schüler gehörte sie zur Widerstandsgruppe der Roten Kapelle um Harnack und Harro Schulze-Boysen. Wie die anderen Mitglieder dieser Gruppe auch, wurde sie von den deutschen Faschisten verhaftet, zum Tode verurteilt und 1943 ermordet. Sie war die einzige amerikanische Zivilistin, die die Faschisten wegen des Widerstands gegen ihr Regime hinrichteten.

Mein Weg führte mich nun am Ufer des Sees entlang, bis ich an seinem anderen Ende die Stadtautobahn und Ringbahn erreichte. Verkehrswege dieser Größenordnung mögen für eine Stadt durchaus lebenswichtig sein, bei einer Wanderung sind sie gemeinhin weniger beliebt. Ich bildete da keine Ausnahme. Glücklicherweise konnte ich sie schnell überqueren, wobei mir eine weitere Fußgängerbrücke mit dem schönen Namen Hoher Bogen behilflich war. Daß man sie nach einem Höhenzug im Bayerischen Wald benannt hatte, erklärt man mir mit ihrer gewölbten Form. Nun, das mag stimmen. An der Ähnlichkeit der sie umgebenden Gegend, in der ich S-Bahn, Autobahn und Heizkraftwerk ausmachen konnte, mit den Bergen des deutschen Mittelgebirges kann es jedenfalls nicht liegen.

Nur schnell weiter. Auf der anderen Seite erreichte ich nach einiger Zeit einen weiteren See, an dessen Ufer ich meinen Weg fortsetzte. Im Schatten hoher Bäume ließ es sich gut wandern, der Hubertussee, wie das Gewässer hieß, lag im hellen Licht der Sonne ruhig neben mir, auf der anderen Seite waren mal mehr, mal weniger prachtvolle Villen mit weitläufigen Gärten zu sehen. Wer hier wohnte, hatte mit Sicherheit eine Menge Kleingeld auf dem Konto. In der Mitte des Sees zog eine kleine Insel an mir vorüber, und schließlich verengte sich der See und wurde zu einem Kanal. Hoch über mir führte eine Brücke über ihn hinweg. Von hier unten konnte ich prächtige Steinvasen und Obelisken ausmachen – die Brücke war mit Sicherheit schon einige Jahrzehnte alt. Heute, im Zeitalter der Zweckmäßigkeit und absoluten Kostenkontrolle, macht sich niemand mehr die Mühe, derartige Bauwerke mit dem Anstrich der Ästhetik und Schönheit zu versehen. Das war im ausgehenden 19. Jahrhundert, der Zeit, in der die nach Otto von Bismarck benannte Brücke errichtet wurde, noch anders. Heutige Brücken sind hingegen oft nicht viel mehr als ein überdimensionales Brett, über den zu überquerenden Einschnitt beziehungsweise Wasser- oder Verkehrsweg gelegt.

Hinter der Brücke verbreiterte sich der Kanal in einen weiteren kleinen Weiher mit dem schönen Namen Herthasee. Mein Weg am Ufer war allerdings hier zu Ende. Ich mußte hinauf zur Straße, die die Brücke überquerte. Oben angekommen entdeckte ich weitere Brückenkunstwerke. Mit Vasen und Obelisken hatte man es nicht bewenden lassen. Die Brückeneingänge zu beiden Seiten des Kanals wurden zusätzlich von je zwei steinernen Sphingen bewacht. Sehr hübsch. Es machte Spaß, ein wenig zu verweilen und sich all die künstlerischen Details an diesem Verkehrsbauwerk anzusehen, die übrigens alle von dem Bildhauer Max Klein geschaffen wurden. Derartige Dinge machen eine Stadt zu einem viel lebenswerteren Ort. Leider legt unsere sich für ach so rational und modern haltende Gesellschaft darauf überhaupt keinen Wert mehr. Das Ergebnis dürfen wir alltäglich in unseren Innenstädten bewundern, wo Neubauten nur dann gelungen scheinen, wenn sie sich an Langeweile gegenseitig überbieten und der Blick des Betrachters, an ihren Fassaden verzweifelt nach Halt suchend, von diesen abrutscht und auf dem Pflaster der Straße aufschlägt und zerschellt.

Parallel zum See ging es nun weiter mitten durch das Villenviertel. Weit war er nicht, der Weg. Schon nach vergleichsweise wenigen Schritten erreichte ich die Koenigsallee, auf deren gegenüberliegender Straßenseite hinter den Bäumen der Villengärten ein weiterer See blinkte – der Koenigssee. Einige Meter weiter stand ich dann an seinem Ufer.

Bis hierher hatte ich, sieht man einmal von der kurzen Unterbrechung durch Ringbahn und Stadtautobahn ab, eine schöne Wanderung durch grüne Parks und an idyllischen Gewässern entlang absolviert, stets achtend auf die kleinen Details am Wegesrand, die das Wandern in der Stadt so interessant machen. Und doch war mir etwas Wesentliches entgangen. Was ich für das alleinige Ergebnis wohlbedachter Stadtplanung zum Nutzen der Allgemeinheit gehalten hatte – die Anlage eines ausgedehnten Grünzuges quer durch die Stadt -, erwies sich beim nachträglichen Studium dessen, was ich da eigentlich gesehen und durchwandert hatte, als viel mehr. Natürlich waren die Parkanlagen, die Uferwege und die schön gestalteten Bauwerke durch entsprechende Planungen von Stadtvätern, Gartenbaudirektoren und Architekten entstanden. Doch der eigentliche Urheber dieses ausgedehnten Grünzuges war die Natur selbst. Wie ich nun erfuhr, hatte ich mich von meinem Startpunkt im Rudolph-Wilde-Park an auf den verbliebenen Resten einer eiszeitlichen Rinne bewegt. Mir war durchaus nicht entgangen, daß die Parks, die ich durchwanderte, tiefer als das umgebende Land lagen, doch die Bedeutung dessen hatte ich nicht erfaßt.

Berlinern ist die Kette der Grunewaldseen hinlänglich bekannt. Angefangen beim Wannsee reihen sich der Nikolassee, eine Rehwiese genannte Niederung, der Schlachtensee, die Krumme Lanke, der Grunewaldsee und der Hundekehlesee aneinander. Diese die sogenannte Große Grunewaldseenkette bildenden Gewässer liegen alle in einer Rinne, die durch Schmelzwasser am Ende der letzten großen Eiszeit entstanden ist. An diese Grunewaldrinne schließt sich mit der sogenannten Kleinen Grunewaldseenkette eine weitere Rinne an. In ihr folgt auf den Dianasee der Koenigssee. Beide Seen wurden Ende des 19. Jahrhunderts künstlich geschaffen, um die sumpfige Gegend für den Bau der Villenkolonie Grunewald trockenzulegen. An sie schließen sich Halen- und Lietzensee an, die die Rinne fortführen, bis diese schließlich an der Spree in der Umgegend des Schlosses Charlottenburg endet.

Zu diesen beiden eiszeitlichen beziehungsweise glazialen Rinnen gesellt sich nun eine Art Nebenrinne hinzu. Sie zweigt am Koenigssee ab und führt über den Hertha- und den Hubertussee, die ebenfalls künstlichen Ursprungs sind, zum Fennsee, schloß einst den Wilmersdorfer See mit ein und endet am Rathaus Schöneberg, wo heute der Rudolph-Wilde-Park liegt. In eben dieser Nebenrinne war ich die ganze Zeit unterwegs gewesen und hatte es praktisch nicht bemerkt. Man sieht tatsächlich nur, was man weiß.

Vom Koenigssee führte mich der Grüne Hauptweg Nummer 18 noch ein Stück weiter durch die Villenkolonie, wobei er nun der Rinne der Kleinen Grunewaldseenkette folgte. Ich bekam noch den Halensee zu sehen und stand dann erneut an der Stadtautobahn, die ich wieder über eine Fußgängerbrücke überquerte, den sogenannten Trabener Steg. Nun war es nur noch ein kurzes Stück, dann endete diese Etappe auf der Kurfürstendammbrücke mit einem Blick die Ringbahn entlang, hinüber zu Funkturm und ICC. Die lärmende Stadt hatte mich wieder.

Sie können alle Fotos auch direkt auf Flickr anschauen.
Für alle Fotos gilt die folgende Lizenz:

Creative Commons Lizenzvertrag
Dieses Werk ist lizenziert unter einer Creative Commons Namensnennung – Nicht kommerziell – Keine Bearbeitungen 4.0 International Lizenz.

Ein Tag am Meer

Ein Tag am Meer.
Entspannung.
Ruhe.
In-sich-gehen.

Weit reicht der Blick.
So weit.
Bis zum Horizont,
wo der Himmel das Meer berührt.

Rhythmisch rollen die Wellen ans Ufer,
das sie nur kurz erreichen.
Dann müssen sie schon wieder zurück.
Doch sie geben nicht auf.
Versuchen es wieder und wieder und wieder.
Was treibt sie an?
Nur der Wind?

Sacht ziehen Schatten über den Strand.
Große und auch kleine.
Wolken. Und Möwen.

Erstere stumm. Und doch mächtig.
Wenn sie sich vor die Sonne schieben,
geht leis‘ das Licht zurück.
Und gleich wird es merklich kühler.

Die Möwen jedoch sind laut.
Sie kreischen. Sie zanken.
Und ziehen mit dem Wind,
gegen den sie nichts ausrichten können.
Ebensowenig wie gegen die Wellen,
vor denen sie herlaufen.
Fast ein wenig ängstlich, wie mir scheint.
Ob sie sich deswegen ärgern?
Vielleicht sind sie deshalb so laut?

Ganz anders der Wind.
Heut‘ braust er nicht, nur sacht ist er zu hören.
Sanft streicht er über Sand und Dünen.
Das Dünengras folgt seinem Drängen.
Es wiegt sich sacht in seinen leisen Böen.
Und beugt gehorsam sich hernieder.
Doch kaum ist fort der Wind,
dem’s eben noch sich neigte,
steht keck es wieder auf.

Am Rand der Düne liegt ein Boot.
Ob’s wohl gestrandet ist allhier?
Oder ruht sich’s aus nur
vom heftigen Tanz mit den Wellen?

Im hellen Sand leuchten weiße Muschelschalen.
Und lange Stränge grünen Tangs schlängeln sich den Strand entlang.
Geschenke des Meeres an die achtlosen Menschen.
Doch wer sie zu ehren weiß,
findet mit etwas Glück einen Bernstein darin.

Die Wellen tragen Kronen aus weißem Schaum.
Die Sonne läßt sie fröhlich glitzern.
Tausende kleiner Sterne leuchten.
Am hellichten Tag.

Ein Tag am Meer.
Im späten Monat September.
Nur die See, die Möwen und ich
an einem menschenleeren Strand.

(Gedanken an einem Tag im September 2014 am Ostseestrand von Dierhagen, nahe dem Fischland.)

Sie können alle Fotos auch direkt auf Flickr anschauen.
Für alle Fotos gilt die folgende Lizenz:

Creative Commons Lizenzvertrag
Dieses Werk ist lizenziert unter einer Creative Commons Namensnennung – Nicht kommerziell – Keine Bearbeitungen 4.0 International Lizenz.

Unter den Straßen von Berlin

Mit dem Cabrio durch Berlin! Das ist wohl der Traum so manches Autonarren. Oder auch der eines jungen Menschen ohne das dafür ausreichende Kleingeld.

Dabei ist das doch profan. Aber sowas von! Um mal eine dieser unsäglichen Sprachsünden zu zitieren. Ein Allerweltstraum gewissermaßen.

Mit dem Cabrio unter Berlin! Das wäre doch mal was anderes, nicht wahr?

Und das geht! In Berlin gibt es nämlich nichts, was es nicht gibt. Nun, ob das stimmt, möchte ich nicht beschwören. Aber unter den Straßen von Berlin kann man tatsächlich mit dem Cabrio unterwegs sein. Nun, nicht allein und nicht auf eigene Faust, aber es geht. Mit der U-Bahn-Tunneltour der Berliner Verkehrsbetriebe.

Diese Tour ist eine beliebte Attraktion, die von der BVG saisonal angeboten wird. Meist in der Zeit zwischen April und Oktober. Mit einem Zug, dessen Waggons ganz im Stile eines Cabrios nach oben hin offen sind, wird man dabei auf einem umfangreichen Rundkurs durch Berlins U-Bahn-Netz kutschiert. DAS Erlebnis für alle U-Bahn-, Technik-, Unterwelt- und Tunnelfans!

Dafür allerdings Tickets zu bekommen, ist durchaus nicht ganz einfach, denn diese Fahrten sind außerordentlich begehrt – sowohl bei Berlinern als auch – natürlich – bei Touristen. Kurzfristig geht da meist gar nichts. Die Fahrten sind meist lange im voraus ausgebucht.

Dennoch war es mir gelungen, im September 2014 eine solche Fahrt mitzumachen. Ich hatte Fahrkarten für die erste von zwei Fahrten, die am 19. September 2014 veranstaltet wurden. Abends um 19 Uhr sollte es losgehen. Startpunkt war der Bahnsteig der U-Bahn-Linie U5 am Bahnhof Alexanderplatz. Der Zug mit den Cabrio-Waggons und je einer akkubetriebenen Lok vorn und hinten stand bereits auf Gleis 4, doch durften wir noch nicht einsteigen. So hatte ich genug Zeit, einige Aufnahmen von Zug und Bahnsteig zu machen.

Schließlich bat man uns, die Plätze auf den Waggons einzunehmen. Wie die Hühner auf der Stange saßen wir in zwei parallelen Reihen Rücken an Rücken nebeneinander; die einen blickten zur Wand, die anderen zum Bahnsteig. Dennoch hatte es keinen Sinn, sich um die Seiten zu streiten – während der Fahrt würden wir sowieso ein paarmal die Fahrtrichtung ändern. Daher hatte unser Zug ja auch jeweils vorn und hinten eine Lok.

Als die Fahrt dann losging, fuhr man mit uns – für einige durchaus überraschend – nicht die Strecke der U5 entlang, sondern direkt in deren Wendeanlage hinter dem Bahnhof hinein. In eine Sackgasse quasi. Die U5 hatte damals nämlich noch am Alexanderplatz ihre Endstation. Doch das Geheimnis lüftete sich schnell, was gleich die nächste Überraschung mit sich brachte: von eben dieser Wendeanlage zweigte ein Tunnel ab, in den es auch gleich hineinging. Dieser Waisentunnel genannte Verbindungsweg, der damals noch befahrbar war – heute ist er geschlossen und muß wohl abgerissen werden, nachdem man Wassereinbrüche festgestellt hatte, die sich nicht beheben lassen -, führte uns hinüber zur Strecke der U-Bahn-Linie U8. Kurz hinter der Spree, die er unterquert, trifft der Waisentunnel nahe der Chinesischen Botschaft auf den U8-Streckentunnel. Wir fuhren bis zur Heinrich-Heine-Straße, wo der erste der angekündigten Richtungswechsel stattfand, denn nun ging es in Richtung Wittenau. An der Jannowitzbrücke vorbei bewegten wir uns auf kurvenreicher Strecke zum Alexanderplatz zurück, den wir wenig später wieder erreichten – diesmal auf dem Bahnsteig der U8. Ohne Aufenthalt ging es weiter. Die Bahnhöfe Weinmeisterstraße, Rosenthaler Platz und Brunnenstraße zogen ebenso an uns vorüber wie die nachfolgenden, bis wir schließlich an der Osloer Straße angelangt waren. Auf der gesamten bisherigen und noch folgenden Fahrt hatten wir in den Tunneln außerordentlich gute Sicht, denn extra für unsere Tour hatten die netten Menschen von der BVG das Licht angelassen. So konnten wir all die Gleisanlagen, Tunnelwände und -decken, Kabelführungen und -schächte, Notausstiege und in ihnen aufwärts führenden metallenen Leiteranlagen in aller Ruhe im Vorbeifahren betrachten und da, wo wir langsamer fuhren, genau in Augenschein nehmen.

Hinter dem Bahnhof Osloer Straße fuhr man uns wieder in eine Wendeanlage. Ein erneuter Richtungswechsel, und dann ging es wieder in einen Verbindungstunnel hinein. Dieser trug naheliegenderweise den Namen Osloer Tunnel und führte uns hinüber auf die Strecke der U-Bahn-Linie U9, die hier an der Osloer Straße ihren Anfang nahm. Doch nicht einmal zwei Stationen weiter verließen wir sie dann schon wieder durch einen weiteren Seitentunnel, der mit seinem Namen Leopoldtunnel auf den nahen Leopoldplatz verwies. Durch ihn erreichten wir die Strecke der U-Bahn-Linie U6 und fuhren kurz darauf in den Bahnhof Seestraße ein. Auf dem mittleren von drei Gleisen kamen wir zum Stehen, denn hier sollte es eine Pause geben, wofür einige der Fahrgäste aufgrund dringend gewordener Bedürfnisse durchaus Dankbarkeit zu zeigen wußten. Wer so wie ich auf dem Zug blieb, hatte Gelegenheit, das bunte abendliche Treiben auf dem Bahnhof zu beobachten sowie links und rechts einfahrenden, haltenden und dann weiterziehenden U-Bahnen zuerst entgegen- und dann hinterherzublicken.

Als es schließlich weiterging, fuhren wir zunächst den Weg zurück, den wir gekommen waren. Durch den Leopoldtunnel ging es wieder auf die Strecke der U9, der wir nun weiter gen Süden folgten. Amrumer Straße, Westend, Birkenstraße hießen die Stationen, die nun an uns vorüberzogen. Schließlich durchfuhren wir den Bahnhof Zoologischer Garten – natürlich unter der Erde. Wie auch auf anderen Bahnsteigen zuvor schauten die eben noch gelangweilt blickenden Wartenden voller plötzlichem Interesse unserem an ihnen vorbeieilenden Sonderzug voller fröhlich winkender, behelmter Menschen hinterher. Was war das denn für eine bunte Truppe?

An der Berliner Straße, wo sich die Linien U7 und U9 kreuzen, wurde der Tunnel für uns zur Kathedrale, denn wir fuhren auf ein Mittelgleis, das sich stetig absenkte, so daß wir, wenn wir unsere Augen nach oben richteten, wo Säulen links und rechts den Graben, in den wir hinabfuhren, von den seitlichen Streckengleisen trennten, einen Anblick gewahrten, der an eine große Kirche erinnerte. Eine Tunnelkathedrale, fürwahr! An ihrem Ende verschwand unser Gleis in einem eigenen Tunnel – dem Berliner-Straßen-Tunnel -, unterquerte eines der uns bisher begleitenden seitlichen Gleise und schwenkte hinüber zur Strecke der U7, der wir nun in Richtung Rudow folgten. Am Mehringdamm sahen wir die U6 wieder, mit der sich die U7 einen Bahnhof teilt. Hatten die Haltepunkte bis hierher noch recht neuzeitlich gewirkt, war den nun folgenden anzusehen, daß sie bereits etwas älter waren. Kein Wunder, denn dieser Streckenabschnitt der U7 war früher eine Seitenlinie der heutigen U6.

Hinter dem Bahnhof Hermannplatz parkte man uns kurz auf einem Abstellgleis. Doch schon kurze Zeit später ging es in entgegengesetzter Richtung wieder in den Bahnhof zurück und durch diesen hindurch. Ein weiterer Verbindungstunnel, der unter dem einstigen Karstadt-Kaufhaus entlangführt und folgerichtig Karstadt-Tunnel genannt wird, brachte uns zur Linie U8 zurück, der wir nun folgten, bis wir den Bahnhof Heinrich-Heine-Straße ein weiteres Mal erreichten.

Nun begann das letzte Stück der Fahrt, das uns durch den Waisentunnel zurück in die Wendeanlage der U5 brachte, in der unsere Fahrt ihren Anfang genommen hatte. Kurz bevor wir sie erreichten, konnten wir noch einen Blick in eine weitere, vom Waisentunnel abzweigende Röhre werfen. Sie bildet die Verbindung zur U-Bahnlinie U2, die sie am Bahnhof Klosterstraße trifft, weshalb sie auch Klostertunnel genannt wird. Dieser verbindet nicht nur einfach zwei U-Bahnlinien miteinander, sondern stellt auch einen Übergang vom Netz der Kleinprofillinien zu denen der Großprofilstrecken her. Ersteres umfaßt die vier heutigen U-Bahnlinien U1 bis U4, die die ältesten, ab 1896 errichteten Strecken befahren. Als 1923 die erste Großprofillinie in Betrieb ging, deren Züge etwa 35 Zentimeter breiter als die ihrer Geschwister im Kleinprofil waren und sind, baute man alle nachfolgend geschaffenen U-Bahnstrecken aus Gründen der Beförderungskapazität in dieser Form. Damit ist klar, daß wir auf unserer Rundfahrt ausschließlich großprofilig unterwegs gewesen waren. Die Spurbreite beider Profile ist gleich, doch unterscheidet sich die Form der Stromabnehmer an den Zügen. Während im Kleinprofil die das Gleis begleitende Stromschiene von oben abgegriffen wird, geschieht dies im Großprofil von unten – wie bei der Berliner S-Bahn auch.

Diese Betrachtungen stellte ich natürlich nicht auf dem Cabrio-Waggon sitzend an. Hierfür war etwas nachträglich konsultierte Literatur über die Berliner U-Bahn notwendig und durchaus hilfreich. Unser Zug langte schließlich wieder auf dem Bahnsteig der U5 am Alexanderplatz an, wo ich glücklich und zufrieden ob der für mich als „altem“ Berliner hochinteressanten Rundfahrt ausstieg.

Mehr als zwei Stunden waren wir unter den Straßen Berlins unterwegs gewesen, was trotz des fehlenden Tageslichts ein überaus interessantes und fesselndes Erlebnis war!

Sie können alle Fotos auch direkt auf Flickr anschauen.
Für alle Fotos gilt die folgende Lizenz:

Creative Commons Lizenzvertrag
Dieses Werk ist lizenziert unter einer Creative Commons Namensnennung – Nicht kommerziell – Keine Bearbeitungen 4.0 International Lizenz.

Fliegerviertel und Eisenbahnkreuz

Dieser Beitrag ist Teil 2 von 3 der Beitragsserie "Grüner Hauptweg Nr. 18"

Berlin ist ein Ort voller Geschichte und Geschichten. Und auch wenn diese durchaus nicht immer nur schön sind, lohnt es sich doch, offenen Auges durch die Stadt zu wandern und sich mit dem Gesehenen zu beschäftigen. Viel Interessantes läßt sich dabei herausfinden und lernen.

So bot mir auch die zweite Etappe auf dem Grünen Hauptweg Nummer 18, dem Inneren Parkring, obwohl sie um vieles kürzer als die erste war (warum, will mir heute, gute acht Jahre später, durchaus nicht mehr einfallen), einige dieser Geschichten. Ich mußte nur hinschauen und – zugegeben – nachlesen. Nicht alles ist einfach so zu sehen und liegt offen zutage.

Da war zunächst das Stadtviertel mit dem etwas profanen Namen Neu-Tempelhof. Daß man es auch das Fliegerviertel nennt, war mir bis dato nicht bekannt. Beschäftigt man sich aber mit den Personen, nach denen viele der Straßen dort benannt sind, erkennt man den Grund: es sind Flugpioniere und – Kampfpiloten des Ersten Weltkrieges. Das Wunder des Fliegens wird von den Menschen eben nur allzu oft für das Grauen des Krieges mißbraucht… Daß viele der Straßen ihre Namen von den deutschen Faschisten erhielten, stört heute offenbar nicht sehr.

Auf deren Verbrechen stieß ich auf der Wanderung im übrigen unmittelbar beim Verlassen des Fliegerviertels. Ein kleine metallene Gedenktafel an einem von mehreren roten Ziegelbauten in der General-Pape-Straße wies mich auf das SA-Gefängnis Papestraße hin, in dem bereits kurz nach der Machtergreifung der Faschisten ihnen unliebsame und widerständige Menschen gefoltert und ermordet wurden. Ergänzt wird die kleine Tafel durch einen Gedenk- und Lernort, der in einem der Gebäude untergebracht ist. Diese schön anzusehenden roten Ziegelbauten waren übrigens – der Straßenname läßt es bereits erahnen – einst eine Kaserne, in der die preußischen Eisenbahnregimenter untergebracht waren – direkt an der Strecke der Anhalter und Dresdener Eisenbahn. Da waren sie schon wieder, die Kriegsgeschichten. Nicht nur die Erfindung des Fliegens mißbrauchten die Menschen zu kriegerischen Zwecken, der Eisenbahn war im Jahrhundert davor bereits das gleiche Schicksal widerfahren. Dafür fand sich allerdings keine Gedenktafel. Dafür gleich zwei, die mich darauf hinwiesen, daß in den Kasernenbauten in den 1950 und 1960er Jahren Menschen untergebracht worden waren, die die DDR verlassen hatten. Platz war dafür genug, denn die Eisenbahnregimenter gab es bereits seit dem Ersten Weltkrieg nicht mehr…

Gleich nebenan hat sich die Moderne ihr Recht erkämpft, das Antlitz der Gegend bestimmen zu dürfen – in Form des stählernen und gläsernen Kolosses des Bahnhofs Südkreuz, der wie ein riesiges notgelandetes Raumschiff in der Gegend herumsteht und alle Wege zu versperren scheint, so daß mir nichts anderes übrigblieb, als ihn weiträumig zu umgehen, es sei denn, ich wollte mitten hindurch, was einer Stadtwanderung aber etwas unangemessen wäre. Die Planer des Grünen Hauptwegs hatten das wohl genauso gesehen… Der Weg nahm einige Zeit in Anspruch, sind die Ausmaße dieses Kreuzungspunktes der heutigen Nord-Süd-Eisenbahn mit der Ringbahn doch durchaus gewaltig. Gleich an seinem Anfang stieß ich auf zwei weitere Erinnerungstafeln, die mir das einstige Erscheinungsbild des Bahnhofs Papestraße, wie der Bahnhof ursprünglich einmal hieß – ich kann mich daran noch erinnern -, zeigten. Es war gut, daß ich sie entdeckt hatte; so konnte ich das letzte verbliebene Relikt des alten Bahnhofs auf meinen Weg um sein modernes Pendant herum leicht finden.

Dieser Weg führte mich durch zahlreiche, etwas bedrückend einengend wirkende Betonbrücken, an deren Ende ich mich jedesmal des Gefühls nicht erwehren konnte, nach langem Aufenthalt unter Tage endlich wieder ans Licht gelangt zu sein. Es gibt definitiv schönere Abschnitte auf dem achtzehnten Grünen Hauptweg.

Dann jedoch hatte ich den Bahnhof hinter mir und wanderte weiter, bis ich vor dem großen runden Metallgerüst stand, daß man in Berlin allenthalben schon von sehr weitem sehen kann, den Weg ins schöne Schöneberg weisend: das Gasometer. Kurz nach seiner Fertigstellung 1910 war es eines der drei größten in Europa. In Betrieb ging es drei Jahre später. Nun, heute steht nur noch das Gerüst. Seit 1995 ist es stillgelegt, sein Betrieb beendet.

Beendet war an dieser Stelle zwar noch nicht meine Wanderung, die mich noch bis zum Rathaus Schöneberg führte, wohl aber meine Lust zum Fotografieren. Gab es keine ansprechenden Motive mehr? Das weiß ich heute nicht mehr zu sagen. Vielleicht war aber auch einfach nur der Akku meiner Kamera leer. Wer weiß… Aber auf jeden Fall ein Grund, die Wanderung zu einem späteren Zeitpunkt einmal zu wiederholen. Doch auch ohne Fotos vom letzten kurzen Stück des Wegs hatte ich allemal genug Stoff zum Nachdenken ob des Gesehenen…

Sie können alle Fotos auch direkt auf Flickr anschauen.
Für alle Fotos gilt die folgende Lizenz:

Creative Commons Lizenzvertrag
Dieses Werk ist lizenziert unter einer Creative Commons Namensnennung – Nicht kommerziell – Keine Bearbeitungen 4.0 International Lizenz.

Häfen, Kanäle und ein böhmisches Dorf

Dieser Beitrag ist Teil 1 von 3 der Beitragsserie "Grüner Hauptweg Nr. 18"

Berlin ist eine Stadt der Merkwürdigkeiten.

Hier ist es nicht nur ohne weiteres möglich, auf einer Stadtwanderung sowohl einen Flußhafen als auch einen Flughafen zu besuchen, sondern dabei auch noch feststellen zu müssen, daß beide gar nicht mehr in Betrieb sind. Das klingt wie böhmische Dörfer? Kein Problem – dieselbe Wanderung führt auch noch mitten durch ein solches hindurch.

Das glauben Sie nicht? Nun, eben diese Wanderung habe ich im April des Jahres 2014 absolviert. Sie begann im schönen Bezirk Friedrichshain am Boxhagener Platz und folgte dem Grünen Hauptweg Nummer 18 bis zum S-Bahnhof Tempelhof. Wenn Sie mögen, dann wandern Sie doch mit mir durch die dabei entstandene kleine Fotoserie, vorbei am Osthafen, am Landwehr- und am Neuköllner Schiffahrtskanal entlang mitten hinein in das historische Rixdorf mit seinem Böhmischen Dorf, von dort durch den malerischen Körnerpark und weiter die alte östliche Einflugschneise des Tempelhofer Flughafens entlang, bis wir dessen früheres Flugfeld erreichen, das heute unter dem Namen Tempelhofer Feld bekannt ist.

Sie können alle Fotos auch direkt auf Flickr anschauen.
Für alle Fotos gilt die folgende Lizenz:

Creative Commons Lizenzvertrag
Dieses Werk ist lizenziert unter einer Creative Commons Namensnennung – Nicht kommerziell – Keine Bearbeitungen 4.0 International Lizenz.

Cookie Consent mit Real Cookie Banner